CSU in Niederbayern:Das Abgeordnetendorf

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Vorgänger und Nachfolger: Ernst Hinsken (rechts) verlässt den Bundestag nach 33 Jahren, der neue CSU-Mann in Berlin soll Alois Rainer werden. Dessen Vater saß auch schon im Parlament. (Foto: Armin Weigel)

"Berlin 555 Kilometer" - ein Wegweiser zeigt, wo's langgeht. Seit 48 Jahren ist das niederbayerische Dorf Haibach im Bundestag vertreten. Mandatsträger Ernst Hinsken scheidet jetzt zwar aus, aber auch der neue CSU-Direktkandidat stammt aus dem 500-Einwohner-Ort. Warum haben sie gerade dort ein politisches Gen?

Von Wolfgang Wittl, Haibach

Das Zentrum des Bundestagswahlkreises 231 liegt etwas abgeschieden: Autobahn 3 Richtung Deggendorf, bei Mitterfels Richtung Bayerischer Wald, vorbei an Radmoos, Bachwies und Semmersdorf, dann rechts abbiegen. Nach ein paar hundert Metern stehen zwei Schilder in der Landschaft: "50 Jahre Trachtenverein Haibach", "30 Jahre Haibacher Musiblosn". Hier also schlägt das politische Herz des Stimmkreises Straubing-Bogen/Regen.

Seit 48 Jahren stellt die Gemeinde Haibach ununterbrochen den Bundestagsabgeordneten eines Gebietes, das von der tschechischen Grenze bis an die Landkreise Landshut und Regensburg reicht. Und sofern am Sonntag kein Wunder geschieht, wird es die nächsten Jahre so weitergehen. Denn auch der neue Direktkandidat der CSU stammt - wie seine zwei Vorgänger - aus Haibach. "Schon Zufall", sagt der demnächst scheidende Ernst Hinsken.

Ungefähr 220.000 Einwohner zählt der Stimmkreis, Haibach bringt es ohne Eingemeindungen nicht einmal auf 500.

Nur Zufall?

Wer sich in Haibach nach den Gründen für dieses Dauerabgeordnetensein erkundigt, hört erstaunliche Erklärungen: "Weil die Frauen hier ihre Männer so pflegen", sagt eine Frau. "Ist halt so", meint eine andere. Ein Mann zuckt mit den Schultern. Nur Evi Hirtreiter, eine Gemeinderätin von einer freien Wählergemeinschaft, glaubt, dass das alles nicht von ungefähr komme.

Der Stimmkreis besteht aus drei Fraktionen, wenn man so will: den Städtern aus Straubing, den Menschen aus dem Gäuboden und dem Bayerischen Wald. Ein Waidler sei geradeaus, ehrlich und verlässlich; einem Waidler vertraue man gerne Verantwortung an, sagt Hirtreiter. Aber weshalb ausgerechnet immer in Haibach? "Weil wir auch politisch sehr aktiv sind."

"Die Lust wurde immer mehr"

Früher wurde die Politik im Wirtshaus gemacht, in Haibach war es das Wirtshaus von Alois Rainer. Er war Bürgermeister, saß erst im Landtag und dann 18 Jahre im Bundestag. Rainers sechs Kinder wuchsen in der Wirtsstube auf, hörten Reden und Gerede, bekamen mit, wie Leute ticken. Man kann auch sagen: Sie schauten dem Volk aufs Maul. Eines der Kinder, Gerda, zog nach Fürstenfeldbruck, sie heißt nun mit Nachnamen Hasselfeldt. Sie war Ministerin, Vizepräsidentin des Bundestags und führt die CSU-Landesgruppe an. Würde man ihre 26 Jahre im Parlament ebenfalls ihrem Heimatort Haibach zuschlagen, die 100 wären wohl bald erreicht.

Hasselfeldts Bruder, Alois Rainer junior, blieb in Haibach, baute die Metzgerei zu einem mittelständischen Betrieb mit 35 Mitarbeitern aus und hatte mit Politik erst einmal gar nichts am Hut, wie er sagt. Doch als sie ihn mit 30 fragten, ob er nicht Bürgermeister werden wolle, wie sein Vater, habe er sich nicht verschließen können. Das war vor bald 18 Jahren. "Und so ging es halt weiter": Mittelstandsunion, Kreistag, jetzt die Kandidatur zum Bundestag. "Die Lust wurde immer mehr", sagt Alois Rainer: "Wenn du siehst, du kannst etwas bewegen."

Das Wörtchen "Du" spielt eine große Rolle in Haibach. Jeder duzt hier jeden.

Ein Dienstagnachmittag im September, die Stille über dem Ort ist fast schon unheimlich. Kein Mensch auf den Straßen, nur eine Frau, die den Bürgermeister vor dem Rathaus um einen Gefallen bittet. Wer etwas braucht, geht "zum Alois" oder "zum Ernst", wenn der denn da ist. Eigentlich sitzt "der Ernst" in Berlin, doch irgendwie ist er gleichzeitig überall.

Ernst Hinsken, 70, bildet das Bindeglied zwischen den beiden Rainers. Mit dem verstorbenen Senior saß er drei Jahre gemeinsam im Bundestag, nach 33 Jahren will er jetzt an den Junior übergeben. Dass die Wähler anders entscheiden könnten, gilt als unwahrscheinlich: Die CSU dominiert den Stimmkreis nach Belieben, zweimal krönten sie Hinsken hier zum deutschen Stimmenkönig. Wer ein Anliegen hat, könne sich darauf verlassen, "dass der Ernst sich darum kümmert", sagt Evi Hirtreiter.

Hinsken kann hartnäckig sein bis zur Penetranz. Wenn der Hinsken in der Tür stehe, müsse sogar ein Sturkopf wie Wolfgang Schäuble aufgeben, sagte Horst Seehofer einmal. Zum 200. Geburtstag des Straubinger Gäubodenvolksfestes setzte Hinsken beim Finanzminister eine Sonderbriefmarke durch.

Hinsken kann auf Anhieb Zahlen runterrattern, wie die Arbeitslosigkeit im Stimmkreis von 40 auf drei Prozent geschrumpft sei oder wie viele Besucher ihm bei Sprechstunden die Bude einrennen. Doch warum das Bundestagsmandat auf Haibach abonniert ist, das vermag auch er nicht zu ergründen. Die Rainers seien halt tüchtige Männer, und natürlich darf man das auch von ihm annehmen, obwohl er das so nicht sagt.

Eine Familie in der Politik
:Die Hasselfeldts

Keine Familie dürfte enger mit dem Bundestag verbunden sein als die der CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Aus ihr stammt ein halbes Dutzend Abgeordnete - nicht nur aus der Union.

Von Robert Roßmann

Auch Hinsken stammt aus einem Handwerksberuf, einer im Bundestag seltenen Spezies. Er war Bäcker, seine Lebkuchen waren legendär. Rainer steht heute noch täglich um 4.15 Uhr auf, danach geht es in die Metzgerei und ins Rathaus. Das Netzwerken überließ er anderen: Schwester Gerda war Ortsvorsitzende der Jungen Union, Hinsken deren Kreisvorsitzender, Rainer senior saß im CSU-Kreisvorstand.

Dass der Ort durch die Dauerpräsenz im Bundestag bevorzugt worden wäre, lässt sich nicht behaupten. Die Dorferneuerung nähert sich nach zehn Jahren dem Ende, einige Straßen sind noch renovierungsbedürftig, doch die größten Hausaufgaben sind erledigt, sagt der Bürgermeister. Große Sprünge lassen sich mit einer Gewerbesteuer von jährlich gut 200.000 Euro nicht machen in einer Gemeinde mit 78 Ortsteilen, verteilt auf 600 Höhenmeter.

Allein die Trinkwasserleitungen sind eine echte Herausforderung. Firmen siedeln sich in dieser Einsamkeit nicht an, Rainers Metzgerei zählt zu den größten Arbeitgebern. Immerhin liegt die Gemeinde dank des "Singenden Wirts" im Ortsteil Elisabethszell beim Tourismus auf Platz zwei im Landkreis.

Wer vom Wahrzeichen, der Burgruine, einen Blick hinab wirft, sieht eine Bayerwaldgemeinde mit viel Fotovoltaik auf den Dächern und Geranien an den Balkonen. In der Ortsmitte steht ein Wegweiser mit 36 Schildern, auf dem obersten heißt es: "Berlin 555 Kilometer". Auf die Frage, ob der Ort denn nicht stolz auf seine Abgeordneten sei, sagt ein Passant: "Mei, wir sind hier nichts anderes gewöhnt."

© SZ vom 20.9.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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