Historische Reisen:Ein Bayer im Auftrag Seiner Majestät

Historische Reisen: Max Buchner war nicht begeistert von der deutschen Militäraktion in der Kamerunbucht.

Max Buchner war nicht begeistert von der deutschen Militäraktion in der Kamerunbucht.

(Foto: Museum Fünf Kontinente)

Bismarck wollte keine Kolonien für das Deutsche Reich. Doch auf Druck der Händler knickte er ein und schickte eine Delegation los. Mittendrin: der Münchner Arzt Max Buchner.

Von Hans Holzhaider

Es begann mit einem geheimnisvollen Brief aus Berlin. Ob Herr Dr. Max Buchner geneigt und willens sei, noch einmal nach Afrika zu gehen. Es handele sich um einen Auftrag, der nicht leitender, sondern nur beratender Art sei, über dessen nähere Natur man aber vorerst nichts mitteilen dürfe. Herr Dr. Buchner war jedoch nicht geneigt. "Ich lehnte ganz entschieden ab", schreibt er, "weil das Geheimnis mir missfiel, und weil die Subalternität mir noch weniger behagte."

Max Buchner, 1846 in München geboren, hatte, als ihn dieser Brief am 7. Februar 1884 erreichte, schon mehr von der Welt gesehen als die meisten seiner Zeitgenossen. Drei Jahre lang war er durch den Südpazifik gereist, hatte lange in Neuseeland gelebt, und weitere drei Jahre das Reich der Lunda im Kongogebiet erforscht. Eigentlich hatte er genug von Afrika.

Ein zweiter Brief aus Berlin brachte etwas mehr Licht ins Dunkel. Die Reichsregierung, hieß es darin, habe die Absicht, genauere Erhebungen über die deutschen Interessen an der Westküste Afrikas einzuziehen. Man habe als Leiter dieser Mission Dr. Nachtigal ausersehen, dieser wünsche die Begleitung des Herrn Dr. Buchner.

Gustav Nachtigal! Der berühmte Afrikaforscher, der fünf Jahre lang die Sahara, den Tschad und den Sudan bereist hatte und jetzt als Generalkonsul des Deutschen Reichs in Tunis amtierte. Dieser Name hatte einen Klang, dem Max Buchner nicht widerstehen konnte. So kam es, dass am 31. Mai 1884 Seiner Majestät Kanonenboot Möwe mit Nachtigal und Buchner an Bord von Gibraltar aus an der afrikanischen Küste entlang nach Süden dampfte.

Es war ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Otto von Bismarck, der Kanzler des deutschen Kaiserreichs, hatte sich lange Zeit gegen jegliche Expansionsgelüste gesträubt. "So lange ich Reichskanzler bin, treiben wir keine Kolonialpolitik", sagte er 1881 zu dem Reichstagsabgeordneten Graf Frankenberg.

Aber als 1882 England und Frankreich ihre Interessensphären in Afrika absteckten, wurde er schwankend, und 1884 schließlich gab er dem Drängen der großen Handelshäuser in Hamburg und Bremen nach, die militärischen Schutz für ihre Niederlassungen im Golf von Guinea forderten. Nachtigal machte keinen Hehl aus seinem Unwillen, berichtet Buchner: "Was will man eigentlich dort? Die Hamburger Schnapsinteressen stärken?"

Historische Reisen: SZ-Karte

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Der erste Versuch, die Reichsflagge auf dem schwarzen Kontinent zu hissen, endete kläglich. Am 18. Juni ankerte die Möwe vor der Mündung des Flusses Dubréka im heutigen Guinea, nahe der Hafenstadt Conakry. Ein gewisser Herr Colin, ursprünglich Agent einer Marseiller Handelsfirma, hatte sich hier selbständig gemacht und den örtlichen Fürsten Bala Demba dazu bewogen, einen Brief an den deutschen Kaiser zu schreiben, in dem er deutschen Kaufleuten seinen Schutz zusicherte.

In Berlin hatte man das so gedeutet, als wolle sich der Fürst der deutschen Hoheit unterstellen. Dem war aber nicht so, denn Bala Demba hatte sich schon mit den Franzosen arrangiert. Der Fürst empfing die deutsche Delegation, nahm gnädig das Geschenk des Kaisers, ein vergoldetes Schwert entgegen, aber von einer Flaggenhissung wollte er nichts wissen. Als Nachtigal immer nachdrücklicher auf den Fürsten einredete, beendete dieser die Audienz auf höchst originelle Weise: "Hört Ihr nicht? Es donnert!", rief er. "Es wird gut sein, nach Hause zu gehen. Sonst werdet ihr alle noch nass."

"So endete unser erster Versuch", schreibt Buchner. "Wir sollten jetzt durch eine Flaggenhissung, die ganz unerwartet kam, ganz ohne Auftrag und Voraussicht, und trotzdem heiter glatt gelang, entschädigt und getröstet werden." Das war in den Dörfern Bagida und Lomé an der Küste von Togo, wo, wie so oft an diesen Gestaden, englische, deutsche und französische Handelsniederlassungen eifersüchtig um die Gunst der jeweiligen Stammesfürsten feilschten.

Der Zufall wollte es, dass die Häuptlinge von Bagida und Lomé gerade, als die Möwe vor ihrer Küste ankerte, massiven Ärger mit einem englischen Distriktskommissar im benachbarten Kitta hatten. Es ging um Zölle, die von den Briten auf Tabak, Pulver, Rum und Gin erhoben wurden. Da kam das deutsche Kanonenboot gerade recht.

Flugs unterzeichneten die Häuptlinge einen Vertrag, in dem sie ihr Gebiet dem gnädigen Schutz Seiner Majestät des Deutschen Kaisers unterstellten, "und sodann", notiert Buchner im Tagebuch, "erhielt ich den schönen Auftrag, den ersten deutschen Grenzpfosten zu setzen, den Afrikas Boden tragen sollte. Er war ein ziemlich dicker Gesell, fussdick und drei Meter hoch. An dessen Westseite, warnend gegen Kitta hin, wurde eine Tafel genagelt mit der glücklich getrockneten Aufschrift ,Kaiserlich Deutsches Protektorat'".

Der englische Konsul in Kamerun ist gerade außer Haus

Nun aber geht es weiter, "es kommt das Hauptstück unserer Reise", schreibt Buchner: Kamerun. Die Möwe dampft auf das riesige Mündungsdelta des Kamerunflusses zu, rechts die Vulkaninsel Fernando Póo (heute Bioko), links der in Wolken gehüllte Mount Cameroon. In der Flussmündung verankert liegen die Hulks der europäischen Faktoreien - für die Deutschen sind das die Hamburger Handelshäuser Woermann und Jantzen & Thormählen.

Die Agenten dieser Firmen haben gründlich vorgearbeitet und Präliminarverträge mit den Häuptlingen der Duala abgeschlossen, die den Küstenstreifen des Landes beherrschen (nach ihnen ist die frühere Hauptstadt von Kamerun, Douala, benannt; heute ist Jaunde die Hauptstadt, französisch Yaoundé). "King Bell und King Akwa, denen Kamerun gehört, haben sich bereit erklärt, ihre Hoheit abzugeben an den King of Hamburg", schreibt Buchner. In Windeseile wird der Vertrag unterzeichnet, und schon einen Tag nach dem Einlaufen der Möwe in den drei Dörfern am Ufer des Kamerunflusses die kaiserliche Flagge gehisst.

Die Eile hat ihren Grund. Denn eigentlich, das wissen die Deutschen genau, ist Kamerun Einflussgebiet der Engländer. "Kamerun ist schon seit Jahren so zweifellos unter englischer Vormacht, dass die Engländer es unterließen, hier noch förmlich zu annektieren", weiß Buchner. Schon seit 30 Jahren gibt es hier einen englischen Konsul, der auch, gemeinsam mit den Häuptlingen, die Gerichtsbarkeit ausübt, "um in den ewigen Streitereien zwischen den Negern und Europäern seine Entscheidungen zu fällen".

Nur ist der Konsul, Hewett heißt er, gerade unterwegs, als die Deutschen handstreichartig ihre Flagge hissen. Fünf Tage später kommt Hewett an Bord des Kanonenboots Flirt zurück - fünf Tage zu spät. Er muss fortan mit dem Spitznamen "Too-late-consul" leben.

Gustav Nachtigal fährt mit der Möwe weiter nach Süden und lässt Max Buchner als "Interimistischen Vertreter des Deutschen Reichs" in Kamerun zurück. Da sitzt er nun, in einem winzigen Zimmerchen in der Faktorei des Hauses Woermann. "Zwei Revolver, ein Drilling, ein Repetiergewehr und eine Kriegsflagge waren die Machtmittel, die ich hatte. Man wusste nicht recht, was ich eigentlich sollte. Ich kaufte kein Palmöl, kein Elfenbein, ich hatte weder Zeug noch Pulver, noch auch köstlichen Schnaps zu vergeben, und war somit sehr wenig verwertbar."

Und nun zeigt sich, dass die Dinge doch viel komplizierter sind, als die Deutschen es sich in ihrem patriotischen Impetus ausgemalt hatten. Denn unter den Duala gibt es massiven Streit. Zwar haben sich die Häuptlinge Bell und Akwa mit ihren Anhängern den Deutschen unterworfen, aber es gibt einen dritten einflussreichen Häuptling, Lock Priso, der zu den Engländern hält, und der die Verträge nicht unterschrieben hat.

Historische Reisen: "Ein zweifelhafter Sieg über einige hundert Neger." Zeichnung: Illustrirte Zeitung, 28.2.1885

"Ein zweifelhafter Sieg über einige hundert Neger." Zeichnung: Illustrirte Zeitung, 28.2.1885

Und auch unter den Bell- und Akwa-Leuten herrscht Unfrieden, weil etliche Unterhäuptlinge den Verdacht haben, dass ihre Könige von den Deutschen ein ordentliches Schmiergeld - "Dash" nennt man das hier - bezogen und nicht gerecht verteilt haben. Buchner sieht das Unheil kommen und fordert militärischen Schutz an.

Am 16. Dezember 1884 bricht der Konflikt offen aus. Lock Prisos Leute brennen das Dorf von King Bell nieder. Zwei Tage später laufen die Kriegsschiffe Bismarck und Olga ein. Eigentlich ist es ein Konflikt zwischen rivalisierenden Gruppen der Duala, aber Admiral Eduard von Knorr nutzt die Gelegenheit, dem England-freundlichen Lock Priso eine Kostprobe deutscher Militärmacht zu geben. Seine Kanonenboote beschießen Lock Prisos Dorf, das Haus des Häuptlings wird niedergebrannt.

Die Aktion kostet den Agenten des Handelshauses Woermann, Pantänius, das Leben. Lock Prisos Leute hatten ihn als Geisel genommen und erschießen ihn als Vergeltung für den Überfall. Ein deutscher Matrose fällt beim Sturm auf das Dorf, acht werden verletzt - wie viele Opfer der Überfall auf Seiten der Duala fordert, ist nicht überliefert. "Ein zu hoher Preis für den zweifelhaften Sieg über einige hundert Neger", kommentiert Buchner. "Es wäre viel besser gewesen, wenn die ganze dröhnende Schlacht überhaupt unterblieben wäre."

Buchner, der sich nie hatte träumen lassen, dass er einmal die deutsche Kolonialmacht in Afrika repräsentieren sollte, muss noch fast sechs Monate in Kamerun ausharren. Er hatte sich kurz nach seiner Ankunft mit Malaria infiziert, immer häufiger wird er vom Fieber geschüttelt. Als er am 8. Juli 1885 an Bord der Ella Woermann nach Hamburg kommt, ist er so schwach, dass man ihn vom Schiff tragen muss. "Von meinen 140 Pfund wog ich nur noch 90", schreibt er.

Auch seinen Patriotismus hat das Abenteuer nicht gestärkt. "Wir haben es glücklich so weit gebracht, dass wir überall verhasst sind", schreibt er. "Keine andere Nation speit nebenbei so viel Hässlichkeit und plumpe Aufgeblasenheit in die weite Welt. Wir sind zu eilig stolz geworden. Und dabei kleben uns noch immer aus der guten alten Zeit allerlei üble Neigungen an - die Patzigkeit und Kommandiersucht, wo man überlegen ist, das Lakaientum und die Huldigungsfreude, wo ein Fusstritt kommen kann."

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