Landespolitik:Grüne wollen Bayerns Verfassungshüter zur Eile verpflichten

Landespolitik: Am Bayerischen Verfassungsgerichtshof dauert den Grünen zufolge so manches Verfahren zu lange.

Am Bayerischen Verfassungsgerichtshof dauert den Grünen zufolge so manches Verfahren zu lange.

(Foto: Tobias Hase/dpa)

Ziehen sich Verfahren am Bayerischen Verfassungsgerichtshof zu lange hin? Ein Gesetzentwurf fordert, künftig Beschwerden wegen Verzögerung zuzulassen.

Von Johann Osel

Um Beispiele zu nennen, dass sich Verfahren am Bayerischen Verfassungsgerichtshof manchmal eine gefühlte Ewigkeit in die Länge ziehen, werden in Grünen-Kreisen gern eigene Fälle bemüht. Die Fraktion im Landtag habe Anfang August 2017 eine Klage eingereicht, in der es um die mutmaßliche Vermischung der Arbeit von Verfassungsschutz und Polizei geht. Und bis heute, April 2023, habe der VerfGH keine mündliche Verhandlung anberaumt. "Die Menschen in Bayern haben ein Recht auf ein faires und ebenso auf ein möglichst zügiges Verfahren - auch vor dem Verfassungsgerichtshof", sagt Toni Schuberl, rechtspolitischer Sprecher. Und das Gericht müsse "Entscheidungen über wichtige Handlungsmöglichkeiten des Staates", beispielsweise zur Sicherheitspolitik, "in angemessener Zeit überprüfen".

Mit einem Gesetzentwurf will die Grünen-Fraktion nun "eine Rechtsschutzlücke schließen" - und die sogenannte Verzögerungsbeschwerde einführen. Das Gesetz, das den VerfGH in Bayern regelt, sehe kein Instrument vor, mit dem Betroffene "eine überlange Dauer ihres verfassungsgerichtlichen Verfahrens rügen können", heißt es im Entwurf, es gehe um "unangemessen" lange Zeiträume. Sowohl beim Bundesverfassungsgericht als auch vor zehn anderen Landesverfassungsgerichten sei das dagegen der Fall. Doch wie lange dauern Verfahren am VerfGH tatsächlich, und welche Zeitspanne würde als "unangemessen" gelten? Schwierig zu beantworten.

Vergangenes Jahr hat der VerfGH deutlich weniger Arbeit auf den Tisch bekommen als in den beiden Vorjahren, 93 neue Verfahren gingen ein. 2021 waren es 164 und 2020 sogar 238 - weil in der Pandemie häufig Teile der üppigen Corona-Regeln von den Verfassungshütern zu prüfen waren. Den 93 Neueingängen 2022 stehen ebenso viele in dem Jahr erledigte Verfahren gegenüber, teilte der VerfGH zuletzt mit. Das klingt nach einem ordentlichen Tempo. Die durchschnittliche Dauer aller Verfahren steht indes nicht in der turnusmäßigen Bilanz. Es gebe "keine Anhaltspunkte" für unangemessene Verfahrensdauer, teilt das zuständige Innenministerium auf Nachfrage der SZ mit. "Insoweit besteht auch kein Bedarf für eine Verzögerungsbeschwerde vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof." Vielleicht bietet eine Aufschlüsselung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe einen Richtwert: 80 Prozent aller Verfahren dort wurden zwar binnen eines Jahres erledigt. Allerdings brauchte jedes zehnte drei Jahre und länger oder blieb anhängig.

In Karlsruhe ist eine solche Beschwerde-Option zulässig, wie sie die Grünen in Bayern wünschen. Allerdings muss die Unangemessenheit der Verfahrensdauer und ein damit verbundener subjektiver Nachteil ausreichend begründet werden - gegenüber der Schwierigkeit der Sachmaterie, wie es heißt. Ebenfalls nicht so einfach. Die Grünen sehen das Instrument daher in erster Linie als Rechtsbehelf, um mögliche Ansprüche auf Entschädigung zu ermitteln. Nicht aber, um das Gericht unmittelbar zur raschen Entscheidung im konkreten Verfahren zu verpflichten. Allerdings, so die Hoffnung, werde durch das Instrument "ein gewisser Druck entfaltet".

Der Gesetzentwurf enthält weitere Änderungsvorschläge für das Gericht - nämlich zur Wahl der Richter. Der VerfGH setzt sich aus dem Präsidenten, 22 berufsrichterlichen und 15 weiteren ehrenamtlichen Mitgliedern (sowie deren Vertretern) zusammen. Derzeit werden die Berufsrichter vom Landtag mit lediglich einfacher Mehrheit gewählt; bei Verfassungsgerichten vieler anderer Länder oder für Karlsruhe liegen die Hürden höher, argumentieren die Grünen. Bei neuen Verfassungsrichtern in Bayern übermittelt der Präsident des VerfGH erst der Staatskanzlei und dem Kabinett den Personalvorschlag, dieser wird dann im Landtag in einer zum Stillschweigen verpflichteten Kommission und später ohne Aussprache im Plenum gewählt. Eine Anhörung der Aspiranten findet nicht statt. "Wir können derzeit sozusagen nur die Hand heben", hatte Schuberl schon vor gut zwei Jahren anlässlich einer Wahl beklagt. Und stellte einen Gesetzentwurf für mehr Transparenz, Auswahl und Unabhängigkeit in Aussicht. Laut Entwurf nun, der nächste Woche erstmals in den Landtag eingebracht wird, soll für die Wahl der Berufsrichter eine Zweidrittelmehrheit im Landtag nötig sein. Zudem soll es pro Posten mindestens zwei Personalvorschläge geben.

Die Staatsregierung sieht auf Nachfrage keinen Änderungsbedarf beim Prozedere der Richterwahl, "das bisherige Wahlverfahren hat sich uneingeschränkt bewährt". Zuletzt wurde 2018 ein Gesetzentwurf der SPD zur Reform der Richterwahl im Landtag abgelehnt. Vor 23 Jahren war ein Volksbegehren gescheitert, Titel: "Macht braucht Kontrolle: Für ein unabhängiges Verfassungsgericht in Bayern". Die ehrenamtlichen Verfassungsrichter wiederum, die in Spruchkammern die Berufsrichter ergänzen, werden ganz eindeutig vom Landtag bestimmt. Die Fraktionen dürfen anteilig nach ihrer Stärke Personen mit Kenntnissen im öffentlichen Recht nominieren.

Zuletzt stand diese Richtergruppe im Fokus, weil einer der beiden von der AfD entsandten Verfassungsrichter 2020 in Berlin, kurz bevor Corona-Gegner die Reichstagstreppe stürmten, in der Meute gesichtet wurde. Eher zufällig als Passant und Privatmann, wie er danach beteuerte, ohne sich mit irgendwelchen Positionen einverstanden zu erklären.

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