Süddeutsche Zeitung

Hannelore Kraft in Oberbayern:Dat wird schon wieder!

Mütterliche Sorge für die Bayern-SPD, Drohungen gegen Steuersünder: NRW-Ministerpräsidentin Kraft schafft es, in einer einstündigen Bierzelt-Rede keinen einzigen Schenkelklopfer abzugeben. Das Erstaunliche: Die Menschen hören ihr trotzdem zu.

Tobias Dorfer, Tutzing

Natürlich hat die Junge Union (JU) ihren Schuldenberg mitgebracht. Eine Handvoll junger CSUler haben ihn vor dem Festzelt in Tutzing aufgebaut und verteilen Schokotaler. Mit dem aufblasbaren Ungetüm hat die JU zuletzt für Furore gesorgt, als sie Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) in Mittenwald auflauerte. Am Ende musste JU-Chefin Katrin Albsteiger ihre Personalien bei der Polizei lassen.

Heute gilt der Empfang Hannelore Kraft, der stellvertretenden SPD-Chefin und Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen. Doch die von Unions-Wahlkämpfern regelmäßig als "Schuldenkönigin" verspottete Landesmutter bekommt ihr Begrüßungskomitee gar nicht zu Gesicht - sie betritt das Festzelt in Tutzing durch einen anderen Eingang. Von dem JU-Streich erfährt sie trotzdem.

Denn Markus Rinderspacher, der SPD-Fraktionschef im Bayerischen Landtag, und Landesvorsitzender Florian Pronold lästern prompt über CSU-Schuldenpolitik und das BayernLB-Desaster. Rinderspacher schreit ins Mikrofon, er schimpft über das Betreuungsgeld. Dafür erhält er Applaus. Pronold nennt die Schweiz einen "Schurkenstaat" und CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt das "Dümmste, das diese CSU hervorgebracht hat". So richtig zünden die Attacken nicht. Eine Gruppe junger SPD-Anhänger verdreht die Augen. An den Biertischen keimen erste Gespräche auf.

Die etwa 1000 Zuschauer sind nicht wegen der bayerischen SPD-Prominenz gekommen, sie warten auf Hannelore Kraft. Ihrem Wahlsieg in NRW eifern die Genossen im Freistaat nach, wenn im September 2013 der Landtag neu gewählt wird. Bislang jedoch ist von dem "zweijährigen Crescendo", das Spitzenkandidat Christian Ude angekündigt hat, nicht allzu viel zu sehen. In den Umfragen schwächelt das angestrebte Dreierbündnis aus SPD, Grünen und Freien Wählern. Würde derzeit im Freistaat gewählt, es würde für Ude nicht reichen. Um mehr Feuer in den Wahlkampf zu bekommen, hat die Bayern-SPD kürzlich eine österreichische Werbeagentur verpflichtet, die für Kurt Becks Wahlkampf in Rheinland-Pfalz den Slogan "PersBECKtive 2011" erdachte.

Von Kraft lernen, heißt siegen lernen

Auf Hannelore Krafts Plakaten standen dagegen Sätze wie "Currywurst ist SPD". In Tutzing haben ihr die Genossen deshalb ein Banner mit der Aufschrift "Weißwurscht ist SPD" vor das Rednerpult gehängt. Die Landesmutti von Nordrhein-Westfalen ist gerne gesehen in Bayern. In Sonthofen und Nürnberg war Kraft in diesem Jahr schon, in München ist noch ein Auftritt mit Ude geplant. Von Kraft lernen, heißt siegen lernen - diese Devise gilt in der Bayern-SPD.

Poltern wie Pronold ist Krafts Sache nicht. Sie würde die Schweiz nie als Schurkenstaat schmähen, nicht einmal im Bierzelt. Auch die 51-Jährige spricht in ihrer Rede über das umstrittene Steuerabkommen, doch sie erklärt ausführlich, warum sie dem Vorhaben nicht zustimmen will. Weil die Steuersünder weniger zahlen würden als bei einer Selbstanzeige. Weil ihre Anonymität gewahrt bliebe und so weiter. Schließlich ein Versprechen: "Wer sein Schwarzgeld in die Schweiz verschickt, den werden wir gnadenlos verfolgen." Die jungen SPD-Anhänger klatschen begeistert. Unlängst hat Krafts Finanzminister eine CD mit Daten von Steuersündern gekauft.

Dass die Ministerpräsidentin reden kann, beweist sie regelmäßig. Ihre Ansprache bei der Trauerfeier des Loveparade-Unglücks 2010 in Duisburg zählt zu den eindrücklichsten Politiker-Reden der vergangenen Jahre. Doch Kraft ist keine typische Bierzeltrednerin. Das liegt nicht nur daran, dass sie wegen ihrer Zöliakie - einer Lebensmittelunverträglichkeit - gar kein Bier trinkt, und deshalb den Maßkrug nur für das obligatorische Foto in die Hand nimmt. Kraft schafft es, in ihrer knapp einstündigen Rede in Tutzing keinen einzigen Schenkelklopfer abzugeben. Das Erstaunliche: Die Menschen hören ihr trotzdem zu.

Kraft schimpft nicht gegen den politischen Gegner, sie erzählt - vor allem von ihrer Aktion TatKraft, bei der sie selbst einen Tag in Betrieben oder Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen mit anpackte. Dann geht es um schwere Jungs, die ein Haus renovierten und beim Anstreichen der Zimmer die Wände ordentlich abklebten, um später Gardinen an die Fenster zu hängen und Blümchen aufzustellen. "Weil sie sich sehnlichst wünschen, ein vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft zu sein", wie es Kraft formuliert. Oder um einen jungen Mann, der sich mit einem Realschulabschluss und Note 2,4 um eine Lehrstelle als Maler bewarb und von vielen Betrieben keine Antwort bekam. "Bierzeltreden kann jeder halten", sagt Kraft. Aber man müsse sich als Politiker um die Menschen kümmern.

Kümmern. Immer wieder kümmern. Um schwere Jungs. Um Rentner, überforderte Eltern oder die Aluhütte im Wahlkreis, die für ein Prozent des deutschen Stromverbrauchs verantwortlich ist, dafür aber das für den Bau leichter Autos benötigte Aluminium fertigt. Auch um den Zustand der Bayern-SPD kümmert sich Hannelore Kraft. Ihr habt doch so ein tolles Personal, ruft sie den wahlkämpfenden Freistaats-Genossen zu. Deshalb: "Macht euch doch selbst ein wenig Mut." Und dann: Raus zu den Menschen, verlässliche Politik machen. "Dafür lohnt es sich zu kämpfen", sagt Kraft immer wieder. Ein wenig wirkt die Ministerpräsidentin an diesem Abend wie eine Mutter, die ihre vom Fahrrad gefallenen Kinder aufmuntert: Hömma, dat wird schon wieder! Vergesst die Schrammen an den Knien!

Sie hat gut reden. Denn Kraft schwimmt derzeit auf einer Erfolgswelle. Viele Genossen sehen in ihr gar die ideale Kanzlerkandidatin. Sie sei netter als Steinbrück, ruhiger als Gabriel und lebendiger als Steinmeier, lobte die Zeit. Doch in Tutzing stellt die Ministerpräsidentin noch einmal klar, dass sie ihre Zukunft in Düsseldorf sieht.

Dort ist sie heißgeliebte Landesmutter und genießt jede Menge Freiheiten. Zum Beispiel die, immer neue Schulden zu machen, ohne dafür wirklich Ärger zu bekommen. Denn Krafts Kümmer-Politik ist teuer. Zusätzliche Lehrerstellen, mehr Polizisten und ein gebührenfreies Studium, das alles kostet Geld. Fast vier Milliarden Euro an neuen Schulden will Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr aufnehmen - trotz steigender Steuereinnahmen.

Perfekter Verkauf der eigenen Politik

Doch Kraft versteht es nahezu perfekt, ihre Politik als Erfolg zu verkaufen. In einer Zeit, in der immer neue Rettungsschirme für Griechenland aufgespannt werden müssen, verpackt Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin ihre Schulden als Investition in die Zukunft, schnürt das Schleifchen der "vorbeugenden Sozialpolitik" drumherum - und schon kann ihr keiner mehr was. "Wohlfühl-Politik" auf "Kosten der Landeskasse", schrieb der Spiegel vor einigen Monaten in einem nicht ganz so positiv intonierten Porträt über Kraft.

Ihrer Popularität tut dies keinen Abbruch, und deshalb dürfte so mancher Genosse im Tutzinger Festzelt bedauern, dass sich die Ministerpräsidentin um den Wahlkampf der Bayern-SPD nicht mit der gleichen Intensität kümmern kann wie um Nordrhein-Westfalen. Immerhin hat sie schon angekündigt wiederzukommen.

Und der aufblasbare Schuldenberg der JU blieb Kraft dann doch erspart. Als ihre Rede beendet ist, haben sich die jungen Christsozialen längst vom Festplatz verabschiedet.

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