Grünewald-Altar in Lindenhardt:Fast zu schön, um echt zu sein

In Lindenhardt verehren die Bürger ihren Nothelfer-Altar von Matthias Grünewald. Das dachten sie wenigstens bislang. Denn das Kunstwerk stammt womöglich von einem Schüler Dürers.

Katja Auer

Pfarrer Ulrich Bauer muss erst den Schlüssel holen. In die Michaelskirche im Dörfchen Lindenhardt nahe Bayreuth kann man nicht einfach hineinspazieren, wenn einem gerade nach einem Vaterunser ist. Sicherheitsmaßnahmen. Deswegen ist auch eine Alarmanlage installiert und deswegen dürfen nur ganz bestimmte Kerzen angezündet werden, die nicht so stark rußen. Denn in dem Kirchlein steht ein Kunstwerk. Nothelfer-Altar von Matthias Grünewald. Das dachten sie wenigstens bislang in Lindenhardt. Nein, das tun sie immer noch. "Wir haben solange die Wahrheit auf unserer Seite, bis sie jemand widerlegt", sagt Pfarrer Bauer.

Er hat seine Leute im Pfarrhaus versammelt, und gemeinsam treten sie nun die Verteidigung an. Die Verteidigung ihres Altars, der das Örtchen in die Reihe der kunsthistorisch bedeutenden Stätten Bayerns erhoben hat. Matthias Grünewald, jener rätselhafte Künstler, von dem nicht einmal Geburtsjahr und Ort genau bestimmt sind, soll den Nothelfer-Altar geschaffen haben. Ein Frühwerk. Und damit ein bedeutendes Werk der deutschen Frührenaissance. Die Besucher kommen zahlreich, Kunstinteressierte, Experten, Gläubige. Im Sommer sind es bis zu 35 Leute am Tag. Auf dem Tisch die Beweise. Kunstbände, in denen Lindenhardt abgebildet ist, neben Colmar und seinem Isenheimer Altar, dem bedeutendsten Werk Grünewalds.

Aber sie alle irren, sagt nun Italo Bacigalupo. Er hat ein Buch geschrieben, eine Dissertation, mit der er akribisch nachgewiesen haben will, dass die Bilder auf dem Altar gar nicht von Grünewald stammen. "Das kann ich völlig ausschließen", sagt er. Der Altar stammt seiner Meinung nach von Hans von Kulmbach, einem Schüler Albrecht Dürers.

Beweise führt er viele an. Er hat Unterlagen ausgewertet, und daraus schließt er, dass die Geschichte des Altars eine andere sein müsse, als die, die in Lindenhardt erzählt wird. Und die Bilder. Der Harnisch vom heiligen Georg zum Beispiel. Grünewald habe stets ein anderes Modell gemalt, sagt Bacigalupo. Dafür sehe der heilige Christophorus genauso aus, wie ihn Hans vom Kulmbach mehrmals gemalt habe. Und der Drache. Und die Pfeilspitze. Undsoweiter.

In Lindenhardt halten sie dagegen. Zum Beispiel die Finger, ganz typisch für Grünewald. Oder diese fränkischen Gesichtszüge: dicke Backen, kleiner Mund. Und der Faltenwurf natürlich.

"Der ist doch auch nur ein Pfarrer"

Nun sind es allesamt keine Kunsthistoriker, die sich da auseinandersetzen. "Der ist doch auch nur ein Pfarrer", sagt gar Bauer und meint Bacigalupo. Der pensionierte Theologe war selbst mal Pfarrer von Lindenhardt, von 1972 bis 1981 - und das macht das Ganze nicht leichter. "Die einfachen Gemeindemitglieder verstehen nicht, wie ein ehemaliger Pfarrer so das Nest beschmutzen kann", sagt Peter Hippmann.

Der 36-jährige Krankenpfleger ist einer der ehrenamtlichen Kirchenführer, die Besuchern den Grünewald-Alter zeigen."Das ist meine große Freude", sagt er. Immer ist jemand da, es gibt eine Art Bereitschaftsdienst für Kirchenführer. Die Telefonnummer steht an der Kirchentür. Sonst klingelt man eben im Pfarrhaus. Auch Bauers Ehefrau Dorina hat sich zur Altar-Expertin fortgebildet. "Der Altar ist das Herzstück von Lindenhardt", sagt Hippmann. Darauf sind sie stolz. Deswegen haben sie sich die Kenntnisse angeeignet.

Als Lindenhardter sei man wegen des Altars etwas Besonderes.

Reines Wunschdenken?

Das sieht nun Bacigalupo ganz anders. Ein Märchen sei das mit dem Grünewald, sagt er, mehr nicht. 30 Jahre hat er herumgerätselt, er ist nicht der Erste, der Zweifel an der Herkunft des Altares äußert. Da kein Nachweis existiert, keine Signatur, keine Rechnung, gab es nie den absoluten Beweis, dass tatsächlich Matthias Grünewald die Bilder gemalt hat.

Erst 1915 brachte der Heimatforscher Karl Sitzmann Grünewald als Schöpfer ins Gespräch. 1926 legte er sich definitiv auf ihn fest. Was ihm auch gut in jene Zeit passte, wie er es selbst formulierte: "Gerade in unserer Zeit, in der ein von feindlicher Übermacht diktierter hasserfüllter Vertrag das deutschsprachige Elsaß und mit ihm den Isenheimer Altar vom Mutterlande fortriß, muß der neuentdeckte Altar von Lindenhardt einen kleinen Ausgleich bilden", schreibt Sitzmann 1927. Reines Wunschdenken also? Eine Expertenkommission bestätigte 1977 jedoch die Einschätzung Sitzmanns.

Damals war Bacigalupo noch Pfarrer in Lindenhardt und er sagt, er habe damals schon Zweifel gehabt. Natürlich habe er nichts gesagt, schließlich sei es auch um viel Geld gegangen. Die Kirche musste saniert werden und erst, als auf einmal ein echter Grünewald-Altar in Lindenhardt zu bewundern war, habe die Staatsregierung den Zuschuss gewährt. "Ich habe natürlich nichts gesagt, das hätte ja der Renovierung geschadet", sagt Bacigalupo heute.

Nicht nur das, sagen sie in Lindenhardt, Bacigalupo habe doch sogar selbst den Kirchenführer verfasst. Von einem falschen Grünewald ist da nicht die Rede. Warum er jetzt seine ehemalige Pfarrei um ihren berühmten Alter bringen will? Es gehe ihm um die Wahrheit, sagt Bacigalupo. Dafür würde er seiner ehemaligen Pfarrei sogar einen neuen Kirchenführer schreiben. Kostenlos.

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