Historische Reisen:Sechshundert Gulden für den Verlust eines rechten Auges

Historische Reisen: Der niederländische General Hulft wird am Hofe von Rajasingha II., dem König von Kandy, begrüßt. Der Herrscher unterstützte die Belagerung von Colombo. Darstellung von 1672. Quelle: Wikipedia

Der niederländische General Hulft wird am Hofe von Rajasingha II., dem König von Kandy, begrüßt. Der Herrscher unterstützte die Belagerung von Colombo. Darstellung von 1672. Quelle: Wikipedia

Der Nürnberger Kaufmannssohn Johann Jacob Saar verdingt sich im 17. Jahrhundert bei der Niederländischen Ostindien-Kompanie. Er reist bis nach Ceylon und Jakarta und überlebt Kämpfe, Hunger und Krankheiten.

Von Hans Holzhaider

Die Belagerung von Colombo dauerte sieben Monate, und für die Bürger der Stadt waren es Monate entsetzlichen Leidens. Die Schiffe der Holländer blockierten die Hafeneinfahrt, und die niederländischen Truppen, verstärkt durch 16 000 Mann, die Rajasingha II., der König von Kandy, zu ihrer Unterstützung geschickt hatte, ließen keine Maus in die Stadt hinein oder aus ihr heraus. Auch als der holländische General Hulft von einer Arkebusenkugel getötet wurde, wurde der Belagerungsring um keinen Millimeter gelockert. Schließlich kam es so weit, "daß eine Mohrin ihr eigen Kind gefressen, andere das Gras aus der Erden gepflücket und geniessen wollten".

Endlich, am 10. Mai 1656, schickten die Portugiesen einen Parlamentär, um über die Kapitulation zu verhandeln. Sie mussten den Holländern neun Monate Sold für jeden Soldaten zahlen, sowohl für die Lebendigen wie für die Gefallenen. Familien und Verheiratete wurden nach Goa, dem portugiesischen Stützpunkt an der Westküste Indiens, gebracht. Die ledigen Frauen und Mädchen aber mussten "zuruckbleiben und mit Holländern sich vermählen, welches einen grossen mächtigen Jammer und Weinen und Geschrey verursachte".

Historische Reisen: SZ-Karte

SZ-Karte

Schon seit mehr als 30 Jahren lagen die Niederlande mit Portugal im Krieg, und Johann Jacob Saar war mitten hineingeraten in diese Auseinandersetzung zwischen den beiden Seemächten, die um die Vorherrschaft in den überseeischen Gebieten in Südamerika und Südostasien kämpften. Er war gerade 19 Jahre alt, als ihn sein Vater, ein angesehener Kaufmann und Mitglied des Größeren Rates der Stadt Nürnberg, in die Fremde schickte. Es war das Jahr 1644, Nürnberg hatte im Dreißigjährigen Krieg und durch die Pest schwer gelitten, und der alte Saar sah wohl im Ausland bessere Chancen für seinen Sohn. "An dem heiligen Ostertag (bin ich) von meinem hertzgeliebten Vater in fremde Land verschickt worden", schrieb Johann Jacob Saar, nachdem er, sechzehn Jahre später, wieder in die Heimat zurückgekehrt war.

Mit dem "Ordinari-Botten", der regelmäßig verkehrenden Postkutsche, war er nach Hamburg gekommen, von dort, "um meine Reiß zu beschleunigen", nach Amsterdam gefahren, "daselbst auf ein halb Jahr mich umgesehen". Weil er dort keine Anstellung fand, die seinen Vorstellungen entsprach, und auch, weil "mein Hertz immer etwas durch Reisen und in fremden Landen zu versuchen Belieben trug", ließ er sich als "Adelpursch", also als einfacher Soldat, von der Niederländischen Ostindien-Kompanie anwerben, für einen Sold von zehn holländischen Gulden im Monat. Er bekam ein Gewehr und den Sold für zwei Monate auf die Hand sowie die Zusicherung, dass der Verlust eines rechten Auges, der Hand, des Armes oder des Fußes, mit sechshundert Gulden, "auf der lincken Seiten aber mit hundert Gulden weniger compensiert werden soll".

Am 8. Januar 1645 lichteten die "Hof von Seeland" und die "Middelburg" die Anker zur langen und gefährlichen Reise nach Batavia, der holländischen Niederlassung auf der Insel Java. An Bord machte Johann Jacob Saar gleich Bekanntschaft mit dem ersten schwarzen Mann, den er je gesehen hatte: "gantz schwartz, von kleinen krausen Haaren, großer breiter Nasen, von zimlichen Lippen, so roth als Blut, schneeweisen Zähnen". Das war der Profoss, der Mann, der für die Aufrechterhaltung der Disziplin verantwortlich war, und der junge Nürnberger bewies, dass er ganz frei von rassistischen Vorurteilen war: "Ich habe mich sonderlich an ihn gemacht und Freundschaft gesucht, die er mir auch so treu und redlich erwiesen, als meine rechten Blutsverwanten können und mögen".

Strenges Regiment an Bord: An den Mast genagelt oder kielgeholt

An Bord herrschte ein strenges Regiment: Wer gegen einen Kameraden das Messer zog, dem wurde die Hand mit einem Messer an den Mast genagelt. Wer gegen einen Offizier oder gar den Kapitän tätlich wurde, der wurde kielgeholt - einmal unter dem Schiffsrumpf durchgezogen, was für manch einen tödlich endete. Nach sechs Wochen erreichten die Schiffe die Kapverdischen Inseln, am 1. April passierten sie den Äquator und nahmen Kurs auf das Kap der Guten Hoffnung. Vier Wochen lang kreuzten sie gegen widrige Winde an. An Bord brachen die Pocken aus, "von den Allten (sind) viel daran gestorben, die Jungen mehrentheils wieder aufkommen".

Am 8. Juli, sechs Monate nach ihrer Abreise, erreichen die beiden Schiffe Batavia auf der Insel Java an der Mündung des Flusses Ciliwung. Batavia, das heutige Jakarta, war schon damals eine Stadt mit mehr als 30 000 Einwohnern. Die Holländer hatten die Stadt stark befestigt, denn auf der anderen Seite des Flusses hatten sich die Engländer niedergelassen. Viele Chinesen lebten in Batavia. Saar beschreibt ausführlich ihre Sitten und Gebräuche: Wie sie den Frauen die Füße einschnüren, ihre Spielleidenschaft.

Einmal habe einer seiner Kameraden mit dem Einsatz von nur anderthalb Talern einem Chinesen "Haus und Hof, Weiber, Kinder und all sein Hab und Gut, liegend und fahrend" abgewonnen. "Wunderliche Manieren" hätten die Chinesen beim Essen: "Statt der Messer und Gabeln führen sie in der rechten Hand (die Lincke aber ist ganz verächtlich, weil sie damit die Posteriora reinigen) zwey Steckelein, und sind sehr hurtig damit, die Speis wie mit einer Scheer zusamm zu zwicken und damit auf das Maul zu eilen."

Wunderliches von der Tierwelt

Wunderliches weiß Saar auch von der Tierwelt zu berichten, von dem überaus starken Rhinoceros - "auf der Nasen ein starckes Horn, an den Füßen einem Elephanten gleich" - und dem Orang-Utan, den er aber offenbar nicht selbst gesehen hat: "Hat beynahe menschliche Gestalt, lang von Armen, schwartz auf dem Leib, lachet überlaut wie ein Mensch, aber es frisst und verschlingt den Menschen, wo es sein mächtig wird".

In den nächsten Jahren fuhr Johann Jacob Saar im Dienst der Ostindien-Kompanie kreuz und quer durch den indonesischen Archipel. Die Holländer waren zwar mehr am Handel als an territorialen Eroberungen interessiert, aber sie standen den anderen europäischen Kolonialmächten an Brutalität nicht nach. Um Seeräuber abzuschrecken, überfielen sie die kleine Insel Enggano vor der Südküste Sumatras: "Wir denn damals nicht nur viel tod geschossen, sondern an die sibentzig Manns- und Weibspersonen angefesselt und alsbald wieder auf Bataviam zugegangen sind", schreibt Saar. Dort hätten die weiblichen Gefangenen "schön nähen gelernt" und auch die holländische Sprache schnell begriffen, während die "Manns-Personen aus Kümmernis nicht essen wollten, wie sie denn meist gestorben sind".

Die nächste Fahrt führte Saar auf die Inseln Ambon und Banda in der Inselgruppe der Molukken, die berühmt waren für ihre Gewürze, vor allem "Nägelein" (Nelken) und Muskatnüsse. Die Bandanesen seien tapfere Krieger, schreibt Saar, "starck von Armen und Beinen, mit grossen Knäbel-Bärten", die ihren breiten Säbel so geschickt führten, "dass sie im Sprung einem den Kopf schnell abschlagen können". Auch ein tödliches Pfeilgift hätten die Bandanesen, "dass, wenn einer nur an einem Glied damit verletzt wir, und man solches nit alsbald wegschlägt, geschwind zum Herzen eilet und den Garaus macht". Nur ein Gegenmittel gebe es gegen diese Gift, berichtet Saar: "Seinen eigenen Stuhlgang, so warm, als er von ihm gehet."

Im September 1647 wird Johann Jacob Saar mit 300 Mann nach der Insel Ceylon kommandiert, dort bleibt er acht Jahre lang. Auf Ceylon haben sich die Portugiesen festgesetzt, aber die Holländer sind sehr scharf auf die Insel - nicht nur, weil es dort Zimt, Pfeffer und Koriander im Überfluss gibt, sondern auch weil der Hafen von Galle an der Südspitze Ceylons ein hervorragender Stützpunkt auf dem Seeweg nach Indonesien ist. Der König von Kandy schwankt, ob er es mit den Portugiesen oder mit den Holländern halten soll, aber die Portugiesen sind im Umgang mit den Eingeborenen noch sehr viel ungeschickter als die Holländer. Einmal, berichtet Saar, habe ein ceylonesischer Prinz eine portugiesische Frau begehrt, aber die Portugiesen hätten ihm in einer Sänfte einen weißen Hund geschickt mit der Botschaft, "wenn er gern eine weisse Frau beschlafen wolle, sollte er sich mit der weissen Hündin contentieren".

Von Entbehrungen und Belagerungen

So kam es, dass der König von Kandy es mit den Holländern hielt, als sie 1655 die Stadt Colombo belagerten. Johann Jacob Saar berichtet, unter welchen Entbehrungen auch die Belagerer zu leiden hatten: An manchem "brenn-heissen Tag" habe es nicht mehr als "ein halb Maß Wasser" gegeben, "darinnen dannoch auf ein hundert Würmer sind, die einer mit dem Tuch vor dem Mund abseyhen muss". Was hätte er darum gegeben, "so ich nur eines Truncks Haus-Biers hätte können habhaft werden". Weil er aber im Lauf der Jahre "in all mein Glück und Unglück mich zu schicken wusste", hätten ihm die Holländer den Namen "Leichthertz" gegeben, sodass, "wenn eines nach Hans Jacob Saar gefragt hätte, würde er mich schwerlicher erforschen haben können, als wann er nach Hans Jacob Leichthertz gefragt hätte".

Am 16. November 1659, nach Ablauf der 15 Jahre, zu denen er sich verpflichtet hatte, bekommt Johann Jacob Saar, genannt Leichtherz, seinen ehrenvollen Abschied. Am 23. Dezember segelt er mit der "Wilhelm von Seeland" von Batavia ab, am 6. Juli läuft das Schiff im Hafen von Middelburg in Holland ein. Über Amsterdam gelangt er nach Hamburg; dort erreicht ihn ein Brief aus Nürnberg, "daß vor ohngefähr acht Monaten mein lieber Vater, nach dem mich so hertzlich verlangte, aus dieser Welt seeliglich abgeschieden war". Am 11. August 1660 betritt Johann Jacob Saar, jetzt 35 Jahre alt, wieder den Boden seiner Heimatstadt, und er dankt Gott, "daß uneracht Er mir so manches Unglück und Creutz zugeschickt, doch so vätterlich erhalten, aus Hunger und Kummer, aus Feuer und Wasser, aus Hitz und Brand, aus Blösse und Mangel barmhertziglich errettet hat".

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