Haslinger Hof in Niederbayern:Aufreißen für Fortgeschrittene

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Hier wogt und kreist das Leben der Generation über Vierzig. Ein Tanzabend im Panoramastadl. Wer dort keinen Partner findet, der ist selber schuld. (Foto: oh)

"Ich baggere tagsüber und abends baggere ich auch": Der Haslinger Hof bei Bad Füssing ist Ostbayerns beliebtester Tanzschuppen - und ein Hort der einsamen Ü-40er-Herzen.

Von Andreas Glas, Kirchham

Es ist Samstagabend, halb zehn, es ist heiß, es ist voll, es ist laut. Man schiebt sich von Raum zu Raum, an der Decke kreisen Discokugeln, drunter kreiseln Männer mit Stirnglatzen und Frauen mit praktischen Kurzhaarschnitten. Hier wird noch zum Tanz aufgefordert, hier tanzt keiner allein, hier darf man mit Sechzig noch Minirock tragen. Es ist, als habe man die Grenze in ein unbekanntes Land überschritten. Kleidung, Sitten, Gesetze - alles anders hier. Der Traum aller Best Ager, Wallfahrtsort für Discofox-Aficionados: der Haslinger Hof.

Zwei Stunden zuvor, im Gartenstadl. Hans Schuster sitzt auf einem Barhocker unter einem meterhohen Kastanienbaum. "Mein Stammplatz", sagt Schuster, 70, das Haar gescheitelt, goldene Krawattennadel, weißes Einstecktuch. Von seinem Stammplatz aus kann er den ganzen Raum überblicken. Man könnte hier den Musikantenstadl drehen, ohne ein Möbelstück zu verrücken. In der Ecke ein Maibaum, daneben sitzen die Leute im Indoor-Biergarten, an den Wänden hängen ein Spinnrad, ein Pflug, Pferdegeschirr. Hans Schuster schaut in den Wipfel der Kastanie, eine Attrappe aus Plastik. Wäre der Baum echt, sagt Schuster, er würde sich hier drin trotzdem wohl fühlen. Der Baum bekäme keine Sonne, dafür reichlich Schatten. "Kurschatten", sagt Schuster und grinst.

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Kurschatten. Ein Begriff aus einer Zeit, in der die Kanzler Brandt und Schmidt und Kohl hießen und die Krankenkasse jeden, den es irgendwo zwickte, in den Urlaub schickte. Im Haslinger Hof existiert der Begriff noch und das hat mit Bad Füssing zu tun, dem Nachbarort. Während andere Orte das Wort Kur durch Wellness ersetzt und trotzdem die meisten Gäste verloren haben, hält Bad Füssing an der klassischen Kur fest, hat heute mehr Gäste als jeder andere Kurort Europas. Und mit dem Kurwesen hat auch das Prinzip Kurschatten überlebt: der Hoffnungsschimmer auf eine Liebelei im fortgeschrittenen Alter. Für ein paar Wochen, für immer. "Wer einen Kurschatten sucht", sagt Hans Schuster, "der findet ihn im Haslinger Hof. Hier ist das Angebot groß. Und die Nachfrage."

Der Haslinger Hof ist ein Phänomen. Zu Tausenden strömen die Menschen hierher. Und zwar täglich, 365 Tage im Jahr. Etwa zur Hälfte kommen Kurgäste oder solche, die früher Kurgäste waren und inzwischen in Bad Füssing ihren Alterssitz haben. Die andere Hälfte sind Fünfziger, Vierziger, auch jüngere, die meisten aus der Region, manche kommen von weit her. Zum Beispiel Josef Rader, 54, Beruf: Baggerfahrer. "Ich baggere tagsüber und abends baggere ich auch", sagt Rader. Vier Jahre lang hat er gebaggert, hat sich jedes Wochenende ins Auto gesetzt, ist von seinem Wohnort in Oberösterreich zum Haslinger Hof gefahren, eine Stunde hin, eine Stunde zurück. "Man ist tanzen gegangen und hat es halt probiert", sagt Rader.

Er hat es probiert, immer wieder, und irgendwann "steht da so eine kleine Blondine und ich denke: Da gehe ich unauffällig hin". Die kleine Blondine ist inzwischen seine Freundin, sie heißt Elfriede Kaufmann, 51, und sitzt neben ihm am massiven Holztisch, im Tanzstadl, wo ein Quetschenspieler die Amboss-Polka spielt, manchem besser bekannt in der Coverversion der Band Alpenrammler ("Lieschen, Lieschen, Lieschen komm ein bisschen, bisschen, bisschen auf den Rasen, da kannst du . . ."). Josef Rader ist damals also hingegangen zur kleinen Blondine, hat ihr erzählt, "dass Weihnachten schon ein bisserl extrem einsam ist und sie hat das gleiche Problem gehabt und dann haben wir gesagt: Wenn wir Weihnachten noch alleine sind, dann feiern wir das miteinander".

Der Haslinger Hof ist ein Hort der einsamen Herzen, ein Auffangbecken für verzweifelte, paarungsfreudige Ü-40-Menschen. So geht das Klischee, das sich diejenigen erzählen, die den Haslinger Hof belächeln. Ein bisserl was sei da schon dran, sagt Elfriede Kaufmann: "Wo soll man als Single denn hingehen? Es ist halt schwierig, in unserem Alter ein Lokal zu finden." Bis vor ein paar Jahren, sagt Josef Rader, sei er noch in Diskotheken gegangen, "bis ich gemerkt habe, dass ich der Älteste bin. Beim Haslinger fühlt man sich nie zu alt. Weil es immer einen gibt, der älter ist".

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Vielleicht ist das die Erklärung für den Erfolg: Die Menschen finden im Haslinger Hof eine Erinnerung wieder, das Gefühl des Jungseins. Es ist eine Illusion auf Zeit, man kann das bemitleidenswert finden und peinlich. Aber dann muss man auch diejenigen bemitleiden, die im Alter mit Marathonlauf anfangen oder wenigstens mit Yoga - und allen vermeintlich schlechten Gewohnheiten abschwören, die man jenseits der Fünfzig nicht mehr haben darf, um sich selbst nicht peinlich zu finden. Wer hat eigentlich irgendwann mal entschieden, dass man bestimmte Dinge im Alter nicht mehr tun darf? Ist es nicht wunderbar, jedes Wochenende zu tanzen und albern zu sein - statt der Diktatur des sogenannten würdevollen Alterns hinterherzurennen und jede Lust asketisch zu unterdrücken?

Ja, klar komme sie auch deshalb jede Woche in den Haslinger Hof, um sich jung zu fühlen, sagt Ingrid Schreck, 58, die unter der Plastikkastanie neben Hans Schuster sitzt, ihrem Lebensgefährten, der sich gerade ein Weißbier bestellt, ein leichtes Weißbier, "weil mein Arzt sagt, dass ich nicht mehr schwer heben darf". Der Spruch verrät, dass Hans Schuster das Altern mit Humor nimmt. Dass er sehr wohl weiß, dass er keine 21 mehr ist. Außerdem sei es "ja nicht negativ", sich jung zu fühlen, findet Ingrid Schreck, voluminöse Föhnfrisur, voluminöses Dekolleté. Sie ist gerade aus der Rosenbar zurückgekommen, von nebenan, wo sie mit Hans Schuster getanzt hat. Discofox, klar. Auf der Bühne der Rosenbar: ein Keyboarder mit Pudelfrisur, daneben eine Sängerin im Blümchenkleid, Bandname: Heartbreak Duo. Die Pudelfrisur stimmt den nächsten Tanz an, "Let's twist again". Nicht gerade hüftschonend.

Stammgäste im Haslinger Hof: Ingrid Schreck und Hans Schuster. (Foto: Schumann)

Hüftschonend? Petra Haslinger, 42, mag es gar nicht, wenn man ihren Hof auf das Rentnerklischee reduziert. Die Chefin der gewaltigen Erlebniswelt ist eine zierliche Frau, ungeschminkt, fast faltenfrei. Nur wenn sie lächelt, bilden sich feine Strichlein in ihren Augenwinkeln. Und sie lächelt viel, eigentlich immer. Als trage sie den Heile-Welt-Werbeslogan des Haslinger Hof permanent vor sich her: "Hier bin ich glücklich", steht auf den Prospekten, mit Ausrufezeichen!

Eher zufällig sei der Haslinger Hof entstanden, sagt die Chefin. In den Siebzigerjahren habe ihr Vater einen Saustall bauen wollen, aber das Landratsamt habe den Stall nicht genehmigt. "Also hat mein Vater sich was anderes einfallen lassen", sagt Petra Haslinger. Anstelle des Saustalls baute er 15 Gästezimmer, so fing alles an, der Rest hat sich mit den Ansprüchen der Kurgäste entwickelt. Heute ist das Gelände riesengroß, es gibt mehrere Tanzstadl, mehrere Restaurants, mehrere Hotelgebäude. Das Geschäft mit der heilen Welt läuft jedenfalls bestens und Petra Haslinger bestreitet nicht, dass ihr Hof auch eine Partnerbörse für Senioren ist. Sei ja "nichts Anrüchiges", findet sie, "weil jede Disco für einen 18-Jährigen auch Partnerbörse ist".

Recht hat sie, und recht hat sie auch damit, dass der Haslinger Hof trotz aller Klischees ein Ort "für jedes Alter" ist, man braucht sich nur in der Landbar umzuschauen. Kurz vor Mitternacht ist die Landbar bummvoll, einige Gäste auch, und manche von ihnen haben noch nicht mal angefangen, in die Rentenkasse zu zahlen. Zum Beispiel Ramona, 20, schwarzer Pferdeschwanz, schwarze Lederjacke, schwarzer Eye-Liner. Sie sitzt auf der Galerie und schaut runter auf das Menschenknäuel auf der basketballfeldgroßen Tanzfläche der Landbar, wo es ausschaut wie auf diesen Discopartys, die manche Dorfwirtshäuser von Zeit zu Zeit in ihren Festsälen veranstalten.

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Der Haslinger Hof sei eben "das Einzige, was es bei uns in der Umgebung gibt", sagt Ramona. Schon kurios: Während anderswo kein Platz ist für die Älteren, gibt es in und um den Kurort Bad Füssing kaum einen Club für die jungen Leute. Aber es sei "nicht schlimm, dass die Alten da sind", sagt Ramona, es sei ja nicht so, "dass die uns angrapschen, die schauen sich in ihrer eigenen Generation um". In der Landbar tanzen Jung und Alt also nicht unbedingt miteinander - aber auch nicht gegeneinander. Hier ist das Nachtleben ein demokratischer Ort, niemand wird ausgeschlossen und der DJ spielt Musik, auf die sich die Generationen einigen können. AC/DC, Robin Schulz, solche Sachen.

Drüben, im Panoramastadl, ist das anders. Hier tanzen die Vierzig- bis Sechzigjährigen, hier bestimmt Ben Curby, was läuft: G.G. Anderson, Die Amigos, Helene Fischer natürlich. Ben Curby, das ist Friedrich Nebauer, 62, Versicherungskaufmann, im Nebenberuf DJ, seit den Achtzigerjahren legt er im Haslinger Hof auf. Ben Curby ist "Anders als Andere", so steht es auf seiner Visitenkarte, dabei schaut er gar nicht so anders aus als die meisten: Mittelscheitel, Brille, Sakko, weißes Hemd. Er ist ein Star im Haslinger Hof, zwar nur im Haslinger Hof, aber er redet trotzdem so, wie manche Weltstars reden. Dass er ein "tolles Publikum" habe, dass er es "ohne meine Frau" nie geschafft hätte, dass er erst aufhören werde, "wenn ich merke, dass ich zu den Gästen keinen Bezug mehr habe".

Es ist inzwischen kurz vor Mitternacht, Ben Curby steht hinterm holzverkleideten Mischpult. Er versucht, "die Leute schweben zu lassen", so hat er das zuvor erklärt. Jetzt singt Helene Fischer, dass sie "immer wieder dieses Fieber spüren" wolle und dieses Fieber scheint auch der gut durchblutete Herr zu spüren, der am brusthohen Holztisch lehnt und mit Jägerblick ein neongelbes Minikleid fixiert. Weiter vorne, auf der Tanzfläche, kreiseln die Karohemden und Kurzhaarfrisuren noch genauso wild wie zwei Stunden zuvor - mit dem Unterschied, dass manches Hemd inzwischen bis zum Nabel offensteht, dass manche Paare knutschen, dass man bei manchen nicht genau sagen kann, ob sie tanzen oder sich aneinander klammern, um nicht umzufallen.

Eine Mittfünfzigerin kommt angetanzt. Nein, nein, man sei als Reporter da, nicht zum Vergnügen. Die Mittfünfzigerin lässt nicht locker, sagt was von "Frischfleisch" und "warmen Semmeln". Es ist kurz vor Mitternacht, es ist Zeit zu gehen.

© SZ vom 18.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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