Süddeutsche Zeitung

Gutachten:Giftgefahr ist noch längst nicht gebannt

Das Trinkwasser im Chemiedreieck zwischen Inn und Salzach ist nach wie vor belastet

Von Matthias Köpf, Altötting

Die Menschen im Chemiedreieck zwischen Salzach und Inn werden noch lange mit der Trinkwasserbelastung in ihrer Region leben müssen. Seit vor einigen Tagen der Alt-Neuöttinger Anzeiger auf einen fast ein Jahr alten Bericht gestoßen ist, steht nun das Landratsamt in Altötting unter Druck. Die Behörde sieht sich zu Erklärungen gedrängt, warum sie eine vor einem Jahr durchgeführte Studie nicht offensiver bekannt gemacht hat.

In ihrem Bericht für das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit waren die drei Experten im Dezember 2016 eigentlich zu einem positiven Ergebnis gekommen: Sie hatten festgestellt, dass sich der Ersatzstoff, der im Chemiepark im oberbayerischen Gendorf seit 2008 anstelle der giftigen perfluorierten Octansäure (PFOA) eingesetzt wird, in den untersuchten Proben aus Blutspenden von Anwohnern gerade noch nachweisen ließ. Doch die perfluorierte Octansäure, die als möglicherweise krebserregend gilt, fand sich nach wie vor in hohen Konzentrationen im Blut der Menschen.

Veröffentlicht habe man die Ergebnisse durchaus, betont Behördensprecher Markus Huber. Man habe sie sofort auf die eigene Homepage gestellt und bis heute immerhin 800 Zugriffe registriert. Der Leiter des örtlichen Gesundheitsamts, Franz Schuhbeck, versichert, er habe immer wieder in Gesprächen mit Bürgermeistern, Gemeinderäten und Betroffenen auf die Zahlen hingewiesen. Dass sein Amt nicht mit eigenen öffentlichen Mitteilungen auf die Studie verwiesen hat, erklärt Schuhbeck damit, dass diese in Sachen PFOA nichts Neues enthalte. "Das war für uns nicht überraschend und sollte eigentlich auch für niemanden überraschend gewesen sein, der sich schon mal mit dem Thema PFOA beschäftigt hat." Das Veröffentlichen auf der Homepage habe lediglich "der Transparenz für die besonders Interessierten" dienen sollen. Tatsächlich befassen sich die Behörden mit dem Thema im bayerischen Chemiedreieck seit vielen Jahren - spätestens seit 2006 Greenpeace-Aktivisten für Aufmerksamkeit gesorgt haben, indem sie belastetes Wasser aus der Alz zurück auf das Gendorfer Werksgelände pumpten.

Dort wurden schon von 1939 an Chemikalien für die Rüstungsindustrie gemischt. 1955 kam Hoechst, das sich später in mehrere Nachfolge-Firmen aufspaltete. PFOA diente im Werk bis 2008 der Herstellung von Kunststoffen für Dichtungen und für Beschichtungen etwa von Pfannen oder von Funktionskleidung. Obwohl der potenziell leberschädigende und krebserregende Stoff dort nicht mehr verwendet wird, dürfte die PFOA-Konzentration im Grundwasser der Region noch über Jahre hinweg ansteigen. Dies hat eine vom Chemiepark finanzierte Studie ergeben. Weil zugleich das Umweltbundesamt 2016 den Leitwert für PFOA herabgesetzt hat, können ihn mehrere kommunale Wasserversorger der Region nicht mehr einhalten. Seither wird improvisiert und daran gearbeitet, die Brunnen im Altöttinger Forst auf Kosten des Chemieparks bis Mitte 2018 mit Aktivkohle-Anlagen auszustatten, die PFOA gut ausfiltern können.

Dass die Menschen in der Region nicht noch mehr PFOA aufnehmen, ist laut Schuhbeck die einzige bekannte Maßnahme, um die Gefahr einzudämmen. Die Spender, deren Blut für die Studie des Landesamts untersucht wurde, kommen aus der kleinen Gemeinde Emmerting am Rande des Altöttinger Forsts. Ihre Namen sind nicht bekannt, die Proben vom BRK-Blutspendedienst wurden aus Datenschutzgründen anonymisiert. 26 Proben stammen aus dem Jahr 2015, 60 aus 2009, und alle wiesen sie eine um ein Vielfaches höhere PFOA-Konzentration auf als Vergleichsproben aus München und Passau. Die Werte überschreiten bei weitem jene Konzentration im Blut, die das Umweltbundesamt als unbedenklich erachtet. Einen zweiten Wert, ab dem es bedenklich wird, hat die Behörde trotz jahrelanger Diskussion bisher nicht definiert. Gleiches gilt für die Konzentration im Trinkwasser: Unter dem Leitwert gilt sie als unschädlich, einen Grenzwert gibt es aber nicht.

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Quelle:
SZ vom 13.11.2017
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