Gymnasien:G 8 oder G 9: Kritiker sehen Wahlfreiheit als "faulen Kompromiss"

Abitur-Prüfungen

Im Landesschnitt wählten an den 47 Pilotgymnasien 70 Prozent, teilweise sogar mehr als 90 Prozent das Modell mit mehr Zeit.

(Foto: dpa)
  • Ab 2018 wird es an den meisten Schulen in Bayern wieder ein neunjähriges Gymnasium geben.
  • In Zukunft dürfen die Gymnasien selbst entscheiden, ob sie ihre Schülern das Abitur in acht oder neun Jahren absolvieren lassen.
  • Lehrer, Schulleiter, der Landkreistag und die Opposition wollen eine klare Entscheidung. Die Verbände fürchten Chaos.

Von Anna Günther

Die neue Epoche ist eingeläutet, von 2018 an wird es auch in Bayern wieder ein neunjähriges Gymnasium geben. Ministerpräsident Horst Seehofer machte dem G 8, wie es sein Vorvorgänger Edmund Stoiber eingeführt hatte, zum Abschluss der Kabinettsklausur in Sankt Quirin den Garaus: Künftig dürfen die Gymnasien selbst entscheiden, ob sie ihren Schülern acht oder neun Jahre Zeit lassen bis zum Abitur. Wie genau das künftige G 9 aussehen soll - ob es ein echtes G 9 mit eigenem Lehrplan wird oder ob der G-8-Stoff einfach gestreckt wird - das soll bis zum Jahresende in einem "Dialogprozess" entschieden werden. Daran werden sich Schulen, Familien, Kommunen und Politiker aller Parteien beteiligen.

Obwohl noch gar nicht konkret ausgearbeitet ist, wie es weitergeht, ist klar: Die meisten Gymnasien dürften sich für neun Jahre bis zum Abitur entscheiden. An größeren Schulen sollen zwar theoretisch beide Wege möglich sein, doch ob diese Gymnasien tatsächlich G 8 und G 9 parallel anbieten, ist fraglich, denn die Stimmung in der Bevölkerung tendiert klar zum G 9. Trotzdem herrscht an den Gymnasien und bei den Lehrerverbänden nur bedingt Freude. Lehrer und Schulleiter wollten wie auch der Landkreistag und die Opposition eine klare Entscheidung.

Nach 13 Jahren Debatten ums G 8 fürchten die Verbände, dass statt der erhofften Ruhe Chaos ausbricht. "Wir werden an keiner Schule eine einstimmige Entscheidung haben, das wird Grabenkämpfe geben", sagte Karl-Heinz Bruckner, der Vorsitzende der Direktorenvereinigung. Für ihn ist die Wahlfreiheit ein "fauler Kompromiss". Es sei nicht klar, wie genau die Entscheidungsfindung laufe, ob zum Beispiel alle Gremien einer Schule gleich gewichtet sind oder ob Lehrer die Eltern überstimmen dürfen. Außerdem stelle sich die Frage, ob Kommunen aus Kostengründen ihr Veto einlegen dürfen. "Wir werden in drei, vier Jahren alle beim G 9 sein, aber statt Nägel mit Köpfen zu machen, droht den Schulen nun dieser quälende Prozess", sagte Bruckner.

Politik ohne Inhalt und Verantwortung

Das Problem sei, dass die CSU nicht zur Kenntnis nehmen wolle, wie klar die Familien sich an den Mittelstufe-Plus-Schulen für das G 9 entschieden haben, sagte Max Schmidt, der Chef der bayerischen Philologenverbandes. Im Landesschnitt wählten an den 47 Pilotgymnasien 70 Prozent, teilweise sogar mehr als 90 Prozent das Modell mit mehr Zeit. "Es ist traurig, dass sich trotzdem niemand getraut hat, eine klare Entscheidung zu treffen." Schmidt hofft, dass der Dialogprozess ein einheitliches G 9 bringen wird, an dem man die guten Schüler wie im Leistungssport gezielt fördert. Das Konzept der Mittelstufe Plus mit dem Parallelbetrieb von acht und neun Jahren ist für ihn nicht massentauglich: "Ein einheitliches Gymnasium wird kommen, weil es anders gar nicht organisierbar und erst recht nicht finanzierbar ist."

Die Staatsregierung setze sich über die Fachleute hinweg, sagte Martin Güll (SPD). Die Verzögerung um ein Jahr - ursprünglich war eine Reform schon für 2017/18 geplant - ist für ihn "Wortbruch". Damit mache die CSU das Gymnasium zum Wahlkampfthema, "das hat das bayerische Gymnasium nicht verdient". Thomas Gehring (Grüne) wollte den "letzten verzweifelten Versuch des Gesichtswahrens" erkennen. Das sei Politik ohne Inhalt und Verantwortung. Die Freien Wähler dagegen kritisierten die Haltung der Verbände. "Einen Vorschlag pauschal schlechtzureden, der noch nicht auf dem Tisch liegt - da machen wir nicht mit", sagte Michael Piazolo.

"Macht des Faktischen"

Im Landkreistag sieht man die Kabinettsentscheidung pragmatisch. Präsident Christian Bernreiter hatte ein klares Votum gefordert, damit Kommunen und Kreise planen können. Landkreistagsgeschäftsführer Johann Keller vertraut nun auf die "Macht des Faktischen": "70 bis 80 Prozent der Leute wollen das G 9, die meisten Gymnasien werden sich für neun Jahre entscheiden." Vetos der Kommunen aus Geldnot sieht Keller nicht: "Bildung ist das wichtigste Gut und wir werden alles tun, was getan werden muss." Bezahlen wird auch der Freistaat: Für den kommunalen Finanzausgleich 2017 hatten die Kommunen ein Plus ausgehandelt. Von den insgesamt 500 Millionen Euro soll ein Teil in zusätzliche Räume für Integrationsklassen fließen. "Jetzt werden wir das auch fürs G 9 nutzen", sagte Keller.

Bis zum Abschlussgespräch in der Staatskanzlei am Jahresende sollen alle Beteiligten Lösungen liefern. Die wichtigste Frage lautet: Mittelstufe Plus für alle oder ein neues G 9? Aus der Antwort ergibt sich auch, ob eigene G-9-Lehrpläne ausgearbeitet werden müssen. Gerade erst wurde ein neuer G-8-Lehrplan beschlossen. Nach diesem soll dennoch vom Herbst 2017 an unterrichtet werden.

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