Vor etlichen Jahren hätte sich ein bayerischer Grüner wohl eher die Zunge abgebissen, als das Wort Heimat in den Mund zu nehmen. Sowohl die Nationalsozialisten als auch die Kitsch-Idylle der Nachkriegszeit hatten diesen Begriff in einem für die Grünen nicht mehr tolerierbaren Maß kontaminiert. Doch die Welt ändert sich in einem Tempo, das auch die Grundsätze der seit 1986 im Landtag sitzenden Partei durcheinanderwirbelt. Und so hört man von Sepp Dürr, dem kulturpolitischen Sprecher der Landtagsfraktion, plötzlich Sätze wie diesen: "Wir Grünen sind der politische Kern einer neuen Heimat-Bewegung!"
Tatsächlich hat diese bereits so viel Schwung aufgenommen, dass sie die Grünen am Samstag bis in den Regensburger Salzstadel getragen hat. Das altehrwürdige Bauwerk auf der Steinernen Brücke bot eine würdige Bühne für den ersten grünen Heimatkongress, stellt es doch ein Monument der Heimat dar, das über alle Zweifel erhaben ist.
Als Heimat gelten aber auch die Lebkuchenherzerl, die zu Beginn verteilt wurden. Allerdings markieren sie jenes skurril-heile Heimatbild, das den Grünen eben nicht vorschwebt. Acht Stunden lang redeten sich die Teilnehmer die Köpfe über dieses emotional aufgeladene Thema heiß. Dass es gerade eine Hochkonjunktur erlebt, hängt sehr mit der Angst vor Heimatverlust zusammen, die in Wachstumsregionen wie rund um den Münchner Flughafen sprunghaft ansteigt. Umso mehr berührt dieses Phänomen das Selbstverständnis der Grünen, letztlich liegt in der Bewahrung von Schöpfung und Heimat ja ihr Ursprung in den 80er Jahren begründet.
Heimat ist eine positive Antwort auf Internationalisierung und Globalisierung", sagte Michael Lerchenberg, der Intendant der Luisenburg-Festspiele in Wunsiedel. Während ausgerechnet die konservativen Regierungsparteien die Betonierung der Heimat durch Flughäfen, Autobahnen und Gewerbegebiete begünstigen und vorantreiben, spüren immer mehr Menschen, dass die Werte, die für sie Heimat bedeuten, auf der Strecke bleiben: lokale Sprache, unversehrte Landschaft, vertraute Nähe.
Verdichtet in Gerhard Polts Aphorismus "Was man liebt, betoniert man nicht!", zog sich das Gefühl, dass in der Politik vieles aus den Fugen gerät, wie ein roter Faden durch den Kongress. Die vielfältigen Versuche, den Begriff zu definieren, hörten sich schließlich so an: "Heimat ist für mich da, wo mein Herz ist. Das können Menschen sein, Orte, aber auch politische Anliegen, die mir als grüner Weltverbesserin wichtig sind."
Die Grünen hatten eine ganze Garde von Spezialisten aus Wissenschaft und Kultur, Denkmalpflege und Sprachforschung, Volksmusik, Stadtplanung und Rechtsextremismusforschung gewinnen können, mit denen sie um Perspektiven eines neuen Heimatbegriffs rangen. Bayern, so war man sich einig, soll ein Land sein, in dem sich alle Bewohner daheim fühlen können, gemäß dem eher vernachlässigten Artikel 3 des Grundgesetzes: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden."
Allerdings wirkt die von den Grünen angestrebte Heimat noch wie ein ungeordnetes Puzzle. Für so unterschiedliche Problemfelder wie Windkraft, Denkmalpflege, Landschaftsschutz, Bildung und kulturelles Erbe muss ein Rahmen gefunden werden, in dem die Trachtenvereine nicht mehr und nicht weniger Heimat verkörpern sollen wie der Christopher Street Day der Schwulen und Lesben. Von Lösungen sind die Grünen noch weit entfernt. Manche Diskutanten gerieten erst einmal in einen basisdemokratischen Furor: "Du kapierst gar nichts!", "Du hast doch keine Ahnung!", "Red doch keinen Unsinn!" Die Emotionen hochbesorgter Menschen, die noch nicht zusammenpassende "Patentlösungen" auf den Tisch legten, zeigten, dass ein Heimatprogramm, das in einen grünen Parteitagsbeschluss einfließen soll, noch Kärrnerarbeit mit sich bringen wird. Jedenfalls so lange, bis man sich einigen kann, wie 200 Meter hohe Windräder in eine verträgliche Heimat passen, wie ein "guter Patriotismus" aussehen soll und welche Art von Kultur und Museen man bewahren will. Nicht selten lagen hier die Positionen so weit auseinander wie der Nord- und der Südpol.
Aber auch zwischen den Parteien bahnen sich harte Auseinandersetzungen an. "Die Grünen haben die bayerische Heimat nie verstanden und sie wollen unsere bayerische Tradition nicht verstehen", kommentierte der CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt kraftmeierisch den Grünen-Kongress. Die Grünen halten ihrerseits den Heimatbegriff der CSU für überholt, speise er sich doch aus der Vergangenheit und grenze "angebliche Ausländer, Grüne oder sonstwie Abweichende" systematisch aus. "Damit hat die CSU lange erfolgreich gearbeitet. Jetzt funktioniert dies nicht mehr", sagte Sepp Dürr, auf die Landratswahl in Regen verweisend, bei der ein junger Sozialdemokrat den Sieg davongetragen hat.
Ob die grüne Neudefinition von Heimat im Sinn einer nach vorne gerichteten, offenen Heimat gelingen wird, muss sich erst zeigen. Jedenfalls nach Meinung des Politikwissenschaftlers Thomas Meyer, der Wasser in den Wein der Euphorie goss. Die Heimatverlockung erscheint als süßes Gift, das in kleinen Dosen Glück spenden kann und in der Überdosis zum Wahn führen kann, wie der Rechtsextremismus in Ostdeutschland zeige, sagte Meyer.
Die Grüne Jugend wiederum will den Heimatbegriff ablegen. "Wir brauchen ihn nicht. Heimat bleibt immer etwas Reaktionäres,", sagte Regina Prade. Die Parteispitze ließ sich davon nicht irritieren. "Wir wollen ein Bayern schaffen, das demokratischer, ökologischer und weltoffener sein soll", sagte Margarete Bause. Dürr fügte hinzu: "Wir sind die eigentliche bayerische Heimatpartei."