Regionalkonferenzen in Bad Reichenhall und Nürnberg:"Hollario, hollaradio"

Regionalkonferenzen in Bad Reichenhall und Nürnberg: Kirche und Windrad, könnte das die Zukunft der Heimat sein? Ganz so eindeutig sind die Antworten leider nicht.

Kirche und Windrad, könnte das die Zukunft der Heimat sein? Ganz so eindeutig sind die Antworten leider nicht.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Die Staatsregierung bittet bayernweit zum Dialog über die Zukunft der Heimat. Auf den Podien ist die CSU üppig vertreten. Dennoch gibt es nicht nur Erwartbares. Und am Ende bleibt manches Rätsel ungelöst.

Von Matthias Köpf und Olaf Przybilla, Bad Reichenhall/Nürnberg

So schwer ist es gar nicht, sagt Ernst Schusser. Er hat in seinen langen Jahren als oberbayerischer Volksmusikpfleger schon ganz andere zum Singen gebracht. Und weil da droben auf dem Podium inzwischen ziemlich viel geredet worden ist, hat sich jetzt auch er zu Wort gemeldet, übernimmt stattdessen aber nur kurz das Dirigat. "Hollario, hollaradio", jodeln die etwa 80 Menschen im Königlichen Kurhaus in Bad Reichenhall also bald, und auch die Menschen am Podium kommen da kaum aus. Schließlich befinden sie sich mitten im "Zukunftsdialog Heimat.Bayern" der Staatsregierung, und wenn dem Volk hier auf der "Regionalkonferenz Oberbayern Süd" nach Jodeln ist, dann jodeln auch die beiden frisch ernannten "Heimatbotschafterinnen" für die Region, der Geschäftsführer des Landesvereins für Heimatpflege, die hier in Reichenhall besonders heimatnahe Landwirtschaftsministerin und CSU-Kreisvorsitzende Michaela Kaniber sowie deren Parteifreund Albert Füracker, der den vollen Titel "Staatsminister der Finanzen und für Heimat" trägt.

Kaniber und Füracker tingeln seit Wochen in Sachen Heimat durchs Land, wie Kaniber selbst es ausdrückt. Die Regionalkonferenz in Bad Reichenhall ist schon die siebte. An diesem Montag soll in Wunsiedel die achte und letzte stattfinden, ehe die "vielen Dialoge", die man laut Kaniber geführt, und die "vielen Ideen," die man daraus mitgenommen habe, bis zum kommenden Frühjahr in eine "Zukunftsvision Heimat.Bayern" und einen gleichnamigen Kongress gegossen werden sollen. Was die "Heimat.Bayern" betrifft, so ist die Hälfte hinter dem Punkt deutlich leichter zu definieren als die davor. Die kaum verlustfrei in andere Sprachen übersetzbare "Heimat" hat auf jeden Fall eine gefühlige Komponente, so viel wird klar aus den Statements am Podium. Rudolf Neumaier vom Landesverein für Heimatpflege kreist das Thema mithilfe der Wörter "miteinander" und "füreinander" ein, Kaniber hat aus den bisherigen Beiträgen nach eigenen Worten "Gemeinschaft" und "Nachhaltigkeit" als zwei zentrale Themenbereiche erkannt.

Man werde "schauen, was in konkretes politisches Handeln umgesetzt werden kann", versichert Füracker. Dass derlei politische Marktforschung vor der Landtagswahl auch ein bisschen PR-Charakter hat, drängt sich drunten im Saal derweil selbst einem eingefleischten Christsozialen auf. Von denen gibt es an diesem Abend viele im Königlichen Kurhaus, seien es nun Land-, Kreis-, Stadt- oder Gemeinderäte. "Bewerben" konnte sich jeder für die Teilnahme an so einer Regionalkonferenz, bei der dann stattdessen von 120 "Anmeldungen" die Rede war. Gekommen sind am Ende 80 Leute, aber Kaniber und Füracker verweisen da öfter auf die mehr als 5000 Menschen, die sich bisher online am Zukunftsdialog beteiligt und "Abertausende Impulse und Ideen" beigetragen hätten.

Im Saal in Bad Reichenhall sind es deutlich weniger, die Wortmeldungen drehen sich etwa um die kleinen Wasserkraftwerke, die vom Bund praktisch ausgetrocknet würden, um vergünstigtes Bauland für Einheimische, was Brüssel behindere, und um eine neue Dienstpflicht für alle jungen Menschen, sei es bei der Bundeswehr oder in sozialen Organisationen.

Von unten nach oben, so müsse Demokratie sein

In Nürnberg ist nur der Rahmen einen Tag zuvor ein etwas anderer, man trifft sich da im Heimatministerium, eine nachvollziehbare Wahl bei diesem Thema. Ein Mann, der sich humorig als "Agrarflächendesigner" vorstellt - er ist Landwirt -, lässt seinem Unmut über strenge Auflagen für seinen Berufsstand, die Importabhängigkeit der deutschen Landwirtschaft und gleich noch die Düngemittelverordnung freien Lauf. Kaniber sitzt auch hier auf dem Podium. Dass es ihr schwerfiele, ausführliche Antworten auf komplexe Fragen zu extemporieren, wird ihr niemand vorwerfen können.

Eine ihrer Lieblingsvokabeln ist offenkundig "Zielkonflikt", was im Publikum zwar überschaubare Euphorie auslöst. Eines aber will sich ein Mitdiskutant trotzdem nicht nehmen lassen. Dass man der Staatsregierung einfach mal so ins Gesicht sagen könne, wo der Schuh drücke, zukunfts- und übrigens auch ziemlich gegenwartsmäßig, das sei schon in Ordnung. So müsse das laufen in einer Demokratie, findet er, von unten nach oben.

Dass die CSU in dieser bayerischen Demokratie eine gewisse Rolle spielt, das wird auch in Nürnberg selbst der Ignoranteste kaum übersehen können. Zwei CSU-Landtagsabgeordnete mit Ministeramt sitzen auf dem Podium, dazu ein Abgeordneter ohne Ministeramt und eine CSU-Frau ohne Abgeordnetenamt, dafür mit Mandat in einem mittelfränkischen Stadtrat. Das lenkt zumindest die Antworten in eine nicht komplett unerwartbare Richtung. Dafür hält der Humor-Unternehmer Volker Heißmann - er betreibt die Comödie in Fürth und wird an diesem Abend zum "Heimatbotschafter" befördert - allerlei durchaus unverhoffte Schnurren bereit.

Was Heimat ist? Eine Frau aus Rio de Janeiro, offenbar exilierte Fränkin, habe ihm mal gesteckt, dass Heimat für sie sei, die Augen zu schließen und sich dabei Komödiantisches aus Fürth anzuhören. Ein Mann aus Osaka wiederum habe sich die gesammelten Humorwerke aus der Fürther Comödie zukommen lassen, auf Nachfrage habe er erklärt, gerade Deutsch zu lernen. Treffe man also mal auf einen "fränkisch sprechenden Japaner", warnt Heißmann - so dürfte das der Grund sein.

Und zur Heimat, zumindest deren Aporien, gehört dann auch die Erwähnung, dass die Fürther Comödie derzeit Heißmann zufolge zwanghaft versuche, 500 000 Euro aus der Corona-Zeit "ans Kunstministerium" zurückzuzahlen - aber keinen geeigneten Abnehmer dafür finde, angeblich mangels geeigneter EDV. Der Finanzminister dankt für den "interessanten" Hinweis. Manchmal, das bleibt an diesem Abend als Erkenntnis, ist Heimat auch einfach ein Rätsel.

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