Plötzlich saß Sahak N. in einer Zelle ohne Fenster. Hunderte Insekten, 40 Männer, acht Betten, das Klo ein Loch im Boden. Nun, fast drei Jahre später, ist er wieder in Deutschland. Er ist raus aus dem armenischen Knast, aber die Angst hat er mitgenommen in die Freiheit. "Wenn ich wieder ins Gefängnis muss, dann komme ich nicht mehr zurück, dann bin ich tot", sagt Sahak N., da ist er sich sicher.
Er hat nicht nur die Angst mitgebracht nach Deutschland - auch den Vorwurf, dass die deutschen Behörden ihn damals zu Unrecht ausgeliefert und in Lebensgefahr gebracht haben. Er soll einen Landsmann um 30 000 Euro betrogen haben, so stand es im Haftbefehl, den das Oberlandesgericht Nürnberg vor drei Jahren aus Armenien zugestellt bekam. Daraufhin wurde Sahak N. in Regensburg verhaftet und im Mai 2013 an sein Heimatland Armenien ausgeliefert - trotz eines laufenden Asylverfahrens in Bayern, trotz Petitionsanträgen an Landtag und Bundestag.
Vorwurf einer "Hauruck-Aktion"
Die damalige Grünen-Landtagsabgeordnete Renate Ackermann kritisierte die Auslieferung als "Hauruck-Aktion ohne Prüfung des Falles". Eine Einschätzung, die sich nun offenbar bewahrheitet hat. Denn im vergangenen Oktober wurde Sahak N. freigelassen, gegen eine Zahlung von 300 Euro, das armenische Gericht konnte ihm den Betrugsvorwurf nicht nachweisen. Damit sei offenkundig, dass Sahak N. von der deutschen Justiz aus "vorgeschobenen Gründen" ausgeliefert worden sei und "tatsächlich ein Fall politischer Verfolgung vorliegt", findet sein Anwalt Christian Stahl.
Vor seiner Auslieferung, sagt Sahak N., habe er die deutschen Behörden darauf aufmerksam gemacht, dass er kein Verbrecher sei, sondern ein politisch Verfolgter. Mit dem Haftbefehl sei lediglich Druck auf seinen Vater aufgebaut worden, einen bekannten armenischen Wissenschaftler, dem der Staat Patente abpressen wolle. Außerdem, sagt Sahak N., habe ihn der Staat bestrafen wollen, weil er im Präsidentschaftswahlkampf 2008 den oppositionellen Lewon Ter-Petrosjan unterstützt habe.
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All das haben die Behörden offenbar nicht ernst genommen. Auch nicht die Warnung der Grünen-Abgeordneten Ackermann, dass in armenischen Gefängnissen Folter an der Tagesordnung sei. Stattdessen durfte sich die deutsche Justiz durch das Auswärtige Amt bestätigt fühlen, das damals eine Anfrage des Landtagsabgeordneten Joachim Hanisch (Freie Wähler) so beantwortete: "Unmenschliche oder extrem unverhältnismäßige Strafen, lang andauernde Haft ohne Anklage oder Verurteilungen wegen vorgeschobener Straftaten sind uns aus Armenien nicht bekannt."
Sahak N. will nur eines: Schutz
Seine Unschuld, die Folter, die politische Verfolgung - was niemand glauben wollte, scheint sich inzwischen bewahrheitet zu haben. "Es stellt sich schon die Frage, ob das Gericht damals mit der notwendigen Sorgfalt entschieden hat", sagt der Regensburger Landtagsabgeordnete Jürgen Mistol (Grüne). "Wenn nur die Hälfte von dem stimmt", was Sahak N. über seine Haftbedingungen erzähle, dann müsse die Bundesrepublik "die Ansicht revidieren, dass in Armenien rechtsstaatliche Verhältnisse herrschen", sagt Mistol.
Es ist in der Tat beklemmend, was Sahak N. erzählt. Dass es kaum Schlafplätze gegeben habe, "war noch das kleinste Problem". Viel schlimmer sei gewesen, dass es keine Klimaanlage gegeben habe, er nur einmal im Monat habe duschen dürfen. Und dass neben ihm Häftlinge gestorben seien. Einer an einer Überdosis, ein anderer habe sich in der Zelle erhängt, ein Dritter sei während eines Streits umgebracht worden. Bei dem Streit sei es um Geld gegangen, denn Geld spiele eine große Rolle in armenischen Gefängnissen. Vom Staat gedeckt, kontrolliere dort eine Häftlingsmafia das Geschehen, die habe Schutzgeld von ihm verlangt. Seine Frau habe ihm Geld aus Deutschland geschickt, aber er habe immer noch offene Schulden. Deshalb seine Angst, dass die Mafia ihn zur Rechenschaft zieht, ihm etwas antut, falls er erneut im Knast landet.
Dass die armenische Justiz versuchen wird, ihn ein zweites Mal anzuklagen, davon ist Sahak N. überzeugt. Sein Anwalt will sich deshalb dafür einsetzen, dass die deutschen Behörden Armenien nicht länger als Rechtsstaat ansehen. Er selbst wartet derweil darauf, dass sein Asylantrag bearbeitet wird. "Ich will als politischer Flüchtling anerkannt werden", sagt Sahak N., "um vor einer zweiten Auslieferung sicher zu sein." Mehr verlange er nicht. Keine Entschuldigung, keine Entschädigung, nur eines: Schutz.