Hirschaid (dpa/lby) - Rund eineinhalb Jahre vor der nächsten Landtagswahl in Bayern hat die hiesige FDP ihren Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung erhoben. Auf ihrem zweitägigen Parteitag im oberfränkischen Hirschaid gab Landeschef Martin Hagen aber nicht nur die hohe Messlatte von acht Prozent plus X für die nächste Wahl an - zugleich beschlossen die rund 400 Delegierten auch programmatische wie strukturelle Neuerungen. Besonders auffällig ist dabei eine Satzungsänderung: In Bayern sind künftig auf allen Parteiebenen Doppelspitzen möglich.
„Wir haben heute die Tür für mehr Vielfalt in unseren Führungsstrukturen geöffnet. Jetzt hat die Partei überall die Chance zu zeigen, dass sie vom Engagement von Frauen und Männern getragen wird“, sagte FDP-Landtagsfraktionsvize Julika Sandt. Die FDP-Bayern sei damit der erste FDP-Landesverband in Deutschland. Doppelspitzen sind demnach in allen Vorständen von der Orts- bis zur Landesebene sowie der Landesfachausschüsse möglich.
„Studien haben belegt, dass gemischte Teams erfolgreicher sind. Zudem kann eine Aufgabenteilung das politische Ehrenamt erleichtern“, betonte Sandt. Dabei bleibe der Ansatz aber „zutiefst liberal“, denn jede Parteigliederung könne nun selbst entscheiden, ob sie eine Doppelspitze wolle. „Die Dreiviertelmehrheit für den Antrag hat gezeigt, dass die Delegierten offen für moderne Strukturen sind.“
Zum Auftakt des Parteitags am Samstag hatte Hagen in seiner Grundsatzrede das neue Selbstbewusstsein der Bayern-FDP demonstrativ betont: „Unser Anspruch ist klar: Wir wollen Bayern gestalten“, sagte er unter großem Applaus am Samstag auf dem Landesparteitag der FDP im oberfränkischen Hirschaid. „Wir wollen Regierungsverantwortung übernehmen.“ Zur Erinnerung: 2018 war die FDP mit 5,1 Prozent nur knapp und erst nach einer langen Zitterpartie in den Landtag eingezogen. Die aktuell regierenden CSU und Freien Wähler hatten zudem wiederholt erklärt, ihr Zweierbündnis fortsetzen zu wollen.
Derartige Ankündigungen scheinen Hagen nicht zu stören. Die FDP sei eineinhalb Jahre vor der Landtagswahl „in bester Verfassung“, betonte er. 8800 Mitglieder hätten die bayerischen Liberalen aktuell, „so viele waren wir noch nie und wir werden noch mehr“. Wenn jetzt Landtagswahl wäre, könne die FDP auf acht Prozent hoffen, dieser Wert könne in den kommenden Monaten aber noch gesteigert werden. Wie die Bundesregierung benötige auch die Staatsregierung mehr Liberalität.
Mit Blick auf die Landtagswahl in Bayern und die aktuelle Debatte um die Energieversorgung nutzte die FDP den Parteitag auch, um ihre Programmatik neu zu justieren. Als Gegenmittel gegen Preisanstiege brauche es „im Energiesektor mehr Marktwirtschaft“, sagte Hagen. Zudem müssten die Abgaben auf Strom „radikal“ reformiert und der Ausbau der Erneuerbaren von allen Bremsen befreit werden. Nur mit günstigerem Kosten seien die Menschen bereit, auf ein Elektroauto umzusteigen oder sich von ihrer alten Ölheizung zu trennen.
Deutschland habe sich in den vergangenen Jahren zu abhängig von einzelnen autokratischen Systemen gemacht. Zudem habe die Politik trotz des Wissens um das Auslaufen der letzten Atommeiler zum Jahresende nichts gemacht, um die absehbare Stromlücke zu decken. In Bayern habe die CSU sogar die Lage durch ihre Haltung gegen den Ausbau der Stromnetze und die Windenergie noch schlimmer gemacht.
Im 19-seitigen Leitantrag zur Energieversorgung der Zukunft sprachen sich die Autoren ferner für einen breitgefächerten Energie-Mix aus: „Funktionierender Wettbewerb und Marktwirtschaft sichern eine klimaneutrale Zukunft zu möglichst geringen Kosten. Welche Technologien oder Energieträger dabei kostengünstig und vor allem schnell den Umbau unseres Energiesystems herbeiführen, das kann und wird erst die Praxis zeigen.“
In seiner Grundsatzrede lobte Hagen die Arbeit der FDP im Bund und dabei insbesondere die seit Sonntag geltenden neuen Corona-Regeln, die auf deutlich mehr Eigenverantwortung der Menschen und weniger Verbote setzt. In einer freien Gesellschaft müsse nicht die Freiheit begründet werden, sondern ihre Einschränkung. Dass die CSU dies nun kritisiere, liege nur daran, dass sie künftig nicht mehr willkürlich agieren sondern ihre Corona-Maßnahmen rechtfertigen müsse.
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