Gustl Mollath in Freiheit:Der erste Tag im neuen Leben

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Er braucht einen Ausweis und sucht eine dauerhafte Bleibe: Schon an seinem ersten Tag in Freiheit muss Gustl Mollath viel erledigen. Ein Experte für Resozialisierung hält die Herausforderung, vor der der ehemalige Psychiatriepatient nun steht, für kaum zu bewältigen. Wer ihm jetzt helfen muss.

Von Ingrid Fuchs und Sebastian Gierke

Gustl Mollath hatte knapp vier Stunden Zeit, um die vergangenen sieben Jahre seines Lebens irgendwie zu verpacken. Viel besitzt er eigentlich nicht. Ein paar Kleidungsstücke und Hygieneartikel. Aktenordner voller Dokumente. Unzählige Briefe von Freunden, Unterstützern und seinen Anwälten. Einen Fernseher. Und eine Topfpflanze, die er sich selbst gezüchtet hat.

Vier Stunden für sieben Jahre. Gegen elf Uhr erfuhr Gustl Mollath am Dienstag von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg: Sein Verfahren soll komplett neu aufgerollt, er sofort in die Freiheit entlassen werden. Die Klinik habe ihm kurz darauf gesagt, dass er sein Zimmer bis 15 Uhr zu räumen habe, berichtete seine Anwältin Erika Lorenz-Löblein. Am Ende brauchte Mollath doch etwas länger, von Seiten des Krankenhauses habe er keinerlei Hilfe bekommen. Dafür aber von Freunden und Unterstützern, die mit anpackten und einen Transporter organisierten.

Um 18 Uhr war es soweit: raus aus der Psychiatrie, rein in ein neues Leben. Freiheit. Auf die Frage, wie er sich seine ersten Tage vorstelle, antwortete Mollath: "Sehr schön." Trotz seiner Freude wirkte er dabei aber gefasst. "Es war heute eigentlich nur Stress. Ich habe noch nicht viel Zeit gehabt nachzudenken. Ich muss mich erstmal orientieren", sagte Mollath. Er habe nicht mal einen Ausweis.

Kein Ausweis, kein Wahlrecht?

An seinem ersten Tag als freier Mann wird sich Gustl Mollath also mit Behördengängen und Papierkram beschäftigen müssen. Wenigstens das Ausweis-Problem dürfte schnell behoben sein, sagt Daniela Schlegel, Sprecherin des Münchner Kreisverwaltungsreferats. "Normalerweise bleiben derartige Dokumente gültig. Man muss also einfach zu dem Amt gehen, das den vorhergehenden Ausweis ausgestellt hat und einen neuen beantragen." Daran ändere laut Schlegel auch der jahrelange Aufenthalt in einer Psychiatrie nichts. Ein Führerschein könne zwar entzogen werden, ungültig sei er dadurchaber noch nicht. Und auch das Wahlrecht könne Psychiatrieinsassen je nach Urteil zwar genommen werden, "aber es erlischt deshalb nicht".

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Gustl Mollath ist frei. Nach sieben Jahren ist er am Dienstag aus der Psychiatrie in Bayreuth entlassen worden. Der Fall treibt auch die Kommentatoren um: Während die einen funktionierende Kontrollmechanismen bei der bayerischen Justiz sehen, befürchten andere, dass es "mehrere Gustl Mollaths geben könnte". Einige sehen die CSU als Gewinner.

Eine Presseschau.

Persönlicher Besitz? Alles weg

Schwieriger wird es wohl bei der Frage nach einer dauerhaften Bleibe. Die erste Nacht hat Mollath bei einem Schulfreund im Raum Nürnberg verbracht, dort kann er vorerst auch bleiben. Doch wo soll er langfristig unterkommen? Mollath hatte Schulden, nach seiner Einweisung in die Psychiatrie wurde sein Haus zwangsversteigert. Seine ehemalige Frau kaufte das Haus im Nürnberger Stadtteil Erlenstegen 2007 meistbietend für 226.000 Euro.

Wo seine privaten Habseligkeiten hingekommen sind - und ob sie überhaupt noch existieren-, darüber gibt Mollaths Ex-Frau keine Auskunft. Nach Aktenlage war bei der mutmaßlichen Räumung des Hauses kein staatlich bestellter Gerichtsvollzieher anwesend. Die Nürnberger Justiz überprüft inzwischen, ob die Räumung rechtswidrig gewesen war.

Auch aus seiner Zeit in der Psychiatrie hat Mollath nicht viel Persönliches mit nach draußen gebracht. Im Arm hielt er am Dienstagabend eine Topfpflanze. Er beschrieb, wie er aus dem Kern einer Orange, die ihm ein katholischer Pfarrer schenkte, ein Pflänzchen gezüchtet habe. "Die Pflanze hat mich jahrelang begleitet. Da fühlt man sich in gewisser Weise verbunden." Bindungen zu Menschen muss Mollath nun erst wieder aufbauen.

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"Er braucht einen Coach"

Professor Bernd Maelicke, Experte für Strafvollzug und Straffälligenhilfe, ist sich sicher: "Gustl Mollath braucht einen Coach." Alleine könne er die Herausforderung, vor der er jetzt steht, kaum bewältigen. Er brauche einen Partner, dem er vertraut, einen professionellen Helfer, der beispielsweise einen Eingliederungsplan erstellt, in dem seine besondere Situation Berücksichtigung findet. Das müsse Mollath aber wollen. "Er muss mitmachen."

Tatsächlich kehrt Mollath nach sieben Jahren in eine Welt zurück, in der er - zumindest aktuell - keinen Platz mehr hat. "Seine bürgerliche Existenz wurde vernichtet", sagt Maelicke. Mollath muss sich seinen Platz erst wieder zurückholen.

Die Voraussetzungen dafür sind alles andere als gut. In der Klinik musste sich Mollath extrem anpassen. Der Tagesablauf war streng durchreglementiert. "Mollath hat sich gewehrt. Er hat sich im Umgang mit dieser Situation, dem Klinikpersonal, den Mitinsassen Überlebenstechniken erarbeitet", erklärt Wissenschaftler Maelicke. Alle seine Energien habe der zielgerichtet eingesetzt. Auch deshalb sei er heute mit großer Sicherheit ein veränderter, ein anderer Mensch, als er es vor sieben Jahren gewesen sei, sagt Maelicke.

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Gesellschaft und Staat sind verantwortlich

Tatsächlich wirkte Mollath ja in seinem Auftreten, zum Beispiel vor dem Landtag, sehr stabil, der Freigelassene ist keine gebrochene Persönlichkeit. Maelicke erklärt sich das damit, dass es in der Situation, in der er war, zu einer "Aktivierung von Energien" gekommen sei. "Mollath war in einer Situation, in der es um sein Überleben geht, er hatte mächtige Gegner."

Doch die Fähigkeiten, die er jetzt, da er in Freiheit ist, braucht, würden sich davon diametral unterscheiden, sagt Maelicke. Jetzt gehe es um soziale Fähigkeiten, um Kommunikation, um Offenheit und Vertrauen. "Er muss anknüpfen an ein Leben, das er vor sieben Jahren geführt hat. Das ist ein extrem schwieriger Prozess der Eingliederung."

Ob dieser Prozess gelingt, dafür muss auch die Gesellschaft und der Staat Verantwortung übernehmen, fordert Maelicke. "Dieser Fall war bisher ein Test für den Rechtsstaat, jetzt wird er zu einem Test für den Sozialstaat."

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