Neue Bayernausstellung:Glanz und Elend der Wirtshäuser

Neue Bayernausstellung: Blickfang der Ausstellung: "Explosion" von alten Wirtshausgegenständen.

Blickfang der Ausstellung: "Explosion" von alten Wirtshausgegenständen.

(Foto: Hans Kratzer)

Das Haus der Bayerischen Geschichte in Regensburg widmet sich einer Institution, die vom Untergang bedroht ist. Die Ausstellung "Wirtshaussterben? Wirtshausleben!" sieht aber auch Hoffnungszeichen am Horizont.

Von Hans Kratzer

Gleich nach dem Eintritt in die neue Ausstellung "Wirtshaussterben? Wirtshausleben!" im Haus der Bayerischen Geschichte in Regensburg springen einem zwei Sensationen ins Auge. Und sie bringen unmittelbar die innere Zerrissenheit zum Ausdruck, von der das Thema dieser Schau geprägt ist. Die Ausstellung geht der Frage nach, wie es zu dem aktuell grassierenden Wirtshaussterben kommen konnte, obwohl die bayerische Wirtshauskultur und ihre sprichwörtliche Gemütlichkeit weltweit anerkannt sind und immer noch als höchst attraktiv gelten. Exemplarisch verdeutlicht wird dieser Zwiespalt mit einer Inszenierung, die so noch nie zu sehen war. Der erfahrene Ausstellungstechniker Friedrich Pürstlinger hat versucht, den Status quo mit einer Art Explosion des bayerischen Wirtshauses darzustellen, und das ist ihm eindrucksvoll gelungen. Diese Explosion füllt die Mitte des Saals aus, wobei mehr als 400 Gegenstände aus Gaststuben und Küchen von aufgelassenen Wirtshäusern im Raum schweben und mithilfe von Lichteffekten und einer Bodenprojektion in Szene gesetzt werden. So spektakulär das Kunstwerk wirkt, so drastisch ist die Botschaft.

Die schwungvolle Coletta war eine Art frühes IT-Girl

Gleich dahinter prangt unübersehbar das fünf mal drei Meter große Monumentalgemälde der Schützenlisl an der Wand, das der damals noch junge Maler Friedrich August von Kaulbach 1881 angefertigt hat. Als Vorlage diente ihm das im Münchner Sterneckerbräu bedienende Biermadl Coletta Möritz, das dem guten Kaulbach dermaßen den Kopf verdreht hatte, dass er an Ort und Stelle eine Porträtzeichnung anfertigte, die später als Vorlage für das Fassadengemälde diente. Auf diese Weise stieg die schwungvolle Coletta zu einer Art frühem IT-Girl und zur Werbe-Ikone der bayerischen Bierindustrie auf. Auch wenn ihr fröhliches Gesicht verhüllt, dass Kellnerin damals einer der härtesten Berufe überhaupt war. Unvorstellbar, was diese Frauen an 16-Stunden-Tagen leisten und erdulden mussten. Als Leihgabe für die Bayernausstellung verließ das Kolossalgemälde erstmals nach 130 Jahren die Räumlichkeiten der Münchner Hauptschützengesellschaft.

Ist das bayerische Wirtshaus tatsächlich schon ein Fall fürs Museum? Diese Frage stellten Richard Loibl, Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte, und Projektleiter Michael Nadler bei einem Presserundgang in den Raum. In der Tat darf man sich nichts vormachen. Die Corona-Krise hat das Wirtshaussterben nochmals beschleunigt, aber wahr ist auch, dass dieser Prozess viel länger andauert. Die Wirtshäuser begannen bereits vor mehr als hundert Jahren zu schwächeln, nachdem nämlich das Flaschenbier seinen Siegeszug angetreten hatte und die Gassenschenken überflüssig wurden. Von da an gesellten sich für die Wirtschaften regelmäßig weitere Erschwernisse hinzu. Die Ausstellung führt viele Beispiel an, etwa Rauchverbot, geringerer Alkoholkonsum, Personalmangel, überbordende Bürokratie und nicht zuletzt das Bestreben, der Vereine, ihre Wirtshäuser im Stich zu lassen und eigene Heime zu errichten.

Neue Bayernausstellung: Friedrich August von Kaulbach malte 1881 das Biermadl Coletta Möritz als Schützenlisl.

Friedrich August von Kaulbach malte 1881 das Biermadl Coletta Möritz als Schützenlisl.

(Foto: Philipp Mansmann/Haus der Bayerischen Geschichte)
Neue Bayernausstellung: Das Gemälde des Genremalers Eduard von Grützner fängt klischeehaft die Atmosphäre eines Münchner Wirtshauses um 1900 ein. Noch bis zum 11. Dezember hängt es in der Wirtshaus-Ausstellung in Regensburg.

Das Gemälde des Genremalers Eduard von Grützner fängt klischeehaft die Atmosphäre eines Münchner Wirtshauses um 1900 ein. Noch bis zum 11. Dezember hängt es in der Wirtshaus-Ausstellung in Regensburg.

(Foto: Maximilian Brückner/Haus der Bayerischen Geschichte)
Neue Bayernausstellung: Souvenir von der Weltausstellung in Chicago 1933.

Souvenir von der Weltausstellung in Chicago 1933.

(Foto: Uwe Moosburger/Haus der Bayerischen Geschichte)

Recht plastisch kommen die Nöte in einer halbstündigen Filmdokumentation zum Ausdruck, die begleitend zur Ausstellung gezeigt wird. Der Autor Michael Bauer besuchte dafür alte Traditionsgasthäuser, die schon vor den Corona-Lockdowns ihre Türen schlossen. Viele (ehemalige) Wirtinnen und Wirte mussten zusperren, weil sich der Betrieb nicht mehr rentierte oder keine Nachfolger zu finden waren. Ihre Stuben lassen nicht nur die früheren Glanzzeiten erahnen, sondern auch, welcher Kulturverlust mit ihrem Niedergang einhergeht.

Die Ausstellung und der Film machen aber auch Hoffnung, denn es ist nicht zu übersehen, dass manche Wirtshäuser durchaus noch brummen. Mit Kesselfleisch, Kunstausstellungen und vor allem mit einer geschickten Vermarktung ihrer Spezialitäten trotzen sie dem Wirtshaussterben. Im "ältesten Wirtshaus der Welt", dem Röhrl in Eilsbrunn bei Regensburg, kommen die regionalen Schmankerl nach wie vor aus dem hundert Jahre alten Sparherd. Andernorts bewahren engagierte Bürger einst beinahe majestätische Wirtshäuser, wie die "Post" in Triftern bei Pfarrkirchen, vor dem Verfall und füllen sie mit neuem Leben.

Neue Bayernausstellung: Münchner Kinder, rauschig, Zeichnung von 1903 aus dem Simplicissimus.

Münchner Kinder, rauschig, Zeichnung von 1903 aus dem Simplicissimus.

(Foto: Hans Kratzer)
Neue Bayernausstellung: Politik und Wirtshaus: "Die Gefahren der Münchner Bräukeller", lautet der Titel dieser Zeichnung, auf der Eisner (links) und Hitler abgebildet sind.

Politik und Wirtshaus: "Die Gefahren der Münchner Bräukeller", lautet der Titel dieser Zeichnung, auf der Eisner (links) und Hitler abgebildet sind.

(Foto: Hans Kratzer)

Vielen ist nicht mehr bewusst, dass die bayerische Wirtshauskultur vor hundert Jahren weltweit auf einer Erfolgswelle ritt. Zu verdanken war dies den hiesigen Brauereien, die sich auf den Weltausstellungen mit unternehmerischem Geschick internationales Renommee erwarben. Und doch ist das nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Potpourri des Wirtshauslebens. Dort hat sich immer alles vermischt, das Gute und das Schlechte, der harte Alltag der Bedienungen und die Gemütlichkeit der Honoratioren, kulinarische Schmankerl und übermäßiger Alkoholkonsum. Und nicht zuletzt war das Wirtshaus immer auch ein Ort, an dem Politik gemacht wurde. Deshalb zeigt die Ausstellung auch beklemmende Zeugnisse, die beispielsweise das Kapern der Wirtshäuser und der Säle durch die Nationalsozialisten dokumentieren.

Nicht nur an die 600 Originalexponate, sondern auch Mitmachstationen bringen den Besuchern die Spielarten der Gastlichkeit näher. Und wenn es nur darum geht, mithilfe einer VR-Brille zu testen, ob man nach reichlichem Biergenuss in der Lage wäre, den Schlüssel in die Haustüre zu stecken. Wichtiger aber sind die Rezepte, wie die Traditionswirtshäuser zukunftsfähig bleiben können, die von Wirtshausexperten wie Gerhard Polt mit allem Ernst und Humor dargelegt werden und damit erst recht die philosophische Tragweite dieser Kultur deutlich machen.

Gleich im Anschluss an die Eröffnung am Freitag wird die Bayernausstellung in Regensburg von einem Erlebniswochenende begleitet. Am Samstag und am Sonntag gibt es jeweils von 9 bis 21 Uhr freien Eintritt in alle Ausstellungen. Die Ausstellung "Wirtshaussterben? Wirtshausleben!" läuft bis zum 11. Dezember. Infos zum Rahmenprogramm unter www.hdbg.de/wirtshausleben.

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