Handwerker-Mangel:In der Kita auf Lehrlingssuche

Handwerker-Mangel: Helmpflicht im Kindergarten: Als Nicki Nagel und Harry Hammer sollen zwei Studenten den Kindern in Schaftlach die Berufe am Bau näherbringen.

Helmpflicht im Kindergarten: Als Nicki Nagel und Harry Hammer sollen zwei Studenten den Kindern in Schaftlach die Berufe am Bau näherbringen.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Bauwirtschaft sucht händeringend nach Auszubildenden. Der Innungsverband setzt mit der Rekrutierung nun sogar schon bei den Jüngsten an.

Von Johann Osel, Schaftlach

Im Morgenkreis des Kindergartens gehen einige Münder auf vor Staunen, als Harry Hammer und Nicki Nagel die Tüte mit den gelben Bauhelmen hereintragen. Da haben sie aber noch nicht ihre Hauptattraktionen ausgepackt: Hammer, Feile, Zange, Säge. "Eine echte, spitze, scharfe Säge", erklärt Nicki Nagel, beide Hände müssten da stets an den Griff. "Und dann ritsche-ratsche-runter." Harry Hammer und Nicki Nagel sind Kunstfiguren, die Namen legen es nahe. In Wirklichkeit sind sie Studenten mit einem kuriosen Nebenjob: Die bayerische Bauwirtschaft entsendet sie in Kindergärten, samt Werkzeug und Werkbänken, die danach als Geschenk in den Einrichtungen bleiben.

An dem Tag sind sie in Schaftlach im Landkreis Miesbach. Unter ihrer Anleitung wird einen Vormittag lang gesägt, gefeilt, gehämmert. Erst noch ein Lied mit den Erzieherinnen, "Klopf, klopf, klopf, ich treff den Nagel auf den Kopf". Und natürlich die Sicherheitseinweisung: Nie allein an die Bank! Alles schön aufräumen! Nichts verschweigen, wenn mal was kaputt geht! "Mein Papa macht dauernd was kaputt", weiß ein Bub zu berichten. Dann geht's los.

Seit fast fünf Jahren schon ist das Projekt "Baumeister gesucht" in Bayern unterwegs. Der Landesverband der Bauinnungen will von klein auf für das Bauen begeistern, über die Berufe informieren und eine positive Wahrnehmung erzielen, ein besseres Image für die Branche. Mit Baustelle verbänden die Leute laute Geräusche und Verkehrsstau, mit den Bauberufen nur Anstrengung bei Wind und Wetter, sagt Andreas Büschler, beim Innungsverband ist er Geschäftsführer unter anderem für Nachwuchswerbung. Man werbe auch in Grund- oder Mittelschulen, mit Lernmaterialien zum Beispiel. Da wird es schon schwieriger. Im Kindergartenalter, sagt Büschler, sei aber "der Ruf des Bauens noch gut - da dreht sich einfach alles darum". Letztlich solle das Thema Bauhandwerk spielerisch in die Familien getragen werden. "Oft treffen ja doch die Eltern die Entscheidung über eine Ausbildung."

Die Konjunktur auf dem Bau ist bestens, die Auftragsbücher sind voll. Wohnungsbau, dieses Thema hört man gerade im Landtagswahlkampf jeden Tag ständig. Wer diese Wohnungen bauen soll, wird kaum thematisiert; als könnten Wohnungssuchende nach einem politischen Beschluss gleich einziehen. Anfang September ist das Ausbildungsjahr gestartet, das Handwerk generell hat einen äußerst schweren Stand. Tausende Lehrstellen dürften frei bleiben in Bayern.

"Damit machen wir einen Purzelbaum zur Seite"

Viele Betriebe haben schon ganz aufgegeben und melden ihre Plätze gar nicht mehr. Auch wenn der Zentralverband Deutsches Baugewerbe aktuell von einem Plus von gut acht Prozent bei den abgeschlossenen Lehrverträgen ausgeht, ist Nachwuchs für Bauberufe gefragt: Maurer, Zimmerer, Betonbauer, Anlagenmechaniker, Fliesenleger werden auch auf lange Sicht gebraucht. Die Bayernreise durch die Kindergärten ist dieser Tage eng getaktet - von Rehau in Oberfranken bis Inning im Kreis Erding, von Feucht bei Nürnberg bis eben Schaftlach.

Im Kindergarten dort steigt der Lärmpegel. Normalerweise tut er es in diesem Toberaum wohl durch Geschrei, nebenan stehen Kletterwand, Trampolin und Hüpfbälle. Jetzt hört man nur das Sägen und Hämmern, ab und zu ein paar Anweisungen der Spielpädagogen Harry Hammer und Nicki Nagel, sie sind mit den Erzieherinnen mittenmang. Die Buben und Mädchen selbst, die meisten fünf Jahre alt, sind still, fast andächtig bei der Sache. Am Hammertisch steht ein Nagel schief, die Zange muss her. "Damit machen wir einen Purzelbaum zur Seite", erklärt Nicki. Funktioniert tatsächlich. "Manche Kinder haben einen Bezug oder das bei den Eltern gesehen. Für andere ist das eine fremde Welt", sagt sie.

"warten's mal zehn Jahre, das wird eine Katastrophe"

Später steht Harry Hammer an dieser Station, bei Alexander und Maxi. "Ruhig mit Schmackes rein", rät der Student. Ob die Kinder, die hier im Landkreis Miesbach durchaus Dialekt sprechen, das verstehen? Anscheinend schon. Rummms, mit Schmackes. Nebenan feilen Vincent, Klara und Gregor tiefe Kerben, an einem dritten Tisch werden Backsteine gestapelt. Es geht um einfachste Physik, um Statik, zwei Konstrukte. Welches ist stabiler? Das will eine Erzieherin wissen. Kurz wird gegrübelt. Die Häuser wachsen, sie fallen um. Ein Bub aus der Nachbargruppe spechtet zur Tür herein, will mitmachen. Darf er nicht, trotzig meint er: "Ich bin schon vier."

Horst Babl schaut dem Treiben zu, die Arme verschränkt, ein Meterstab lugt aus der Hosentasche, gerade hat er noch bei einer seiner Baustellen vorbeigeschaut. Der örtliche Bauunternehmer ist lokaler Pate, hat das Projekt an den Kindergarten vermittelt. Keine einzige Bewerbung als Maurer habe er erhalten, schon seit ein paar Jahren keine. "Im Landkreis schaut es düster aus mit dem Nachwuchs", das wisse er auch als stellvertretender Obermeister der Innung. Er selbst habe "noch einigermaßen Glück", weil das Durchschnittsalter seiner Mitarbeiter bei 45 bis 50 liege - "warten's mal zehn Jahre, das wird eine Katastrophe." Das Fatale seiner Ansicht nach: "Die Eltern wollen alle, dass ihre Kinder studieren." Dabei habe man in seiner Branche "alle Chancen", auch ein Duales Studium gebe es, irgendwann sei man vielleicht selbständiger Mittelständler.

Dass "immer nur gesoffen" werde auf dem Bau, stimme auch nicht

Und die Mühen des Berufs? Ist es nicht nachvollziehbar, dass Jugendliche lieber im geheizten oder klimatisierten Büro sitzen wollen? "Es ist auch mal schmutzig und man ist bei jedem Wetter draußen, klar, das stimmt", sagt Babl. Aber die Berufe hätten zum Beispiel dem Einzelhandel oder Bürojobs anderes voraus: Man sehe etwas wachsen. Er schweift ab, erzählt von seiner eigenen Lehre und von einem Rundfenster in Miesbach, das er mit 16 gemauert habe und zu dem er heute noch stolz hinaufschaue.

Aufräumen will er mit dem "Vorurteil", dass man schlecht verdiene: "Wir haben die besten Lehrlingsgehälter, die es gibt." Dass "immer nur gesoffen" werde auf dem Bau, stimme auch nicht, ergänzt er, ohne dass jemand danach gefragt hätte. "Vielleicht mal ein Feierabendbier, sonst Alkoholfreies!" Andreas Büschler vom Landesverband sagt, dass die kleinen und mittelständischen Betriebe gar keine Möglichkeiten hätten, ihre Vorteile anzupreisen. "Dabei machen die Tolles: Statt dem Dixi-Klo stellen manche einen Toilettenwagen hin, andere einen Swimmingpool auf die Baustelle. Da kann man nachmittags 'ne Arschbombe machen." Seine Leute und er wollen die örtlichen Unternehmer bei der Rekrutierung unterstützen, eben auch mit den Bildungskampagnen.

Doch ist das letztlich nicht simple Werbung? Reines Sponsoring? "Alles pädagogisch wertvoll" von Experten erstellt, sagt Büschler - sonst käme man in Schulen und Kindergärten überhaupt nicht hinein. Lobbyarbeit der Wirtschaft, egal welcher Branche, in Bildungseinrichtungen ist grundsätzlich aber nicht unumstritten. Ihren Segen gegeben hat zumindest Bayerns Bauministerin Ilse Aigner, sie ist Schirmherrin der Initiative. Neulich hat die CSU-Politikerin in der Nähe von Rosenheim im Kindergarten selbst mitgehämmert. Es gehe ihr um die "Freude am Handwerk".

Das, was alles dahintersteckt, merken die Kinder freilich nicht. Sie freuen sich einfach, dass etwas Neues geboten ist. Vielleicht wird sich die Begeisterung verflüchtigen, wenn die Werkbänke erst mal ein paar Wochen stehen. Vielleicht aber wird irgendeiner mal bei Horst Babl vorstellig, in zehn, zwölf Jahren. Der sagt: "Wenn es von fünf solchen Veranstaltungen einer ist, der Interesse hat - dann ist das schon was." Er fährt jetzt gleich noch mal zur echten Baustelle.

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