Hilfe bei Spielsucht:Besessen vom Glück

Lesezeit: 5 min

Hilfe bei Spielsucht: Eine Spielhalle im Münchner Bahnhofsviertel. Viele Spieler nutzen mehrere Automaten gleichzeitig. Das Suchtpotenzial ist hoch.

Eine Spielhalle im Münchner Bahnhofsviertel. Viele Spieler nutzen mehrere Automaten gleichzeitig. Das Suchtpotenzial ist hoch.

(Foto: Stephan Rumpf)

"Wenn ich es richtig anpacke, hole ich mir alles zurück": Die Anzahl der Spielsüchtigen, die sich in den Ruin zocken, steigt seit Jahren. Auf die Spielmanie folgen oft Alkoholabhängigkeit, Depression, sogar Selbstmord. Strengere Regeln für die Automaten-Branche könnten Leben retten.

Von Stefan Mühleisen

Am Anfang stehen der Gewinn und das Hochgefühl, am Schluss bleiben ein Schuldenberg und nackte Verzweiflung. So war das schon bei Fjodor Dostojewski, dem wohl berühmtesten Spielsüchtigen der Literaturgeschichte. Im September 1863 berichtet er in einem Brief euphorisiert, dass er beim Roulette 5000 Franken gewonnen habe. Zwei Jahre später ist er gefangen in der Spielhölle, wie ein flehender Bettelbrief an seinen Freund Alexander Jegorowitsch vom 5. September 1865 dokumentiert: Alles habe er verspielt, alles, was er besaß. "Schicken Sie mir Geld um Gottes Willen (...) Sie werden doch einen Ertrinkenden nicht ohne Geld lassen."

Erst der Big-win, dann der große Absturz: In 150 Jahren haben sich die Mechanismen der Besessenheit vom Glücksspiel nicht verändert. Allerdings gibt es immer mehr Menschen, die in die gleiche Psycho-Falle geraten wie Dostojewski, der seinen Niedergang im Roman "Der Spieler" verarbeitet hat. Die psychiatrischen Kliniken stellen sich vermehrt auf die Behandlung dieser unglücklichen Menschen ein.

Das Isar-Amper-Klinikum im Münchner Vorort Haar hat jetzt als erste Einrichtung in Bayern ein spezielles tagesklinisches Angebot eröffnet. "Uns wurde klar, wie groß der Bedarf für ein Behandlungsangebot ist", sagt die Ärztliche Direktorin Margot Albus.

Wartezeiten dauern an den Beratungsstellen bis zu sechs Wochen

Nach einer aktuellen Erhebung der Landesstelle für Glücksspielsucht gibt es in Bayern 28.000 "pathologische Spieler"; deutschlandweit wird von rund 200.000 ausgegangen. Landesstellen-Geschäftsführer Konrad Landgraf berichtet von einem regelrechten Ansturm auf die bayernweit 24 Glücksspielsucht-Beratungsstellen. Seit 2009 ist nach seinen Angaben die Zahl der Klienten um 42 Prozent angestiegen. Wartezeiten von bis zu sechs Wochen seien keine Seltenheit.

Die Verzweifelten suchen Hilfe, weil bei ihnen das Spielen um Geld krankhafte Ausmaße angenommen hat. Sie zeigen die Symptome einer "nicht stoffgebunden Sucht". Das heißt: Sie brauchen den Kick im Kasino ebenso wie ein Fixer die Heroinspritze. Das fatale: Der Zwang zum Zocken bringt oft noch weitere Begleitkrankheiten mit sich - oder sie sind Folgeerscheinung der selbstzerstörerischen Spielmanie: Alkoholabhängigkeit, Depression, Selbstmord.

Haar, Isar-Amper-Klinikum, Tagesklinik für Spiel- und Internetsüchtige,

Die Psychiaterin Susanne Pechler bei einer Therapiesitzung in der neuen Tagesklinik in Haar.

(Foto: Angelika Bardehle)

Dazu kommt noch die soziale Katastrophe, wenn Ehepartner sich das in jeder Hinsicht ruinöse Verhalten nicht mehr bieten lassen. Das Bestürzende: Nachdem sie ihre Existenz buchstäblich verzockt haben, glauben viele immer noch, Fortuna habe sie auserkoren und mache nur eine Pause. "Sie haben alles verloren. Doch auch in der Therapie denken viele: vielleicht reiß' ich es doch noch - und spreng' die Bank", berichtet die Psychologin Susanne Pechler.

Die Ärztin leitet die neue Tagesklinik für Glücksspielsüchtige in Haar. Einer ihrer Patienten ist prototypisch für dieses psychologische Muster, dem schon Dostojewski verfallen war. Am Anfang von Frederik Müllers (Name geändert) Leidensweg stand ebenfalls ein Big-Win: Mit 30 Jahren führt er seine neue Freundin ins Kasino nach Bad Wiessee aus. Er wollte ihr etwas Exklusives bieten, einen chicken Auftritt in elegantem Ambiente.

Für sein weiteres Leben hatte er großes Pech, an diesem Abend Glück zu haben: Mit 100 Euro Einsatz erspielte er sich 2000 Euro Gewinn am Roulettetisch. Das schnelle Triumph berauschte ihn, "ich war der Mittelpunkt der Welt", berichtete er bei seiner ersten Therapiesitzung - 13 Jahre nach dem Ereignis - seiner Ärztin Pechler. Frederik Müller hatte eine Art Erweckungserlebnis, er glaubte jetzt, ein talentierter Glücksspieler zu sein. "Es setzte eine kognitive Verzerrung ein", beschreibt Pechler diesen Psycho-Virus, der Frederik Müller Denken und Handeln von da an beherrschen sollte. Der Mann war erfüllt von der Illusion, das System des Roulettespiels durchschaut zu haben. "Ich kann es kontrollieren", war er überzeugt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema