Todesstrafe:Bayerns letzter Henker

Johann Reichhart mit Sohn Hans, 1948

Stets korrekt gekleidet erschien Johann Reichhart (hier im Jahr 1948). Reichhart stammte aus einer Scharfrichtersippe.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Foto)

Johann Reichhart richtete mehr als 3000 Menschen hin - für die Nazis wie für die US-Amerikaner. Eine neue Biografie wertet erstmals auch die Akten seines Spruchkammerverfahrens aus.

Von Olaf Przybilla, Erlangen

Als Johann Reichhart im Mai 1945 von US-Soldaten in seinem Haus abgeholt wird, scheint das Ende seiner beruflichen Laufbahn zum Greifen nahe zu sein. Schließlich ist es der erwerbsmäßige Henker Reichhart gewesen, der in den Jahren zwischen 1933 und 1945 zahlreiche Schandurteile vollstreckt hatte. Von Reichharts Hand starben in diesen Jahren zahlreiche Widerstandskämpfer, auch das Urteil gegen die Mitglieder der Weißen Rose - Christoph Probst sowie Sophie und Hans Scholl - hatte er in Stadelheim vollstreckt.

Dorthin, nach Stadelheim, wurde der gebürtige Oberpfälzer Reichhart 1945 zunächst ebenfalls gebracht, musste sich dort aber nur wenige Tage aufhalten. Lässt man Reichharts Leben Revue passieren, so wirkt es bereits bis dahin wie eine böse Farce, für die sich Brecht und Beckett ausnahmsweise zusammengetan haben, um gemeinsam eine groteske Parabel auf das 20. Jahrhundert ins Werk zu setzen. Reichhart, Spross einer historischen Scharfrichtersippe, war 1918 dem Spartakusbund beigetreten und hatte später versucht, die Münchner Räterepublik zu verteidigen. In den Jahren danach schwang er sich dann zum Handlungsreisenden in Sachen Hinrichtungen auf, erfolgreich zunächst. Das Handwerk des Tötens aber wurde immer weniger auskömmlich, und so verlegte er sich - was läge näher - kurzerhand auf den Vertrieb eines Erziehungspamphlets.

Todesstrafe: Ins Handwerk des Hinrichtens war Johann Reichhart von seinem Onkel Franz Xaver Reichhart eingeführt worden. Das Foto zeigt diesen (links) mit zwei Gehilfen 1890.

Ins Handwerk des Hinrichtens war Johann Reichhart von seinem Onkel Franz Xaver Reichhart eingeführt worden. Das Foto zeigt diesen (links) mit zwei Gehilfen 1890.

(Foto: Stadtarchiv München, FS-NL-KV-2157)

Der einstige Spartakist und Haupterwerbshenker wechselte behände die Disziplin und versuchte nebenher, Leser für ein von Pfarrershand verfasstes Werk namens "Von Mädchenglück und Frauenliebe" zu begeistern. Auch das indes war von kurzer Dauer. Als sein Erstleben aufflog - ein Henker, der sich nun berufen fühlt, Moralinsaures unters Volk zu bringen - war es mit der sittlichen Zweitkarriere zu Ende.

Sein Absturz? Nur für kurze Zeit: Unter der Nazi-Herrschaft blühte nun wieder das Handwerk des erwerbsmäßigen Tötens auf. Bis 1945 hat Reichhart mehr als 3000 Delinquenten hingerichtet, zuletzt als viel beschäftigter Henker der Nazis. 1937 war Reichhart der NSDAP beigetreten.

Und dann also, Mai 1945, saß er selbst in Stadelheim ein. Tatsächlich aber blieb Reichhart nicht lange dort, denn auch nach dem Krieg war sein Handwerk begehrt. Schon im November 1945 war Reichhart "wieder im Dienst", wie der Historiker und Publizist Roland Ernst notiert. In seinem Buch "Der Vollstrecker. Johann Reichhart, Bayerns letzter Henker" (Allitera Verlag, München 2019) beschreibt Ernst, wie Reichhart das Handwerk, in das ihn einst sein Onkel Franz Xaver Reichhart eingeführt hatte, nun im Auftrag der Alliierten weiterführte. Und zwar in Landsberg, wo nicht enthauptet, sondern auf Wunsch der US-Militärjustiz gehängt wurde. Hingerichtet wurden dort NS-Verbrecher, bei denen "Rechtslage, Indizien und Beweislage" nicht so komplex waren wie jene bei den Hauptkriegsverbrechern in Nürnberg.

Damit nicht genug. Tatsächlich wurde im April 1946 ein offizieller Vertrag aufgesetzt. Die Vollzugsanstalt trifft mit Genehmigung der Militärregierung allerlei Vereinbarungen mit Reichhart. So wird er verpflichtet, "auf Verlangen der Justizbehörden innerhalb des ganzen Gebietes des bayerischen Staates die Todesstrafe durch Enthaupten oder durch Erhängen" zu vollziehen. Er müsse "jederzeit zur Dienstleistung" zur Verfügung stehen. Entferne er sich länger als 24 Stunden von seinem Wohnort, so müsse er dies sofort anzeigen.

Ferner wird Reichhart verpflichtet, sich "bei und nach der Vollstreckung in jeder Hinsicht einwandfrei zu verhalten" - und zur "Hinrichtung in einer dem Ernst der Handlung entsprechenden Kleidung zu erscheinen". In insgesamt 156 Fällen wurde Johann Reichhart zu Exekutionen nach Landsberg beordert. Durch seine Hand hingerichtet wurden dort NS-Ärzte, KZ-Blockführer und Nazi-Kommandanten von Vernichtungslagern. Reichhart trug dabei stets, wie vertraglich vereinbart, Anzug und Fliege. Ausgerechnet der Henker von Sophie und Hans Scholl als ein ausgewählter Exekutor der US-Amerikaner? "Naiv, geschmacklos und zynisch", sagt Autor Roland Ernst im SZ-Gespräch, müsse das auf heutige Betrachter wirken. Zumal Reichhart dann sogar im Umfeld der Nürnberger Prozess eine Rolle gespielt habe. Dort beaufsichtigte er den Bau des Galgens.

Das Buch von Ernst ist nicht das erste, das über Reichhart erschienen ist. Er aber hat nun auch die Akten des Spruchkammerverfahrens ausgewertet. 1947 lagen etliche Anzeigen gehen Reichhart vor, die Aussagen von Zeugen lesen sich widersprüchlich. Er wird als "dummer und gutgläubiger Nazi" beschrieben, der alles geglaubt habe, was "ihm Hitler vorlog". Anderen Protokollen zufolge soll er kein "wirklicher Nationalsozialist" gewesen sein. Ein Wirt wusste zu berichten, Reichhart habe bei der NS-Machtübernahme zu einem Gehilfen gesagt: "Wir müssen in die Partei eintreten, denn die NSDAP verschafft uns viel Arbeit." Reichhart verteidigte sich vor der Kammer, er habe nur seine Pflicht getan - und sei stets Diener des Staates gewesen.

Ein überzeugter Nazi? Reichhart versuchte dies mit dem Hinweis auf seine Zeit im Spartakusbund zu entkräften. Er wurde zunächst als NS-Hauptschuldiger belastet, zu Arbeitslager verurteilt, kam aber nach 18 Monaten frei. Er wolle endlich "in der Demokratie mitarbeiten", ließ er wissen, "wie ich es schon vor 1933 getan habe".

Eine Rente bezog Reichhart nicht, als Henker war er stets freiberuflich für den Staat tätig. Bis zu seinem Tod 1972 - verarmt und weithin vereinsamt - handelte er mit "Haarwasser, Heiligenbildchen und Hunden", wie ein Zeuge notiert hat. Auf die Exekutionen angesprochen, ließ er sich acht Jahre vor seinem Tod von einem Journalisten zitieren: "Ich tät's nie wieder."

Am 31. August wird der Fall Reichhart Thema beim Poetenfest in Erlangen sein. Autor Roland Ernst diskutiert dort mit dem Bamberger Schriftsteller Martin Beyer über "Das Böse als Held - ein Nazi-Henker zwischen Fiktion und Recherche". Beyer hat sich in seinem Roman "Und ich war da" dem Reichhart-Stoff fiktional angenähert. Beim Bachmann-Preis in Klagenfurt war ein Kondensat aus diesem Text ungewöhnlich heftig debattiert worden.

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