Süddeutsche Zeitung

Günther Beckstein im Gespräch:"Weder Heiliger noch Schwein"

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Fehlerhaftes Bodenpersonal: Der frühere Ministerpräsident und überzeugte Protestant Günther Beckstein über Kirche, Glaube und Moral und deren Einfluss auf die Politik.

Annette Ramelsberger

Wozu noch Kirche, hat die SZ an Weihnachten gefragt und lebhafte Reaktionen erhalten. Einer, der sich seit langem mit Glauben und Kirche auseinandersetzt, ist der frühere bayerische Ministerpräsident und langjährige Innenminister Günther Beckstein (CSU). Er hat nicht nur in der CSU alle Höhen und Tiefen erlebt.

SZ: Sie haben die Liebe zu Ihrer Frau in der Gemeindearbeit entdeckt, Sie haben aber auch Nächte damit verbracht, erzürnte Protestanten von Ihrer Asylpolitik zu überzeugen. Ist Kirche für Sie Last oder Lust?

Günther Beckstein: Eindeutig Lust. Ich bin froh und dankbar für meine kirchliche Prägung, nicht nur wegen meiner Frau. Ich bin aktives Gemeindeglied, aber nicht immer gleich intensiv.

SZ: Was bedeutet für Sie Kirche? Heimat? Tradition? Gemeinschaftsgefühl?

Beckstein: Für mich ist die Kirche der Rahmen des persönlichen Glaubens. Der Glaube daran, dass man selbst nicht der Allerhöchste ist, sondern dem Allerhöchsten verantwortlich ist. Und Kirche ist die Gemeinschaft der Gläubigen, auch wenn man nicht jeden Tag in die Kirche geht. Als Christ allein zu sein und den Glauben nur in seinem stillen Kämmerchen zu erleben, wäre zu wenig. Der Gottesdienst gehört zur Gemeinschaft, Beerdigungen, auch Trauungen. Letztes Jahr hat mein Sohn kirchlich geheiratet: Da nimmt man etwas mit fürs Leben.

SZ: Viele Christen halten nichts vom Papst, kritisieren voller Hingabe ihren Landesbischof oder den Kardinal - aber an Weihnachten waren die Kirchen wieder voll. Was hält die Menschen in der Kirche?

Beckstein: Die Christen wissen: Das Bodenpersonal Gottes ist fehlerhaft. Bei uns evangelischen Christen ist das noch unmittelbarer, denn Pfarrer und Bischöfe sind bei uns nicht Mittler zwischen Menschen und Gott wie bei den Katholiken, bei uns steht schon jeder selbst vor seinem Herrn. Deswegen ist es ganz selbstverständlich, dass man einen Bischof kritisieren kann.

SZ: Dieses Jahr haben sich viele abgewandt, vor allem von der katholischen Kirche. Aber auch bei den Protestanten wurde der Missbrauch durch Pfarrer vertuscht, Opfer jahrelang vertröstet. Ist die evangelische Kirche aufrichtiger als die katholische?

Beckstein: Der Missbrauch von Kindern ist ein Verbrechen. Es war ein Fehler, das unter den Teppich zu kehren, um die Institution Kirche nicht zu beschädigen. Das einzig Richtige ist, solche Übergriffe der Staatsanwaltschaft zu melden und öffentlich zu machen. Diesen Weg hat die evangelische Kirche früher und konsequenter beschritten als die katholische. Aber auch bei uns ist nicht alles vorbildlich gelaufen, auch bei uns wurde vertuscht. Wir sind nicht die Heiligen.

SZ: Was muss geschehen, dass die Menschen den Kirchen wieder vertrauen?

Beckstein: Die Kirchen müssen sich eindeutig in den Dienst der Menschen stellen. Nicht die Institution ist wichtig, sondern der Mensch. Und: Keiner in der Kirche ist heilig, wir sind alle Sünder, auch die Pfarrer, auch die Bischöfe. Wir beten: Gott, sei mir Sünder gnädig - vom Messdiener bis zum Bischof, auch bis zum Ministerpräsidenten.

SZ: Als Politiker passte Ihr moralisches Koordinatensystem nicht immer zu dem der Kirche - wo haben Sie Brüche erlebt?

Beckstein: Es gab harte Auseinandersetzungen zwischen dem früheren Landesbischof und mir, gerade bei der Asylpolitik. Das hat alle Beteiligten verändert. Wir haben danach die Härtefallkommission für Flüchtlinge installiert. Aber auch in der Kirche wurde akzeptiert, dass nicht einfach für einen Flüchtling das Gesetz außer Kraft gesetzt werden kann, weil er schöne Augen hat oder ein bedauernswertes Schicksal. Die Aufgaben in Politik und Kirche sind unterschiedlich. Das hat Luther mit seiner Zwei-Reiche-Lehre beschrieben und Max Weber mit der Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Ich hätte mich als Innenminister nicht richtig verhalten, wenn ich jedem Flüchtling den Aufenthalt bewilligt hätte. Ein Lehrer kann ja auch nicht aus Mitleid gute Noten geben.

SZ: Sie wurden als unmenschlich und kalt beschimpft. Hatten Ihre Kritiker recht?

Beckstein: Die eine oder andere Entscheidung war überzogen, vielleicht auch falsch. Aber dem Grund nach war die Kritik unberechtigt. Ich habe die Entscheidung ja nicht getroffen, sondern das Bundesamt für Migration. Wir mussten sie nur durchsetzen. Aber es hat Härten gegeben.

SZ: Später, als es um den Sturz Edmund Stoibers ging, waren Sie der CSU dann zu zaghaft und zu nett. Kann man ein guter Mensch und ein guter Politiker sein?

Beckstein: Unbedingt. Die Menschen wollen keine Politiker, die herzlos und eiskalt sind. Sie wollen einen Politiker mit sozialen und emotionalen Fähigkeiten. Das gilt, auch wenn ich 2008 bei der Landtagswahl gescheitert bin.

SZ: Du musst ein Schwein sein - das ist die Devise vieler Karrieristen. Du sollst ein Heiliger sein, fordert die Kirche. Wie oft schwankten Sie, für welche Seite Sie sich entscheiden sollen?

Beckstein: Ich wollte weder ein Heiliger sein noch ein Schwein. Ich hätte bestimmte Dinge nie gemacht, auch wenn mir das politisch geholfen hätte.

SZ: Welche meinen Sie?

Beckstein: Ich würde nie einen Menschen vernichten, weil es opportun ist. Das politische Geschäft darf auch nicht in Hass oder Todfeindschaft umschlagen. Aber man muss sich auch nicht selbst opfern: Wenn mir einer auf die rechte Backe geschlagen hat, dann habe ich nie die linke hingehalten. Ich war nie ein Heiliger.

SZ: Gerade Ihre Freunde in der CSU sündigen mit Lust und gehen dann beichten. Als Protestant bleibt Ihnen solche Erleichterung versagt. Bedauern Sie das?

Beckstein: Ich bin mit vollem Herzen evangelischer Christ. Ich brauche keine Ohrenbeichte zur schnellen Vergebung der Sünden. Man muss den eigenen Ansprüchen gemäß leben.

SZ: Aber in Sachen Landesbank, bei der Sie im Verwaltungsrat saßen, wäre ein wenig Beichte und Vergebung der Sünden schon schön gewesen?

Beckstein: Es ist ärgerlich und auch sehr belastend, dass aus unseren guten Absichten solche Probleme entstanden sind. Wir waren nicht leichtfertig, wir wollten die Landesbank für die Zukunft ertüchtigen und nicht 25 Prozent Rendite erzielen. Ich trage die Verantwortung für eine Menge von Problemen. Eine Beichte hilft mir da nicht.

SZ: Können auch die Kirchen von der Politik lernen?

Beckstein: Sicher. Allein mit gutem Willen ist noch nichts vollbracht. Es gibt nicht die wunderbare Welt der Nächstenliebe, in der alles funktioniert, wenn nur alle wollen.

SZ: Die Kirchen und die CSU haben ähnliche Probleme: Der CSU laufen die Wähler weg, den Kirchen die Mitglieder. Was raten Sie?

Beckstein: Bei der CSU halte ich mich mit Ratschlägen zurück. Ratschläge werden oft als Schläge empfunden.

SZ: Die CSU hat in diesem Jahr die Frauenquote eingeführt. Wäre das auch was für die Kirchen?

Beckstein: Was die evangelische Kirche betrifft, wäre eine Quote ein Rückschritt. Hier gibt es bereits Bischöfinnen und Regionalbischöfinnen. Das hat sich alles wunderbar entwickelt, obwohl in Bayern die Frauenordination erst 1975 eingeführt wurde. Schade, dass die katholische Kirche auf die Fähigkeiten von Frauen einfach verzichtet.

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Quelle:
SZ vom 30.12.2010
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