Die Szenerie auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg ist gut dokumentiert, im Internet kann sie jederzeit abgerufen werden. In der sogenannten Ehrenhalle, an der während der NS-Parteitage SA und SS aufmarschierten, formen Menschen in weiter Kleidung hakenkreuzartige Figuren auf den Boden, es entsteht ein großflächiges Gebilde. Unterlegt ist die Szene mit sphärischer Musik. "Heilungsritual" ist das Filmchen ebenso überschrieben wie jenes, das kürzlich auf dem Gelände des früheren KZ-Außenlagers Hersbruck entstanden ist. Auch dort sieht man auf dem Doku-Filmchen mehrere Personen bei der Arbeit, wie sie aus Sand ein Bild auf dem Boden entstehen lassen. Wieder sieht man Kreise und Ecken und wieder verformte Hakenkreuze.
Robert Ilg ist Bürgermeister von Hersbruck, er macht eine kurze Pause, wenn man ihn darauf anspricht, was da auf dem Boden des früheren KZ-Außenlagers passiert ist. Das habe er der Lokalzeitung entnommen, sagt er. Und nein, das sei in keiner Weise mit der Kommune abgesprochen gewesen. "Wir distanzieren uns absolut davon."
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Über ein "schamanisches Heilungsritual" hatte die örtliche Zeitung schon vor drei Wochen berichtet, aber womöglich nicht so, dass gleich jedem klar wurde, um was es da eigentlich geht. "Das erste Sandmandala in Hersbruck entstand auf ehemaligem KZ-Grund" war der Text überschrieben. "Die teilnehmenden Menschen wirkten unter der Anleitung und Begleitung von Danny Gross bei der Entstehung des Sandmandalas mit." Dieses sei ein Bild, "das im Prozess des Werdens sehr machtvoll ist und nach Abschluss und Weihung eine magische Kraft erhält, um seine Wirkung in den Herzen der Beteiligten zu vollziehen und wie an geschichtsträchtigen Orten, wie eben hier in Hersbruck, Heilung und Wandlung zu bringen."
Erschrocken sei er, sagt der Bürgermeister, als bei ihm allmählich durchsickerte, um was es da eigentlich geht. Jetzt habe man Kontakt aufgenommen mit dem Mann, der dafür verantwortlich ist, um zum Ausdruck zu bringen, dass man "absolut nicht damit einverstanden" sei. Der Verantwortliche, Danny Gross, versteht nicht, was an seinen Aktionen anrüchig sein soll.
"Wir wollen den Ort schamanisch heilen", sagt er. Hakenkreuze sind für ihn "Swastika", uralte Symbole, die erst heute "viel Negatives" auslösten im Menschen. "Es geht uns darum, dass die Menschen da raus können." Gross bietet im Internet Heilungen für 130 Euro an, er glaubt wahrgenommen zu haben, dass es im neuen Hersbrucker Finanzamt, direkt am früheren Außenlager-Areal, "vielen nicht gut" gehe. Daher habe er über Facebook zum "Heilungsritual" geladen, ein Anwohner habe freundlicherweise einen Platz zur Verfügung gestellt. Und ja, sagt Gross, solche Rituale könne er sich auch an ähnlichen Orten vorstellen. Immerhin sei man 2014 schon auf dem Reichsparteitagsgelände unterwegs gewesen, damals habe "aber niemand berichtet".
Die Stiftung bayerische Gedenkstätten will sich grundsätzlich "nicht als Geschmacksschiedsrichter aufspielen", sagt Ulrich Fritz, wissenschaftlicher Mitarbeiter. In dem Fall aber stoße die Zurückhaltung an Grenzen: "Es geht nicht, dass an so einem Ort mit esoterischer Heilungs-Soße agiert wird", sagt er. Wobei er mit den stilisierten Hakenkreuzen auf einem früheren Lager "nicht mal das größte Problem" habe. Schlimmer noch sei die Attitüde, da könne jemand mit selbst gewählten Mitteln "für eine Versöhnung mit den Opfern" sorgen. "Man kann nicht alles machen, was gut gemeint ist", ist Fritz überzeugt.
Alexander Schmidt, Historiker am Doku-Zentrum Reichsparteitagsgelände, sieht das genauso. Er wusste nichts vom "Heilungsritual" auf dem NS-Gelände in Nürnberg. "Wenn wir so was erfahren, würden wir es auf jeden Fall zu unterbinden versuchen", sagt er. Wobei ihn das "Ritual" in Hersbruck noch mehr entsetze als das in Nürnberg. "Ein früheres Lager", sagt Schmidt, "da müssen sich ehemalige Häftlinge ja veralbert fühlen." Juristische Folgen dürften die Aktionen hingegen nicht haben. Die Zur-Schau-Stellung von Hakenkreuzen sei in solchen Fällen "wohl durch Kunst- und Religionsfreiheit gedeckt", sagt eine Sprecherin der Nürnberger Staatsanwaltschaft.