Süddeutsche Zeitung

Gunzenhausen:"Wir gehen von einem Familiendrama aus"

Lesezeit: 3 min

Von Claudia Henzler, Gunzenhausen

Für viele Nürnberger ist das Städtchen Gunzenhausen im Fränkischen Seenland ein beliebtes Ausflugsziel. Nach einer knappen Stunde Fahrzeit entspannen sie hier beim Baden, Segeln und Rad fahren. Am Dienstag aber interessiert sich niemand für den Altmühlsee mit seinen Freizeitmöglichkeiten, die Blicke richten sich auf ein grau-gelbes Hochhaus in der Ostvorstadt. Dort sind am Vormittag zwei silberfarbene Leichenwagen geparkt, bei einer Wohnung im dritten Stock sind die Rollläden heruntergelassen. In dieser Wohnung muss sich am frühen Morgen ein Drama abgespielt haben, bei dem eine 29-jährige Frau und ihre drei Kinder getötet wurden.

Was genau passierte, ist unklar. Jedenfalls wurde der Vater, 31, schwer verletzt vor dem Haus gefunden. Es gilt als wahrscheinlich, dass er seine Frau und die drei Kinder getötet hat und dann selbst vom Balkon der Wohnung gesprungen ist. Mit Bestimmtheit kann das die Polizei am Dienstag noch nicht sagen.

Falls es sich um eine Familientragödie gehandelt hat, was mag den Vater dazu gebracht haben, seine Frau und Kinder zu töten? Welches Motiv steckt hinter so einer Verzweiflungstat? Geldsorgen, Eifersucht, Angst vor dem Verlust der Kinder, wie es ein Nachbar am Dienstag andeutete? Am Dienstag haben die Ermittler der Kriminalpolizei Ansbach keine Erklärungen anzubieten, sie brauchen Zeit. Man sei erst ganz am Anfang der Ermittlungen, sagt Polizeisprecher Rainer Seebauer.

Er kann den vielen Journalisten vor dem Hochhaus immer nur dieselben Sätze ins Mikrofon sprechen: "Wir gehen von einem Familiendrama aus. Zu den Hintergründen gibt es noch keine Erkenntnisse." So nehmen die Kamerateams traurige Bilder davon auf, wie die Leichen des dreijährigen Mädchens, ihrer sieben- und neunjährigen Brüder und der Mutter aus dem Haus getragen und in die beiden Leichenwagen geladen werden.

Ein "naher Verwandter", zu dem die Polizei keine näheren Angaben macht, hatte morgens um kurz vor sechs Uhr den Notruf gewählt. Er hatte sowohl die vier Toten in der Wohnung gefunden als auch den verletzten Ehemann, der vor dem Haus lag und den ein Notarzt sofort ins Krankenhaus brachte. Laut ersten Meldungen der Polizei schwebte er in Lebensgefahr. Die Ermittler erhoffen sich wertvolle Informationen von diesem Verwandten, der erst einmal von einem Kriseninterventionsteam betreut werden musste, bevor er überhaupt befragt werden konnte. Man interessiert sich dafür, warum er in aller Früh zu dem Haus der Familie kam - hat er vielleicht etwas von dem bevorstehenden Drama gewusst oder geahnt?

Das zweite Familiendrama innerhalb von zwei Tagen

Besonders aufschlussreich wäre natürlich die Aussage des Familienvaters. Der aber musste am Dienstagmorgen operiert werden und soll frühestens am Mittwochvormittag vernehmungsfähig sein. Das Paar hatte Familienangehörige in der Nähe, Eltern und Geschwister wurden am Morgen von der Polizei benachrichtigt und von Notfallseelsorgern betreut. Auch in die Schulklassen der sieben- und neunjährigen Jungs hat die Polizei am Vormittag Kriseninterventionsteams geschickt.

Nähere Informationen will die Polizei an diesem Mittwoch auf einer Pressekonferenz bekannt geben. Die Polizei will durch die Ermittlungen auch ausschließen können, dass jemand anderes die Kinder und ihre Mutter umgebracht hat und den Vater anschließend vom Balkon stieß. Auch aus diesem Grund gibt die Polizei vorerst keine Auskunft darüber, wie die Kinder und ihre Mutter starben. "Das ist Täterwissen", erklärt Polizeisprecher Seebauer.

Es ist für die Kripo Ansbach bereits das zweite Familiendrama innerhalb von zwei Tagen: Am Montag hat im nur etwa 30 Kilometer entfernten Heilsbronn ein Mann seine Frau und seine 14-jährige Tochter schwer verletzt und sich dann erhängt.

Das Hochhaus mit seiner Fassade aus gelben und grauen Platten und rot gestrichenen Balkonen ist das höchste Gebäude in einer Straße, an der sich mehrere Mehrfamilienhäuser, alte Einfamilienhäuser aus der Nachkriegszeit und modernere Doppelhäuser reihen. Es stammt wohl aus den Sechzigerjahren und ist schon etwas heruntergekommen, aber nicht völlig ungepflegt. In einem Fenster sind Basteleien aufgehängt, im Erdgeschoss grüßen rosafarbene Geranien vom Balkon.

Man könne nicht von einem Brennpunktviertel sprechen, sagt Bürgermeister Karl-Heinz Fitz. Es handle sich um ein gewachsenes und "sehr durchmischtes" Wohngebiet. Die Familie war ihm nicht persönlich bekannt, aber er hat sich informiert. "Wir im Rathaus haben nicht gehört, dass es da Probleme gab." Die beiden Jungen gingen in die Grundschule, das kleine Mädchen in den Kindergarten.

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Quelle:
SZ vom 27.06.2018
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