Süddeutsche Zeitung

Vor der Kommunalwahl 2020:Wie sich die Grünen in ganz Bayern ausbreiten wollen

Die Städte hat die Ökopartei erobert, auf dem Land sieht es noch mau aus. Nun will sie 100 Ortsverbände gründen. Ein ehrgeiziger Plan - vor allem im Bayerischen Wald.

Von Lisa Schnell

Wo es hier zu den Grünen geht? Der Wirt vom Sportheim "Auf der Höh" blickt zu den weiß gedeckten Tischen - dort nicht. Stattdessen weist er den Weg zu einem Zimmer hinter einem braunen Vorhang: In der Ecke balanciert ein kaputter Stuhl auf drei Beinen. Nebenan quietschen Trompeten einer Blaskapelle, die wohl noch üben muss. Julia Klafka-Fernholz blickt von der Tür in die bessere Abstellkammer. Von hier aus sollen die Grünen also Estenfeld erobern. Immerhin, einer ist schon da. Ob noch jemand kommt?

Der Plan von Klafka-Fernholz kann durchaus historisch genannt werden. Sie will einen Grünen-Ortsverband in Estenfeld gründen. Estenfeld, das ist eine kleine Gemeinde bei Würzburg. Grüne gibt es keine, na ja, eine - Klafka-Fernholz eben. Aber das fiel bis jetzt nicht weiter auf. Im Gemeinderat sitzen schon ewig CSU und SPD. Eine Kandidatenliste der Grünen für die Kommunalwahl gibt es nicht. Das ergrünte Bayern? Wer nicht in der Stadt wohnt, kann da ins Grübeln kommen.

Sicher, den Zuspruch der Wähler haben die Grünen, das hat die Landtagswahl gezeigt. Was ihnen fehlt, um auch bei der Kommunalwahl 2020 erfolgreich zu sein, ist eine Struktur. Ortsverbände sind für Parteien das, was für einen Baum die Wurzeln sind: Je weiter sie sich durchs Land ziehen, desto mehr Kraft geben sie. Desto mehr Leute verbinden mit einer Partei auch ein Gesicht. Derzeit sind die Grünen in der Fläche noch ziemlich gesichtslos. Ein Ortsverband aber, der mal einen Flohmarkt organisiert, der einen Schaukasten hat bei der Gemeinde oder sogar ein Bürgerbüro, macht sie sicht- und wählbar.

Das Problem der Grünen ist, dass ihr Baum zwar gerade blüht wie wild, ohne starke Wurzeln aber knickt so ein Baum schnell um. Nur zum Vergleich: Die dahinsiechende SPD hat 1750 Ortsvereine in Bayern, bei den Grünen, die sich am Wahlabend wie Rockstars in die Menge schmissen, sind es - 240. Ähnlich sieht es bei den Mitgliedern aus - SPD: 58 400, Grüne: 11 500. In der Parteizentrale haben sie deshalb einen Begrünungsplan erarbeitet: 100 neue Ortsverbände sollen bis zur Kommunalwahl aus dem Boden sprießen. Es gibt Gegenden, da wuchert es gerade so. Um Würzburg scheint so eine zu liegen.

Acht Leute sitzen mittlerweile mit Julia Klafka-Fernholz in ihrer Wirtshausrumpelkammer. Einer vermisst die Lerchen, ein anderer Fahrradwege. Der nächste will einfach in den Gemeinderat. Mit den Grünen scheint ihm das am aussichtsreichsten. Viele haben früher SPD gewählt, aber das gehe jetzt ja nicht mehr. Da sind sich alle einig. Misstöne liefert nur die Blaskapelle. Sogar Mitgliedsanträge liegen schon auf dem Tisch.

In Zell am Main, auch bei Würzburg, sind sie schon unterschrieben. "Hier sind die Grünen Volkspartei", sagt Jessica Hecht. Die Geschichtslehrerin, 46, sitzt in ihrer Doppelhaushälfte im Wintergarten und serviert englischen Tee, "den Guten". Sie hatte das Wort "Ortsverband" kaum zu Ende gesprochen, da rannten ihr die Zeller schon die Bude ein. Im Juli 2018 war sie das einzige Mitglied, jetzt sind sie 17. Warum Zell so ein "Grünen-Nest" ist, erklärt Hecht mit einer Handbewegung zum Fenster hin: Ein Einfamilienhaus neben dem anderen, in den Fenstern Kinderbastelsterne, an den Bäumen Vogelfutter.

Früher wohnten in Zell vor allem die Arbeiter der nahen Druckmaschinenfabrik, SPD-Wähler, jetzt: junge Familien, Akademiker. Fast 30 Prozent wählten bei der Landtagswahl Grün. Dazu kam noch eine Unterschriftenaktion des Bund Naturschutz gegen ein geplantes Neubaugebiet oder wie die frisch gebackene Ortsvereinsvorsitzende Susanne Mannheim sagt: "Flächenfraß". Egal, wo sie klingelte, die Leute unterschrieben. Und sie fragten, was das denn bringe bei einem CSU-dominierten Gemeinderat. Nichts, wenn die Grünen nicht bald was zu sagen hätten, sagte Mannheim.

Anzahl der Grünen im Zeller Gemeinderat: 0. Das bescheidene Ziel von Hecht und Mannheim: die CSU-Mehrheit brechen. Manchmal setzen sie sich jetzt schon in die Sitzungen. Denkt Hecht an die Blicke der CSU-ler, entweicht ihr ein verzücktes "Hihi" und dann: "Die haben richtig Muffensausen. Das find ich großartig!" Und die SPD? Sie stellte lange den Bürgermeister in Zell, jetzt hoffen sie auf die Grünen, um wieder mitzumischen.

Der grüne Gründergeist brachte seit 2018 zwölf neue Ortsverbände hervor. Im Vergleich zu früher ist das viel. In der Parteizentrale spricht man von einer "Neugründungswelle". Zusammen mit einem Mitgliederanstieg von 24 Prozent alleine 2018 ist von "Wachstumsschmerzen" die Rede. Soll heißen: Sie kommen gar nicht hinterher, all die begeisterten neuen Grünen zu informieren, wie sie sich organisieren können. Bald soll es Workshops geben. Wie viel Mitglieder braucht es für eine Neugründung? Mindestens drei und niemals zwei Männer. Wie plakatiere ich richtig? Immer zwei Kabelbinder, oben und unten. Das mussten sie in Zell auch erst lernen. Schon jetzt läuft es gut.

Bezirkschef Jens Schlüter

"Die Leute wollen da mitmachen, wo es was zu gewinnen gibt. Und wir sind jetzt die Gewinner."

Bei den Grünen meint man, es wird noch viel besser laufen, wenn die Unterstützung durch Partei und Fraktion erst richtig greift. Die vielen neuen Abgeordneten im Landtag eröffnen überall im Land Bürgerbüros. Jeder Bezirk bekommt monatlich 750 Euro mehr von der Partei. Denkt man etwas größer, und dazu neigen die Grünen gerade, geht es nicht nur um eine erfolgreiche Kommunalwahl, sondern auch um das, was daraus folgen könnte. Je mehr Bürgermeister und Gemeinderäte die Grünen stellen, desto besser sind ihre Chancen, bei der nächsten Landtagswahl das Land zu erobern. So wie in Baden-Württemberg, wo bekanntlich ein Grüner regiert.

Wem bei der Vorstellung von Grünen in der bayerischen Staatskanzlei ganz schwindelig wird, der findet Halt in Niederbayern. Dort, wo die Straßen immer enger und die Häuser immer weniger werden, wo der Wald immer dichter wird, wohnt Laura Amberger in einem einsamen Bauernhof in Rattenberg bei Viechtach. Sie ist - das darf man hier nicht zu laut sagen - eine Grüne! "Laura vom anderen Stern" wird sie in ihrer Partei genannt, weil sie da herkommt, wo alles noch so ist, wie es in Bayern immer war: Schwarz, nicht grün.

Ganz stimmt das natürlich nicht. Auch in Niederbayern haben die Grünen dazugewonnen, aber auf sehr niedrigem Niveau. "Wir sind immer das Schlusslicht", sagt Amberger. Einen Ortsverband gründen? "Vielleicht in zehn Jahren." Das nächste Grünen-Mitglied wohnt 13 Kilometer entfernt. Sie sind so wenige, dass jeder schon bis oben hin mit Parteiämtern eingedeckt ist, da findet sich schwer jemand, der auch noch Ortsvorsitzender werden will. Nach dem Abitur ziehen viele Nachwuchsgrüne in die Städte. Aufbruchsstimmung? Klar, aber halt auf niederbayerisch. Zu der Skepsis mischt sich jetzt immer mehr Respekt, sagt Jens Schlüter, der zum "Feierabend-Tee" dazugestoßen ist.

Der Bezirkschef von Niederbayern ist gerade auf der Suche nach guten Leuten für die Kommunalwahl und macht eine neue Erfahrung: Ab und zu kommt sogar mal einer auf ihn zu, weil er kandidieren möchte. "Die Leute wollen da mitmachen, wo es was zu gewinnen gibt. Und wir sind jetzt die Gewinner." In Niederbayern? "Wir müssen lernen, selbstbewusst zu sein."

"Die sollen in der Stadt bleiben", sagt einer am Stammtisch

Eine gute Gelegenheit bietet sich den beiden zehn sehr dunkle Autominuten weiter im nächsten Wirtshaus. Vier Männer beugen sich am Stammtisch über ihr Bier. Es ist nicht ihr erstes. Amberger und Schlüter setzen sich mit einem Weißbier dazu. Alkoholfrei? Grüne? "Ohhhhh!" Laute Empörung, einer wedelt mit der Hand, als hätte er sich verbrannt. Die traun sich was! "Da bist genau am richtigen Ort", sagt der Günther und legt los. Sich selber vom Chauffeur rumkutschieren lassen wie der Özdemir, aber den kleinen Leuten das Auto verbieten! Und sie beim Dieselskandal auch noch zahlen lassen! Dann der Andreas: Was denn mim Fußballplatz wär, ob man den jetzt auch nicht mehr mähen dürft? Er kennt nur zwei Grüne: eine Fröschesammlerin und eine, die keine Socken anzieht. Spinner eben. Grüne, die Gewinner in Niederbayern? "Des werd nix", sagt der Günther. "Die sollen in der Stadt bleiben", der Andreas.

Mit jedem Spruch zieht Amberger ihre Schultern enger zusammen. Bald flüchtet sie an den Nebentisch. Schlüter bleibt sitzen und hört zu. Die erste Wut ist raus, er darf jetzt was sagen. Etwa, dass er auch Auto fährt und die Grünen beim Dieselskandal ja wollen, dass die Konzerne zahlen. Beeindruckend findet die Runde etwas anderes: Schlüter spricht ja wie sie! Mit einem "oi" statt einem "a", wie ein "Waidler" eben. Zwei alkoholfreie Weißbier später heißt's: Er darf wieder kommen. Na, immerhin.

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Quelle:
SZ vom 23.03.2019/kast/smb
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