Süddeutsche Zeitung

Parteitag der Grünen in Bayern:Hach, diese Harmonie

Ein bisschen wundert man sich schon beim Grünen-Parteitag in Landshut: Es wird nicht gestritten, das Spitzenduo erhält ein unerhört starkes Ergebnis - und sagt, es möchte ein Bayern, das "Wertvolles bewahrt und Modernes ermöglicht". Es geht zu wie bei der CSU.

Von Andreas Glas, Landshut

Es geht ein bisschen holprig los. Wer hätte sich das vorstellen können, vor einem Jahr, fragt Thomas von Sarnowski zu Beginn seiner Parteitagsrede. Der Krieg gegen die Ukraine, die Energiekrise, die hohen Preise für "Kohl" und "Öle". Ein hübscher Versprecher, er meint Öl und Kohle, logisch. Man ist kurz belustigt, dann traurig, weil es ja schön wäre, wenn die größte Sorge dieses Landes wäre, dass sich die Leute den Krautsalat nicht mehr leisten können. Aber dann fängt sich Sarnowski, Bayern-Chef der Grünen. "Unser klares Ziel für 2023 ist: Wir wollen regieren!", das ruft er in den Saal. "Das wird gut, lasst uns das anpacken!" Der Saal johlt zurück, Beifall in Landshut.

Etwa dreieinhalb Stunden später tanzt Katharina Schulze durch ein Spalier aus Tischreihen und jubelnden Menschen, neben ihr federt Ludwig Hartmann über den Teppichboden, im Hintergrund schmettert Freddie Mercury, "Don't stop me now". Die Delegierten dürfen ihre Spitzenkandidaten jetzt herzen, knutschen, beklatschen. Sie haben gerade entschieden, dass Schulze und Hartmann die Grünen in den Landtagswahlkampf 2023 führen sollen. 95,3 Prozent, ein unerhört starkes Ergebnis, wenn man sich an frühere, kontroverse Grünen-Parteitage erinnert. Gegenkandidaten? Hat es nicht gegeben. "Supergut", findet Katharina Schulze das Ergebnis.

Mal angenommen, man wäre ein Außerirdischer, der versehentlich hier gelandet ist, in diesem fensterlosen Saal der Sparkassen-Arena in Landshut. Mal angenommen, man wüsste nichts über die bayerische Politik, man hätte noch nie was gehört von der CSU und würde bei den "Grünen" zuerst an Marsmännchen denken. Man stünde da, vor der gewaltigen Bühnenleinwand mit dem gelben Sonnenblumen-Logo, und käme nicht einen Moment auf die Idee, dass hier etwas in Unordnung sein könnte. Ist aber so.

Es passt was nicht zusammen bei den Grünen, und das ist rasch erklärt. Hier die eigenen Umfragewerte, die monatelang bei 20 Prozent lagen, zuletzt bei 18, was immer noch ein Rekordergebnis in Bayern wäre. Und ziemlich motivierend sein könnte für den Landtagswahlkampf. Dort die Werte der anderen, CSU um die 40 und Freie Wähler um die zehn Prozent. Diese Werte rücken die Grünen keine Lichtjahre, aber doch einige Meilen weit weg von der Macht im Freistaat. Frustrierend.

Schulze tanzt, Hartmann federt

Zuletzt haben sich CSU und Freie Wähler auch noch die Treue geschworen, sehr demonstrativ. Man wolle "Partner der CSU bleiben", sagte FW-Chef Hubert Aiwanger. Man wolle "die Koalition mit den Freien Wählern fortsetzen", sagte CSU-Chef Markus Söder. Und: "Schwarz-grün ist kein bayerisches Modell und keine bayerische Option." An welche Hoffnung klammert man sich also bei den Grünen im September 2022? Wer die Delegierten beim Landshuter Parteitag fragt, im Saal und auf den Fluren, der bekommt sehr zuverlässig diesen Satz zu hören: Ist ja noch ein Jahr hin bis zur Wahl. Meistens folgt ein zweiter Satz: In einem Jahr könne viel passieren.

Und so changiert dieser Parteitag zwischen Zweckoptimismus, Autosuggestion und der legitimen Hoffnung, das sich die Dinge noch drehen, man hat ja vieles schon erlebt in der Politik. Am poetischsten formuliert das die Münchnerin Jamila Schäfer. Sie empfiehlt den Delegierten, "mit dem Pessimismus des Verstandes, aber dem Optimismus des Willens" ins Wahljahr zu gehen. Schäfer weiß, wie man als Grüne in Bayern erfolgreich sein kann. Im Herbst 2021 holte sie für ihre Partei das erste bayerische Direktmandat überhaupt bei einer Bundestagswahl.

Um 14.19 Uhr kündigt Wahlleiterin Gudrun Lux den "Höhepunkt des Parteitags" an. Ein paar Minuten später marschieren Katharina Schulze und Ludwig Hartmann in den Saal, die Fraktionschefs der Grünen im Landtag. Beide marschieren mit Headsets, um schon den Weg zur Bühne dafür zu nutzen, sich bei den 310 Delegierten anzupreisen. Sehr amerikanisch alles, sehr harmonisch. Da marschieren sie also und unterhalten sich, ein bisschen theatralisch, über die "herbe Enttäuschung" am Wahlabend 2018. Auch damals standen da gute Zahlen (17,6 Prozent) - und doch war "schnell klar: Dieses Mal wird's nichts", sagt Schulze. "Frustriert" sei man gewesen, erinnert sich Hartmann.

Die Parteitags-Regie achtet darauf, das Bild der Geschlossenheit nicht zu trüben

Beim nächsten Mal soll alles anders werden, alles besser. Zum "Wahlkampf unseres Lebens" ruft Schulze auf, damit am Ende die Grünen regieren oder wenigstens mitregieren und Bayern "nachhaltiger, sozial gerechter, weltoffener und feministischer" machen. Hartmann nennt sich und Schulze das "Energiewende-Team für Bayern". Die CSU? Ist für Schulze "das energiepolitische Sicherheitsrisiko in diesem Land". Für die CSU sei an allem die Bundesregierung schuld, der die Grünen bekanntlich angehören. "Mimimimi", lästert Schulze, "dieses Gewinsel ist unserem stolzen Bayern unwürdig".

Man wolle "ein Bayern schaffen, das Wertvolles bewahrt und Modernes ermöglicht", sagt Hartmann noch. Man muss jetzt kurz aufschauen, zur Sonnenblumen-Leinwand, um sicherzugehen, dass das wirklich ein Parteitag der Grünen ist und keiner der CSU. Überhaupt, diese Harmonie-Show, auch die kennt man eher von der CSU, wo die Parteitags-Regie penibel darauf achtet, das Bild der Geschlossenheit nicht zu trüben, wenn eine bedeutsame Wahl ins Haus steht. Ein bisschen wundert man sich schon, dass die Grünen in Landshut so gut wie gar nicht streiten über Kohle, Kernkraft, Waffenlieferungen, überhaupt den Kurs der Grünen im Bund, den das Spitzenpersonal in Bayern mitträgt.

Als die Schulze-Hartmann-Show zu Ende ist, tritt der Würzburger Stadtrat Niklas Dehne ans Pult. Er wirbt dafür, dass sich die Delegierten für ein Moratorium der zweiten S-Bahn-Stammstrecke in München aussprechen, per Parteitagsbeschluss. Die Kosten explodieren, ein Baustopp müsse "ernsthaft geprüft werden", sagt Dehne. Also, wer ist dafür? Überall im Saal gehen grüne Abstimmungskarten nach oben. Gegenstimmen? Keine. Hach, diese Harmonie.

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