Süddeutsche Zeitung

Historie:Als die Salzherren das Sagen hatten

Traunstein feiert die erste Pipeline der Welt mit einem Historienspiel. Vor 400 Jahren wurde die neue Soleleitung aus Bad Reichenhall in Betrieb genommen. Doch reich war die Kreisstadt schon lange davor geworden

Von Matthias Köpf, Traunstein

Die Verhältnisse waren für jeden klar erkennbar: Wenn sich die Würdenträger, etwa an Fronleichnam, zur Prozession formierten, schritt der Salzmaier vorneweg, und dann folgten noch etliche weitere Salzbeamte und Staatsdiener, ehe an zwölfter Stelle die vier Bürgermeister kamen, die sich in Traunstein Mitte des 17. Jahrhunderts alle halben Jahre an der Stadtspitze abwechselten. Das Salz hatte die Traunsteiner schon lange vorher reich gemacht, doch im August 1619 wurde der Handelsplatz auch zur Produktionsstätte. Damals wurde die Soleleitung von Bad Reichenhall zur neuen Saline in Traunstein in Betrieb genommen, eine technische Meisterleistung, die nun, genau 400 Jahre später, als "erste Pipeline der Welt" gefeiert wird.

Und wenn durch Pipelines heute nach landläufigem Verständnis vor allem Erdöl oder Erdgas fließt, so war das Salz diesem in seiner Bedeutung einst durchaus vergleichbar. Staaten wie die Fürstpropstei Berchtesgaden oder das Fürstbistum Salzburg gründeten ihren Reichtum und ihre Selbständigkeit auf das Salz, das beileibe nicht nur zum Würzen gebraucht wurde, sondern vor allem zum Konservieren von Lebensmitteln und als Rohstoff etwa zum Gerben von Leder. Das Steinsalz wurde an manchen Orten im östlichen Alpenraum schon immer trocken aus den Bergstöcken gebrochen oder mit Wasser herausgelöst wie im Salzbergwerk Berchtesgaden, dem ältesten immer noch betriebenen Bergwerk Deutschlands, in dem seit 502 Jahren ununterbrochen Salz abgebaut wird.

Besonders privilegiert war stets Bad Reichenhall. Hier trat die Sole ganz ohne menschliches Zutun zutage, was sich allerspätestens die Römer zunutze machten. Etliche Jahrhunderte später bildeten sich feste Handelsstrukturen heraus. Städte wie Laufen, Traunstein, Rosenheim und Wasserburg erhielten das Niederlags- und Stapelrecht für das Salz. Sie waren vorgeschriebene Etappenziele für den Handel mit Salz, das dort abgeladen und gelagert werden musste, bis es sich die Händler aus der nächsten Stadt abholten. Bis heute sieht man diesen Städten ihren einstigen Reichtum an.

So gesehen sind die Traunsteiner eigentlich viel zu spät dran, wenn sie nun 400 Jahre Salzgeschichte feiern. Doch das Jahr 1619 brachte in der Tat eine einschneidende Veränderung. Denn im weiten Umkreis um Reichenhall war das Holz knapp geworden, das in großen Mengen gebraucht wurde, um die Sole zu erhitzen, das Wasser verdampfen zu lassen und so das Salz zu gewinnen. Rund um Traunstein standen die Wälder immer noch dicht, und auch von Inzell her über die Rote Traun und von Ruhpolding über die Weiße Traun konnte noch jede Menge Holz aus dem Gebirge nach Traunstein getriftet werden.

Die bayerischen Herzöge hatten zuvor die privaten Reichenhaller Siedeherren nach und nach ausgebootet, die Sudpfannen und später auch den Handel verstaatlicht und sich so ein äußerst einträgliches Salzmonopol verschafft. Herzog Maximilian entschied, dass bei Traunstein eine neue Saline gebaut werden sollte. Die Sole sollte von Bad Reichenhall durch eine hölzerne Leitung nach Traunstein fließen, die auf ihren 32 Kilometern einen Höhenunterschied von 260 Metern überwinden musste. Dazu entwarfen Hofbaumeister Hans Reiffenstuel und sein Sohn Simon ein System von sieben Pumpstationen. Daraus leiten die Traunsteiner heute ihr Recht an der "ältesten Pipeline der Welt" ab, denn im österreichischen Salzkammergut gab und gibt es zwar eine noch ältere Soleleitung, die aber nur dem natürlichen Gefälle folgt.

Ein großes Wasserrad, wie es die Reiffenstuel'schen Pumpen antrieb, steht nun als Nachbau vor den barocken Salinengebäuden in Traunstein, daneben steht eine Reichenbach-Pumpe, wie sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts bei der Modernisierung und Verlängerung der Soleleitung bis zur nächsten neuen Saline in Rosenheim verwendet wurde. Die Pumpen sind die zentralen Schaustücke des Salinenparks, der am kommenden Wochenende eröffnet wird. Danach wird es noch eine Ausstellung, ein Historienspiel und einen zweitägigen Zug der Samer, also der historischen Salzspediteure, mit ihren Lastpferden von Ruhpolding nach Traunstein geben. Ferner gibt Stadtarchivar Franz Haselbeck das Buch "Traunstein ohne Salz?" heraus, in dem er selbst und einige andere Autoren die Salzgeschichte in vielen Facetten beschreiben.

An der Stelle des Salinenparks standen bis vor kurzem zwei Turnhallen, deren Abriss zwar durchaus umstritten war, die von den Stadträten aber schon vor einigen Jahren umstandslos einem großen Hotelriegel hätten geopfert werden sollen. Oberbürgermeister Christian Kegel (SPD) räumte nach seinem Amtsantritt 2014 die Hotelpläne wieder ab und setzte stattdessen auf die Pläne des Fördervereins Alt-Traunstein, der von einem ungenannten Gönner eine Million Euro für einen neuen Salinenpark erhalten hatte. Dem Verein geht es nach den Worten seines Vorsitzenden Richard Kraft um die Identität der Stadt, und auch OB Kegel sagt, dass Traunstein "auf seine salinarische Vergangenheit sehr, sehr stolz sein" könne - und gerne auch wieder etwas stolzer sein dürfe. So sieht es auch Stadtarchivar Haselbeck, der aber der historischen Genauigkeit halber anmerkt, dass die Au mit der Saline verwaltungsmäßig gar nicht zu Traunstein gehörte. Der 1619 angesiedelte Großbetrieb mit mehr als 500 zugezogenen Arbeitern wurde in der damals 1500 Einwohner zählenden Stadt misstrauisch beäugt. Die Au habe noch Ende der Achtzigerjahre, als er selbst nach Traunstein zog, als Glasscherbenviertel gegolten, sagt Haselbeck. Sie kam erst 1914 zur Stadt, zwei Jahre nachdem die Saline ihren Betrieb wieder eingestellt hatte. Die Saline in Rosenheim lief bis 1958, die in Bad Reichenhall gibt es bis heute. 1991 hat sie der Freistaat wieder privatisiert.

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SZ vom 08.07.2019
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