Süddeutsche Zeitung

Hinweisschilder:Ein Wald aus Blech

  • Die Zahl der Schilder steigt und steigt, die an Autobahnen auf touristisch (mehr oder weniger) Sehenswertes hinweisen.
  • Anfangs bekamen nur einzelne Regionen eine solche "touristische Unterrichtungstafel", mittlerweile haben unzählige Seen, Schlösser etc. eine eigene.
  • Verantwortlich sind in Bayern die Autobahndirektionen.

Von Claudia Henzler, Nürnberg

Die großen braunen Schilder am Straßenrand können eine Autobahnfahrt zu einer fast schon kurzweiligen Angelegenheit machen, weil sie so oft zum Rätselraten einladen. Was mag es beispielsweise mit diesem riesigen Insekt auf sich haben, das den Markt Feucht angreift und offenbar Zeidelwesen genannt wird? Und was ist eigentlich Gügel? Und warum ist Gügel sehenswert? Solche Fragen stellen sich immer häufiger, denn die Zahl der Hinweistafeln steigt und steigt.

Während die Schilder anfangs vor allem auf regionale Landschaften hinwiesen, werben sie heute häufig für einzelne Museen und Attraktionen. Eine der ersten "touristischen Unterrichtungstafeln" in Nordbayern wurde 1991 an der A 9 aufgestellt: Es war eine Zeichnung von einem Surfer vor romantischer Altstadtkulisse, die auf das Fränkisches Seenland aufmerksam machte. Inzwischen hat dieses Schild mächtig Konkurrenz bekommen. Nicht nur jeder See hat seine eigene Tafel, sondern auch diverse Städte, Schlösser und sonstige Sehenswürdigkeiten im Seenland.

Aktuell stehen allein in dem Gebiet, für das die Autobahndirektion Nordbayern zuständig ist, 518 touristische Unterrichtungstafeln. Sie zeigen etwa 220 verschiedene Motive. Und ein Ende ist nicht abzusehen: Momentan wartet zum Beispiel Schwarzenbach an der Saale auf einen Bescheid aus der Autobahndirektion. Die oberfränkische Stadt will an A 9 und A 93 für das Erika-Fuchs-Haus werben. In dem Museum werden seit 2015 die Sprachkunst der früheren Comic-Übersetzerin und die Bewohner von Entenhausen gefeiert. Der Bürgermeister und der Stadtrat wären bereit, 30 000 Euro für vier braun-weiße Werbeschilder an den Autobahnen auszugeben.

Dass der Schilderwald so gedeiht, liegt zum einen an den gelockerten Vorschriften. 1988, als in Deutschland die ersten "Richtlinien für touristische Hinweise an Straßen" in Kraft traten, durfte nur alle 20 Kilometer eine Hinweistafel stehen. Heute ist es möglich, dass vier Schilder direkt hintereinander vom Fahrbahnrand grüßen, wie in Ingolstadt, wo dem Besucher sowohl die Altstadt ans Herz gelegt wird, als auch das Audi Forum, Ingolstadts Bedeutung als Wiege des Reinheitsgebots und das Outletcenter.

Mutmaßlich jedenfalls, so genau kann man das beim Vorbeifahren gar nicht erfassen. Während der Abstand zwischen den Schildern geringer wurde, durfte die Entfernung zur beworbenen Attraktion wachsen: So hat seit 2013 auch Pappenheim eine eigene Hinweistafel an der A 9. Laut Zusatzschild erreichen Autofahrer das Städtchen mit einem Abstecher von immerhin 40 Kilometern.

Eine offizielle Übersicht über alle touristische Hinweistafeln an Deutschlands Autobahnen gibt es nicht, denn die Aufstellung wird nicht zentral gesteuert. Es gelten zwar bundesweite Richtlinien zu Gestaltung und Abstand der Schilder, für deren Umsetzung sind jedoch die Bundesländer zuständig. In Bayern wurden die beiden Autobahndirektionen damit betraut. Weil es aber nicht zu deren Aufgabengebiet gehört, die touristische Bedeutung einzelner Landschaften und Attraktionen zu bewerten, holen sie sich zu jedem Antrag Stellungnahmen von den überregionalen Tourismusverbänden ein.

Die Schilder an der Autobahn sind uneinheitlich und teils konfus

Für deutsche Verhältnisse läuft das Verfahren ungewöhnlich konzeptfrei ab: Ob Stadt, Freizeitpark, Zoo oder auch der Gemüseerzeugerverband Knoblauchsland e.V.: Sie alle können sich mit ihrem Wunsch direkt an die Autobahndirektion wenden. Die Tourismusverbände dürfen zwar ihre Meinung sagen, in den meisten Fällen haben sie aber überhaupt keinen übergeordneten Plan und kein Gremium, das über die Wichtigkeit der einzelnen Sehenswürdigkeit und deren Prioritäten bei der Schildervergabe entscheiden würde. So wirkt die Auswahl letztlich beliebig und ist stark vom Engagement der Antragsteller abhängig.

Auch die Gestaltung liegt übrigens nicht in einer Hand. Vorgeschrieben sind die Farben Braun und Weiß, eine serifenlose Schrift und die Beschränkung auf zwei Zeilen Text. Für das Design aber sind die Antragsteller selbst zuständig. So kommt es, dass manche Kommune beim Versuch, möglichst viele Informationen auf ein Schild zu packen, vor allem Fragezeichen produzieren. Gügel, so klärt das Lexikon auf, ist übrigens sowohl eine Wallfahrtskirche als auch ein Stadtteil von Scheßlitz im Landkreis Bamberg.

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Quelle:
SZ vom 21.06.2018/bhi/sim
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