Fortbildung:Was bayerische Lebensretter von Israel lernen können

Fortbildung: Wie in Deutschland trainieren auch die israelischen Retter an einer Puppe.

Wie in Deutschland trainieren auch die israelischen Retter an einer Puppe.

(Foto: BRK)

Das Bayerische Rote Kreuz informiert sich in Tel Aviv über Strategien im Fall eines Terrorschlags. Und staunt über Lässigkeit bei größter Hektik.

Von Dietrich Mittler

Rudolf Cermak, der Katastrophenschutzbeauftragte des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK), nickt zufrieden. Gerade eben hat er erfahren, dass Bayern seine Beziehungen zu Israel auf politischer Ebene weiter intensivieren will.

"Passt", sagt Cermak. Soeben hat er bayernweit ausprobiert, was er kürzlich mit Kollegen bei einer Kurzvisite in Israel mitverfolgen konnte: Die BRK-Leute hatten sich dort über Strategien informiert, wie die Rettungskräfte im Fall eines Terroranschlags vorgehen.

Und dazu gehört auch, nach Terrorattacken professionell alle Kommunikationsnetze zu nutzen. Von seinem Schreibtisch in München aus hat Cermak also per Digitalfunk Kollegen in Regensburg, Würzburg und anderen bayerischen Städten kontaktiert. Der Gesprächston, so erzählt er, war locker, der Hintergrund nicht: Übungen wie diese könnten womöglich einmal Leben retten.

Verlässliche Kommunikationswege sind da ein entscheidender Faktor. Nach Anschlägen, so erfuhren Cermak und seine Begleiter in der zentralen Rettungsleitstelle von Tel Aviv, läuft dort viel auch über Handys. Ersthelfer oder auch die Notfallsanitäter ("Paramedics"), die sich gerade nahe des Anschlagsorts aufhalten, werden per App alarmiert.

Jene, die als erste eintreffen, nutzen ihre Handykameras, um umgehend der Rettungsleitstelle über Whatsapp aktuelle Bilder zukommen zu lassen - vom Anschlagsort, von den Zufahrten, von schweren Verletzungen der Opfer.

Nicht weniger schnell gelangen dann die Bilder und Filmsequenzen in die Krankenhäuser, die die Verletzten aufnehmen sollen. "Da gäbe es bei uns datenschutzrechtliche Probleme", sagt Cermak.

Und das nächste Problem: Bei Großveranstaltungen wie Rockkonzerten kämen Rettungskräfte selbst in München mit dem Handy bisweilen gar nicht mehr durch, aufgrund der Netzüberlastung. "Jesses na!", sagt Cermak - in Gedanken noch in Israel, wo das alles besser läuft.

Als rein theoretische Einführung hatten die Gastgeber der Rot-Kreuz-Partnerorganisation "Roter Schild Davids" den Rundgang durch die Leitstelle, das "National Dispatch Center", vorgesehen. Doch die Realität ließ alle Planung weit hinter sich. "Wir standen gerade vor den Monitoren, da kam ein Alarm rein - eine Schießerei in Jerusalem."

Trotz dieser Meldung sei alles ruhig und professionell abgelaufen. "In der Leitstelle herrschte deshalb keine Hektik", sagt Cermak. Respekt für die Kollegen in Israel schwingt in seiner Stimme mit. "Ich bin hochbeeindruckt", sagt er, "ich habe immer gedacht: Wir sind die Allerbesten."

"Load and go" statt "stay and play"

Eines hat dem BRK-Mann aber besonders gefallen: "Diese nicht gespielte Lässigkeit, die die haben. Die sind einfach lässiger, nicht so aufgeregt." Doch eines kann auch diese Lockerheit nicht übertünchen: das unterschwellige Gefühl ständiger Gefahr. Nicht wenige der Mitarbeiter in der Rettungsleitstelle tragen Waffen. "Das", so sagt Cermak, "wäre allerdings für das Rote Kreuz undenkbar."

Die Reise hatte gleichwohl einen Schub an innovativen Verbesserungsvorschlägen zur Folge. Cermak hat sie mit seinen Kollegen zu Papier gebracht, und einige davon will er baldmöglichst bei einer gemeinsamen Übung mit der Polizei in die Tat umsetzen. "Möglichst unter realistischen Bedingungen in einem Übungsdorf", sagt der Katastrophenschutzbeauftragte des BRK, "und hundertprozentig werden wir da Dinge einbringen, die wir in Israel gelernt haben."

Ob dabei auch - wie in Israel - mit Blaulicht und Materialkoffer ausgestattete Motorroller oder Ersthelfer-E-Bikes zum Einsatz kommen, glaubt Cermak zwar nicht. "Aber", so kündigt er an, "es wird einen Systemwandel geben."

Früher folgte das BRK bezüglich Einsatztaktik faktisch immer dem Grundsatz "stay and play", was nichts anderes bedeutet, als noch am Einsatzort Patienten so weit zu stabilisieren, dass sie transportfähig sind - auch wenn es länger dauert. Viele umherstehende Einsatzfahrzeuge oder gar Versorgungszelte bei Großeinsätzen sind jedoch für Attentäter ein potenzielles Ziel, um ein zweites Mal anzugreifen.

"Stichwort Zweitschlag", sagt Rudolf Cermak. Oder wie das neuerdings beim BRK heißt: "Second Strike". Die Einsatztaktik der Israelis lautet indes, die Patienten sofort in den Rettungswagen zu bringen, und dann ab ins Krankenhaus - oder wie Cermak seine israelischen Kollegen wiedergibt: "load and go".

All das will der BRK-Mann nun mit der Polizei gemeinsam üben. Und auch da spielt die Kommunikation eine entscheidende Rolle. "Nicht, dass es uns wieder so ergeht, wie beim Amoklauf am Olympia-Einkaufszentrum", sagt Cermak. Da hätten einige Polizeibeamte den Rettungskräften signalisiert, sie könnten nun zu den verletzten Opfern vordringen. "Und hundert Meter weiter stand da einer vom SEK und sagte: Haut's bloß ab, Deckung, raus - der schießt noch!", gibt Cermak Kollegen wieder, die bei diesem Einsatz vor einem Jahr dabei waren.

Eines würden die Rettungskräfte des BRK indes nur zu gerne von den Israelis übernehmen - ihre Entscheidungsfreiheit bei den Einsätzen. "Die Paramedics dürfen nach Abschluss aller ihrer Prüfungen alleinverantwortlich agieren", sagt Cermak. Ärztlichen Rat könnten sie nach eigenem Ermessen anfordern.

Doch, so zeigt sich am Ende: Bayerns Rettungskräfte sind trotz des bisweilen etwas neidvollen Blicks über den Tellerrand selbstbewusst. Cermak drückt es so aus: "Wir haben viel gesehen, wir haben viel gelernt, aber ganz doof waren wir bisher auch nicht."

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