Haftstrafe für falschen Arzt:Dr. med. Automechaniker

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Der Arzt kam gut an - dabei war er Kfz-Mechaniker. (Foto: dpa)

Er stellte Diagnosen, setzte Spritzen, verschrieb Pillen. Vor allem aber hörte er den Menschen zu - und das kam gut an. Doch der Mann war gar kein Doktor, sondern Kfz-Mechaniker. Jetzt ist der 61-Jährige von einem Schweinfurter Gericht zu einer Haftstrafe verurteilt worden.

Von Katja Auer

Er drängt sich einfach auf, der Vergleich mit dem königlich-bayerischen Amtsgericht, schon weil der Prinzregent hinter dem Vorsitzenden Richter Erik Ohlenschlager von seinem Gemälde in den Saal herunter schaut. Nun schnupft der Richter zwar nicht wie der Amtsrichter Stierhammer, ja nicht einmal einen bayerischen Dialekt hat Ohlenschlager, aber der Fall hätte statt in Schweinfurt auch gut im fiktiven Geisbach verhandelt werden können. Weil er gar so unterhaltsam ist. Und auch wieder nicht.

Da steht ein Mann vor Gericht, der offenbar ein recht unspektakuläres Leben führte. Der aber lieber ein anderes hätte haben wollen. Deswegen bastelt er sich einen Lebenslauf zusammen, in dem er früher mal eine Klinik im Schwarzwald hatte, als Arzt für die Bundeswehr in Afghanistan war, Einsätze mit dem Hubschrauber flog, als Internist, Heilpraktiker, Umweltmediziner praktizierte. Letzteres tat er tatsächlich. Verbotenerweise allerdings, denn ein Medizinstudium oder gar eine Approbation kann er nicht vorweisen.

2010 tauchte der heute 61-Jährige in der Rhön auf mit seinem Rezeptblock und seiner alten Arzttasche und behandelte ein gutes Dutzend Patienten Patienten. Wegen Gelenkproblemen, wegen Depressionen, wegen Krebs. Er untersuchte sie in seinem Hotelzimmer, verabreichte Spritzen und verschrieb homöopathische Mittel. Einem betrunkenen Mädchen auf einem Faschingszug legte er eine Infusion. In Notarzt-Jacke.

Er war beliebt, wurde weiterempfohlen, schnell hatte sich herumgesprochen, dass "ein wunderbarer Heilpraktiker" in der Gegend sei, erzählt eine Apothekerin am dritten Verhandlungstag vor dem Landgericht Schweinfurt. Überall habe er Patienten angesprochen, im Blumengeschäft, in der Metzgerei, im Zeitschriftenladen.

"Ich würde die Tropfen heute noch nehmen"

Der falsche Arzt im blau-weiß gestreiften Hemd, der seit April in Untersuchungshaft sitzt, hört sich das alles ohne größere Reaktionen an. Nur mit dem Gutachter lässt er sich auf eine längere Diskussion ein, als es um die Frage geht, ob er die Spritzen lediglich unter die Haut oder in die Muskeln verabreicht hat.

Die Kosmetikerin brauchte keine Spritze. Sie habe sich wegen ihres Haarausfalls an ihn gewandt, erzählt die 41-Jährige vor Gericht. Nachdem Medikamente nicht wirkten, wollte er eine Blutprobe ins Labor senden. Am Ohrläppchen entnahm er ein paar Tropfen, hingeschickt hat er sie freilich nirgends. Das wusste die Dame aber nicht, der er kurze Zeit später aufgrund ihrer Blutwerte eine Amalgam-Vergiftung samt eines zu hohen Antibiotika-Wertes diagnostizierte.

Sechs neue Präparate habe sie daraufhin bekommen und tatsächlich habe sie den Eindruck gehabt, dass ihr Haar wieder voller werde. "Wenn ich ehrlich bin, würde ich die Tropfen heute noch nehmen", sagt sie. Aber nein, hätte sie gewusst, dass der Mann in Wirklichkeit Automechaniker ist, hätte sie der Behandlung nicht zugestimmt.

Richtig schimpfen mag hier trotzdem niemand über den angeblichen Doktor. Manche hätten sogar nach seiner Verhaftung nach ihm gefragt, erzählt die Apothekerin. Nur die Frau, der der falsche Arzt ein Leberversagen attestierte, räumt ein, dass ihr Mann Bedenken gehabt habe. "Das ist ein Scharlatan", habe er gesagt.

Das Lügengeflecht des Angeklagten ist nur schwer zu entwirren, noch im Gerichtssaal erzählt er von angeblichen Auslandsaufenthalten als Sanitäter für Porsche und einem Monatseinkommen von 12.000 Mark. Tatsächlich war er nie für Porsche im Ausland, Richter Ohlenschlager hat nachgefragt. Beschäftigt war er dort schon. Als Mechaniker, nicht als Mediziner. Für viel weniger als 12.000 Mark.

Auch der Gutachter Martin Krupinski, Professor für forensische Psychiatrie an der Universität Würzburg, verwendet einige Mühe darauf, die Lügen aus der Biografie des Mannes zu filtern. Die sieht am Ende ungefähr so aus: Als erstes von drei Kindern einer Bauernfamilie wurde der 61-Jährige in einem Dorf bei Schwäbisch Hall geboren, ging zur Grundschule, Hauptschule, machte eine Lehre als Kfz-Mechaniker, war Gefreiter bei der Bundeswehr und arbeitete bei Porsche. Der Wechsel auf das Gymnasium, das Fachabitur, die medizinische Ausbildung bei der Bundeswehr, die Fortbildungen, der Spitzenjob bei Porsche - alles erfunden.

Mehrmals wurde er wegen Betrugs verurteilt, mehrmals war er in Haft. Er erschwindelte sich einen Kredit, brachte ein geliehenes Auto nicht zurück - und gab sich immer wieder als Mediziner aus. Es muss nach seiner Scheidung gewesen sein, als ihm das Leben immer mehr entglitt. Krupinski bescheinigt "narzisstische Tendenzen" und ein geringes Selbstwertgefühl. Deswegen "wollte er sich als mehr darstellen, als er ist".

Gewisses Geschick

Glücklicherweise zeigte er dabei ein gewisses Geschick, was ihm ein Gutachter bestätigt. "Rein vom Technischen her", seien die Injektionen, die er verabreicht habe, nicht zu beanstanden. Und die Medikamente, die er verschrieb, waren allesamt zwar apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtig und rein homöopathisch.

Drei Jahre und sechs Monate Haft fordert der Oberstaatsanwalt. Zwar hätten seine Behandlungen ein eher geringes Gefahrenpotenzial geborgen, aber "er hat gezielt durch Lügengeschichten Vertrauen geschaffen und das dann missbraucht". Sein Motiv sei es nicht gewesen, den Menschen zu helfen, sondern er habe schlicht gut da stehen wollen. Der Verteidiger des Hochstaplers fordert eine Strafe von drei Jahren, er spricht von einem Helfersyndrom. Der Doktor, der ein Automechaniker ist, fasst sich kurz: "Ich kann nur sagen, dass es mir leid tut."

Er muss für drei Jahre ins Gefängnis. Richter Ohlenschlager betont das Bemerkenswerte an diesem Prozess: "Es gibt offenbar Defizite in unserem Gesundheitssystem, die Scharlatane und falsche Ärzte zu füllen in der Lage sind." Der Hochstapler nahm sich Zeit, er hörte den Menschen zu. Was keine Entschuldigung sei. "Schäbig ist, dass er genau dieses Bedürfnis für sein hochstaplerisches Auftreten als Arzt ausnützte", sagt der Richter. Und der Prinzregent schaut ihm über die Schulter.

© SZ vom 08.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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