Hersbruck:Dem Vergessen entreißen

Das Konzentrationslager Hersbruck wurde nach dem Krieg abgerissen und das Areal neu bebaut. Ein Verein will mit einem Gedenkort an die Opfer der Nazis erinnern - gegen viel Widerstand

Von Katja Auer, Hersbruck

Thomas Wrensch war nie drin in den Stollen, die mit so viel Leid in den Berg getrieben wurden. Eine Betonwand versperrt den Eingang an der Houbirg, dem Berg bei Happurg, in den die Nazis eine unterirdische Fabrik für Flugzeugmotoren graben wollten. Tausende Häftlinge verschleppten sie dafür in das Lager Hersbruck, eine Außenstelle des Konzentrationslagers Flossenbürg. Lange Zeit war deren Schicksal vergessen. Und verdrängt.

"Hersbruck wollte nicht als KZ-Stadt in die Geschichte eingehen wie Dachau", sagt Wrensch, "es wurde verdrängt, was ging." Auch ganz praktisch, denn vom einstigen Konzentrationslager ist nichts geblieben. Die ehemalige SS-Kommandatur stand noch bis 2007, nach dem Krieg war sie Hauptschule und Finanzamt, bis sie schließlich abgerissen und an der Stelle ein modernes Finanzzentrum errichtet wurde. Mit grasgrüner Fassade. Wo einmal der Appellplatz war, ist ein Tennisplatz, von den Baracken, in denen die insgesamt 9000 Häftlinge wohnten, ist ohnehin keine übrig. Nach dem Krieg lebten eine Zeitlang Flüchtlinge darin, dann wurden sie weggeschoben. Die ordentliche Wohnsiedlung und die Therme lösen keine Assoziationen an das KZ aus. "Man wollte alle Spuren auslöschen", sagt Wrensch und er klingt beinahe immer noch ein wenig fassungslos.

Als junger Pfarrer kam er nach Hersbruck, die Kleinstadt 30 Kilometer östlich von Nürnberg. Von einem KZ in der Stadt hatte er da noch nie etwas gehört. Ein paar Jugendliche brachten ihn darauf und ein Büchlein, das ihm ein älterer Kollege empfohlen hatte. "Sagen Sie, Herr Pfarrer, wie kommen Sie zur SS", heißt der Bericht von Hans-Friedrich Lenz, der seine Zeit als Lagerschreiber in Hersbruck schildert. Seitdem müht sich Wrensch mit dem Verein "Dokumentationsstätte Konzentrationslager Hersbruck", dessen Vorsitzender er ist, die Geschichte des Lagers dem Vergessen zu entreißen. Auch gegen Widerstände.

Wer heute nach Hersbruck kommt, der stößt - wenn er weiß, wo er suchen muss - auf Informationstafeln, die die Verantwortlichen der Gedenkstätte Flossenbürg vor einigen Jahren aufstellen ließen. In der Nähe ist die Skulptur "Ohne Namen" von Vittore Boccetta, der das Lager überlebte und seitdem immer wieder zurückkehrt nach Hersbruck. Und eine Baustelle. Das Fundament liegt schon direkt hinter dem Parkplatz für Wohnmobile, dort soll ein kleiner Informationsort entstehen. Genauso wie in Happurg, ein paar Kilometer weiter, wohin die Häftlinge zur Arbeit in den Stollen marschieren mussten. Eine Rüstungsfabrik sollte dort im Berg entstehen, aber so weit ist es nie gekommen. Vier Kilometer weit haben sich die Häftlinge in den Berg gegraben, Tausende sind dabei gestorben. Ein Flugzeugmotor wurde nie produziert.

Der Berg eignete sich gut für die Pläne der Nazis, der Dogger-Sandstein ließ sich recht gut abbauen, die darüber liegende Kalkschicht schützte vor dem Regen. Die Eisenbahn führte in der Nähe vorbei und das leer stehende Lager des Reichsarbeitsdienstes war schnell zum KZ umfunktioniert. Vor allem politische Gefangene aus mehr als 20 Ländern waren in Hersbruck interniert, außerdem viele ungarische Juden. Zeitweise waren so viele Menschen im Lager wie die Stadt Einwohner hatte. Gesehen müssen sie alle haben, jeden Tag zog der Arbeitertrupp durch die Stadt.

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Manche steckten den Häftlingen Kartoffeln zu, erzählt Wrensch, viele schauten weg. "Das Gedenken muss in den Köpfen verankert werden", sagt er. Immer wieder hört er, dass es doch nun einmal gut sein müsse mit den alten Geschichten, auch gegen die jüngsten Pläne eines Gedenkortes gab es eine Unterschriftensammlung. Andererseits seien gerade die Schüler, die er als Religionslehrer unterrichtet, sehr interessiert an dem Thema. Der Nachwuchs für den Verein fehlt dennoch, es seien alte Männer, "da nehme ich mich nicht aus", die Führungen anbieten, den Kontakt zu ehemaligen Gefangenen halten und immer wieder anfangen mit den alten Geschichten.

Bis zu 9000 Häftlinge waren in Hersbruck untergebracht, dabei bestand das Lager nicht einmal ein Jahr. Etwa die Hälfte starb, weil die Arbeit hart und die Versorgung schlecht war. Das eigens gebaute Krematorium, das heute am Grund des Happurger Stausees liegt, reichte bald nicht mehr aus, also wurden die Leichen auf Scheiterhaufen in den umliegenden Wäldern verbrannt. In Schupf erinnert ein Mahnmal an die Menschen, ebenso in Hubmersberg. Wer sie besuchen will, braucht einen ortskundigen Gefährten, in den Wanderkarten der Gegend sind die Gedenkstätten nicht verzeichnet. "Wir hätten gerne eine Gedenklandschaft", sagt Wrensch, außerdem müssten die Orte künftig im Tourismuskonzept berücksichtigt werden. Denn auch die Stollen an der Houbirg findet nur, wer sich auskennt. Der schmale Fußweg ist von Laub bedeckt und der Pfad im herbstlich lichten Wald nicht mit Schildern markiert. Die Tunneleingänge sind versperrt, zubetoniert, wegen Einsturzgefahr, heißt es. Davor liegen Blumen.

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