Grüne in BayernKatharina Schulze und das grüne „Yes we can“

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Katharina Schulze rief die Grünen auf dem Landesparteitag in Erlangen zu einer neuen Erzählung auf.
Katharina Schulze rief die Grünen auf dem Landesparteitag in Erlangen zu einer neuen Erzählung auf. (Foto: Daniel Löb/dpa)

„Verzicht ist nicht die Lösung“: Die Grünen-Politikerin entwirft auf dem Landesparteitag eine neue Hoffnungserzählung. Gesellschaftliche Erneuerung sei möglich, dafür müsse sich aber auch die Öko-Partei erneuern.

Von Thomas Balbierer, Erlangen

Robert Habeck steht am Freitagabend einsam im Foyer der Erlanger Stadthalle. Drinnen im Saal beginnt gerade der Landesparteitag der bayerischen Grünen, Popmusik wummert aus den Lautsprechern, es wird geklatscht. Aber der Ex-Vizekanzler lehnt regungslos an einer Wand, er sieht blass aus und zerknittert. Etwas stimmt hier nicht.

Na gut, bei näherem Hinsehen handelt es sich nicht um den echten Robert Habeck, der hat sich ja im Sommer aus der Politik verabschiedet. Es ist nur eine Pappfigur. Wer will, kann sich an einer Fotostation mit dem einstigen Hoffnungsträger der Grünen ablichten lassen. Ein Gag, schon klar.

Aber der Pappkamerad erinnert an diesem Wochenende auch an eine offene Wunde: Seit dem doppelten Abgang von Habeck und Ex-Außenministerin Annalena Baerbock fehlt der Partei auf Bundesebene eine Führungsfigur, die Begeisterung entzünden kann. Von Bundeschefin Franziska Brantner, die in Erlangen als Mensch aus Fleisch und Blut zu Gast ist, gibt es jedenfalls keinen Fotoaufsteller.

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Ihre Partei kommt in Umfragen derzeit kaum vom Fleck und liegt bundesweit bei elf Prozent, weit hinter Union und AfD. Auch in Bayern lief es schon besser, im letzten Landtagswahlkampf war die Partei massiven Angriffen ausgesetzt. „Wir alle haben vielleicht zu lange dabei zugeschaut, wie der Gegenwind zu einem Tornado der Zerstörung wird“, sagt Brantner. Sie kritisiert die Finanz-, Energie- und Verteidigungspolitik unter CDU-Kanzler Friedrich Merz („Er scholzt“) und verurteilt etwa die Ausweitung der Mütterrente und das Zurück zur Agrardieselsubvention als „Schweigegeld“ für die CSU. Ihre Rede wird mit einem freundlichen Applaus quittiert.

„Wir alle haben vielleicht zu lange dabei zugeschaut, wie der Gegenwind zu einem Tornado der Zerstörung wird“, sagt Grünen-Bundesvorsitzende Franziska Brantner.
„Wir alle haben vielleicht zu lange dabei zugeschaut, wie der Gegenwind zu einem Tornado der Zerstörung wird“, sagt Grünen-Bundesvorsitzende Franziska Brantner. (Foto: Daniel Löb/dpa)

Begeisterung unter den Parteitagsdelegierten weckt an diesem Tag nur eine Politikerin. Katharina Schulze wird für eine Rede bejubelt, die man wohl als grünes „Yes we can“ verstehen soll. Unter dieses Motto stellte Barack Obama seine Kandidatur für die US-Präsidentschaft 2008. Schulze schwärmt immer wieder mal von Obama, sie war damals in den USA als freiwillige Wahlkämpferin für den Demokraten unterwegs. Nun versucht sich auch die Grünen-Fraktionschefin in Bayern an einer neuen Hoffnungserzählung: „Ich will die Geschäftsmodelle von morgen ermöglichen!“

Atomkraft galt als modern, Frauenrechte als Zumutung und Umweltschutz als Spinnerei.
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Sie erinnert daran, dass die Grünen in ihren Anfangsjahren verlacht worden seien: „Atomkraft galt als modern, Frauenrechte als Zumutung und Umweltschutz als Spinnerei.“ Inzwischen seien viele dieser Themen in der Mitte der Gesellschaft angekommen, so Schulze. Positiver Wandel sei auch in Zukunft möglich. Aber dafür müssten sich die Grünen ebenfalls wandeln. „Neue Herausforderungen“, sagt sie, „brauchen neue Antworten.“ Dazu gehöre, dass man aufhöre, Dinge schlechtzureden und den Weltuntergang an die Wand zu malen. „Verzicht ist nicht die Lösung.“

Im Gegenteil, es brauche in vielen Bereichen mehr: „Mehr bauen statt bremsen“, „mehr erfinden statt erschöpfen“, „mehr Patente statt Problembeschreibungen“. Sie beschwört den Innovationsgeist Bayerns, lobt Forscher und Unternehmen: „Da ist Bayern auf so vielen Ebenen führend.“ Es kann Zufall sein, dass Schulze an dieser Stelle klingt wie eine grüne Version von Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Vielleicht aber auch nicht. Schließlich dürfte die Fraktionschefin sich bei der nächsten Landtagswahl im Jahr 2028 um dessen Job bemühen.

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Ihre Worte gleichen jedenfalls in Teilen einer Bewerbungsrede: „Es ist doch peinlich, dass ganz Deutschland nicht über den Erfindungsreichtum aus Bayern spricht, sondern nur noch über die Instagram-Posts eines Ministerpräsidenten. Das geht in Zukunft besser.“ Man müsse verteidigen, was gut sei, und erneuern, was besser werden müsse. Und natürlich darf das Kernversprechen einer „Yes we can“-Rede keinesfalls fehlen: „Wir können das. Weil wir haben das schon immer gemacht.“

Es ist 21.15 Uhr, als Schulzes Rede mit stehendem Applaus endet. Einer der Redner nach ihr wird sagen, dass die Grünen mit Habeck und Baerbock zwar die prägenden Figuren der vergangenen Jahre verloren hätten, aber: „Es gibt da neue. Wir haben auch heute schon welche gehört.“

Manchmal klingen wir so, als sei das Gegenüber das Problem.
Würzburgs OB Martin Heilig

Am Samstag stimmt auch Martin Heilig in Schulzes Erzählung ein. Der 50-Jährige wurde vor wenigen Monaten in Würzburg zum ersten grünen Oberbürgermeister Bayerns gewählt. Er berichtet von einem Schlüsselmoment seines Wahlkampfs. Eine ältere Frau habe ihm auf der Straße ins Gesicht gesagt: „Sie wähl’ ich auf keinen Fall.“ Als er gefragt habe, warum, habe sie gesagt, die Grünen redeten mit den Leuten, „als hätten wir was falsch gemacht“. Das habe ihn beschäftigt, sagt Heilig. „Manchmal klingen wir so, als sei das Gegenüber das Problem. Und niemand ist gern das Problem.“ Man müsse in den Menschen wieder positive Gefühle wecken, sagt der OB. Mit diesem „Würzburg-Spirit“ könne man auch bei der Kommunalwahl im März erfolgreich sein.

Eva Lettenbauer (links) und Gisela Sengl bleiben Landesvorsitzende der Grünen.
Eva Lettenbauer (links) und Gisela Sengl bleiben Landesvorsitzende der Grünen. (Foto: Daniel Löb/dpa)

Mit Blick auf die Wahl beschließen die knapp 350 Delegierten, viele davon zum ersten Mal dabei, einstimmig einen Leitantrag zum Thema Wohnen. Die Partei fordert, den Kommunen umgehend eine Milliarde Euro für den Bau bezahlbarer Wohnungen zur Verfügung zu stellen. „Söder rück das Geld raus“, ruft die grüne Landesvorsitzende Gisela Sengl. Sie wirft der CSU vor, Bayern mit unsozialer Wohnungspolitik zum „teuersten Bundesland Deutschlands“ gemacht zu haben.

„Können wir uns Markus Söder eigentlich noch leisten?“, fragt auch Sengls Co-Chefin Eva Lettenbauer auf der Bühne. Sie kritisiert vor allem die Klimapolitik der CSU, die in Bayern am selbstgesetzten Ziel der Klimaneutralität 2040 rüttelt und am Verbrennermotor festhält. „Die CSU verschließt die Augen vor allem, was nicht in ihre Ideologie von Benzin und basst scho passt.“

Am Samstag werden Sengl und Lettenbauer mit Ergebnissen von mehr als 80 Prozent für weitere zwei Jahre als Landesvorsitzende gewählt. Gegenkandidaturen gab es nicht.

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