Süddeutsche Zeitung

Haushaltsdebatte:Bayern kommt ohne neue Schulden aus

Der Freistaat steht mit 37 Milliarden Euro in der Kreide, doch Finanzminister Albert Füracker (CSU) bejubelt seinen Etat für 2023 als Meisterwerk. Im Landtag holt er zum Rundumschlag gegen Kritiker aus.

Von Andreas Glas und Johann Osel

"Hier isser!", ruft Albert Füracker. Bisschen wie Oli Kahn damals, der Torwart mit der Meisterschale: "Da ist das Ding!" Die Meisterschale des Finanzministers ist der Haushalt, um den geht es am Donnerstag, Finale, nach drei Tagen Beratungen. Der Etat 2023: 71 Milliarden Euro. "Ein Meisterwerk", jubelt Füracker. "Keine neue Schulden, keine Tricksereien." Und was ist der Schwerpunkt des Haushalts? Das werde er oft gefragt, sagt der Minister. Stabil durch die Krise kommen, "das ist der Schwerpunkt".

Das Jammern gehört zum Handwerk eines Finanzministers. Staatskanzlei, Ministerien, Kommunen, alle wollen was vom Minister, der sein Geld möglichst zusammenhalten will. Füracker allerdings hat es in fünf Jahren Amtszeit zu einer gewissen Meisterschaft gebracht in der Disziplin des Jammerns. Über Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), den Obersten Rechnungshof (ORH), die Opposition im Landtag. In seiner Haushaltsrede jammert Füracker, man habe ihn die vergangenen "drei Tage geschimpft, was ich alles für einen Mist mache". Über die Kritik sagt er einmal: "Ich kann das nicht ertragen!"

Jetzt ist also Füracker dran, er gibt der Opposition kräftig raus. Dass Grüne, SPD und FDP, "die kleine bayerische Ampel", ihm etwas über solide Finanzen erklären wollten? "Fast schon ein Hohn". Spricht Füracker von "Tricksereien", meint er ja den Bund und Lindner, dem er vorwirft, Schulden als Sondervermögen zu tarnen. Was Füracker lieber nicht betont: Dass der Freistaat seine Schulden aus der Landesbank-Rettung, derzeit noch 7,3 Milliarden Euro, ebenfalls in einen Sonderetat ausgegliedert hat.

Dass die Opposition so tue, als sei es "eine Strafe, in Bayern zu leben", müsse aufhören, Füracker ist ja nicht nur Finanz-, sondern auch Heimatminister. Er stöhnt über einen "Wettbewerb des Schlechtredens", dabei sei Bayern in einem "Top-Zustand". Ein Exkurs zum Länderfinanzausgleich darf nicht fehlen. Bayern top, Rest-Deutschland bäh, Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hätte seine Freude an Fürackers Rede. Halt blöd, dass er nicht anwesend ist. Schon am Dienstag, Tag eins der Beratungen, hatte SPD-Fraktionschef Florian von Brunn gespottet: "Lässt sich seine Hoheit Markus Söder heute noch blicken?"

Als Söder noch Finanzminister war, sagte er, der Haushalt sei für die CSU, was für die Grünen die Umwelt sei. Der dicke bayerische Geldbeutel gehört zur Identität dieser Partei, die seit 65 Jahren den Finanzminister stellt. Doch keiner dieser Minister hatte mehr Schulden am Hals als Füracker. Ende 2022 lag der Schuldenstand bei 37 Milliarden Euro, Rekord. Das ist die andere Seite der Fürackerschen Verheißungen. Heißt das jetzt, dass die CSU in einer finanzpolitischen Identitätskrise steckt? Und mit ihr der Minister? Der ORH warnte schon zu Wochenbeginn, dass der bayerische Schuldenstand bis Ende 2023 auf rund 45 Milliarden Euro wachsen könnte. Es wäre eine sagenhafte Steigerung, gemessen an Söders erstem Ministerpräsidentenjahr 2018, da waren es noch 27 Milliarden.

Ach was, Bayern sei weiterhin das Bundesland mit der niedrigsten Verschuldung pro Kopf, mit Top-Bewertungen internationaler Ratingagenturen, sagt Füracker, die beste, die es gibt. Insgesamt will der Freistaat in diesem Jahr 71,2 Milliarden Euro ausgeben, etwa Vorjahresniveau. Und keine neuen Schulden machen, anders als in den Corona-Jahren, die 10,2 Milliarden Euro gekostet haben. Von 2024 an müssen die Corona-Schulden zurückbezahlt werden, eine Milliarde pro Jahr. Auch ein Griff in die Rücklagen des Freistaats, rund drei Milliarden, ist heuer nötig. Sie schmelzen damit von mehr als zehn Milliarden Euro (2018) auf rund 1,5 Milliarden - unter anderem, um den bayerischen Energie-Härtefallfonds für Firmen und soziale Einrichtungen zu finanzieren - wobei unklar ist, ob der Fonds in Höhe von 1,5 Milliarden Euro überhaupt in nennenswertem Umfang abgerufen wird. Der ORH hat den Fonds deshalb infrage gestellt.

"Arbeitsneutral ist noch lange nicht klimaneutral"

Insgesamt belaufen sich die Investitionsausgaben auf 10,3 Milliarden Euro. 500 Millionen sind für den Ausbau erneuerbarer Energien verplant, für Schuldentilgung lediglich 50 Millionen. Etwa 28 Milliarden Euro sind Personalkosten. Dickster Haushaltsposten ist traditionell Bildung und Schule; gut jeder fünfte Euro des Etats fließt dorthin. Mit 7,3 Milliarden Euro (plus 6,7 Prozent) schlägt Inneres und Sicherheit zu Buche, noch 2023 soll das Ziel von 45 000 Stellen bei der Polizei erreicht werden. Für Wohnen, Bauen und Verkehr sind knapp sechs Milliarden angesetzt, 27,5 Prozent mehr als 2022. Kostspielig sind hier Nahverkehr, Staatsstraßen, Wohnraumförderung.

Am Ende des Tages wird die Koalitionsmehrheit aus CSU und Freien Wählern dem Haushalt zustimmen, Formsache. Doch die Haushaltswoche ist auch Stunde der Opposition. Mehr als 46 Stunden Beratung, mehr als 1000 Änderungsanträge, sagt Claudia Köhler (Grüne) in der Abschlussdebatte am Donnerstag, und was sei herausgekommen? "Wie immer" hätten CSU und FW die Regierungsvorlage brav abgenickt und alle Anträge der Opposition abgelehnt, "mit blumigen Ausreden". Dazu dieses "Schwadronieren", dieses Mantra, dass in Bayern alles so super sei. Die Regierung verdränge die Realität, all die Probleme bei Bildung, sozialen Fragen und beim Klimaschutz, für den die Grünen die Schuldenbremse lockern wollten, um zu investieren. Söder wolle das Land bis 2040 klimaneutral machen, tue aber wenig bis nichts dafür, meint die grüne Haushaltspolitikerin: "Arbeitsneutral ist noch lange nicht klimaneutral."

"Wir können so nicht weitermachen"

Bernhard Pohl (FW) hält Köhler eine "irrationale Predigt" vor und lobt das Gemeinschaftswerk Haushalt 2023 "unter unserem Coach Albert Füracker". Danach kommen keine Lobesworte mehr. Harald Güller (SPD) findet den Haushalt "uninspiriert". Kampf gegen Obdachlosigkeit, Elektrifizierung des Schienennetzes, mehr Kita-Fachkräfte, alles SPD-Vorschläge, nur ein paar Beispiele, alle abgelehnt, sagt Güller. Ulrich Singer (AfD) sieht überall Mängel bei der Infrastruktur, doch das Geld werde "zum Fenster hinausgeworfen, mit beiden Händen", für "Klima-Unfug", Migration oder die Folgen einer "verfehlten Corona-Politik". Der Griff in die Rücklage, das versteckte Tafelsilber, ist für Singer "Insolvenzverschleppung". Helmut Kaltenhauser (FDP) mahnt zur Ausgabendisziplin. Die Methode, als Staat wirklich alles abzufangen, habe sich in Corona- und Kriegszeiten etabliert, sei aber nicht zukunftstauglich für eine solide Finanzpolitik. "Ich gönn's den Leuten ja im Einzelnen, aber wir können so nicht weitermachen." Er warnt die CSU vor neuerlichen, teuren Wahlgeschenken, wie 2018 etwa das Familiengeld.

Drei Tage Plenarsitzung, ein Marathon. Der Finanzminister sitzt das tapfer ab, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen von der Opposition. Seinen Platz auf der Regierungsbank hat Füracker mitunter zum Büro umfunktioniert, er liest Akten, notiert, unterzeichnet, Stapel bis auf den Nebenplatz. Ob er bei der Haushaltsdebatte 2024 immer noch hier sitzt? Füracker hat einerseits Rückhalt in der CSU-Fraktion, ist andererseits Söder-Vertrauter, diese Mixtur macht ihn zu einem der Favoriten auf den mächtigen Posten des Fraktionschefs, der frei wird, wenn Thomas Kreuzer nach der Landtagswahl im Herbst in den Ruhestand geht. Für den Moment wirkt Füracker am Donnerstag aber zufrieden. Mit seinem Job, mit sich selbst - und mit seinem Haushalt.

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