Süddeutsche Zeitung

Operette: Krieg gehört ins Archiv

Andreas Kriegenburg inszeniert Jacques Offenbachs "Großherzogin von Gerolstein" am Staatstheater Nürnberg mit umwerfender Rasanz.

Von Egbert Tholl

Manchmal offeriert die zweite Vorstellung noch mehr Sensation als die Premiere. In diesem Fall ist das am Staatstheater Nürnberg so: Der Herrn Baron Puck erkrankte, also der Sänger der Partie, worauf Yascha Finn Nolting die Rolle übernahm und auf der Bühne spielte, während sie Ivan Oreščanin von der Seitenloge aus sang. Nolting ist Mitglied des Schauspielensembles in Nürnberg, jetzt läuft er mit Textbuch herum, was niemand merkt, wenn man es nicht wüsste, weil er damit spielt, so gut, wie er eh immer spielt, und außerdem das ganze Treiben hier so rasant vonstatten geht, dass auch das mit dem Textbuch eine Inszienerungsidee unter Tausenden sein könnte.

Jacques Offenbach brachte seine Operette "Die Großherzogin von Gerolstein" 1867 heraus und schrieb sie nach der Premiere erst einmal um. Offenbach war Theaterpragmatiker, wenn was nicht funktionierte, änderte er es. Und zwar schnell. Genauso schnell kam dann der Erfolg, der auch, anlässlich einer Weltausstellung in Paris, viele gekrönte Häupter anlockte, obwohl gerade die darin veräppelt werden, aber halt so, dass sie darüber lachen konnten. So ein bisschen Pariser Nockherberg, aber abstrakt, allgemeingültig, sehr lustig, was auch am Textbuch von Henri Meilhac und Ludovic Halévy liegt. Die Musik spinnt eh, rumpelt und kracht, rast im Galopp, parodiert das Militär und kann auch zauberhaft sein. In Nürnberg ist sie das auf alle Fälle, Lutz de Veer leitet die Staatsphilharmonie in kompakter Besetzung mit ungeheurer Verve, federleicht und präzis, außerordentlich musikantisch.

Der Großherzogin ist langweilig, und damit sie nicht auf die Idee kommt, sich in die Politik einzumischen, erfindet General Bumm einen Krieg. Die Ablenkung funktioniert so halb, denn die Großherzogin ist auch ein bisschen mannstoll, was zu größeren Verwicklungen führt. Sie will den Prinzen nicht, den Bumm für sie auserkoren hat, will Fritz, aber der will seine Wanda. Es folgen Intrigen und Mordpläne, aber ganz so schlimm wird es nicht.

Andreas Kriegenburg macht daraus eine aberwitzige Büroposse, bevölkert mit unternehmungslustigen Arbeitslemuren und aufgekratzten Hofschranzen. Harald Thor baut dafür ein fabelhaftes Archiv auf die Bühne, das sich oft wandelt und mit altmodischer Technik prunkt. Die Großherzogin geht also zum Kriegsspielen ins Archiv, was für ein schöner Gedanke in dieser Zeit. Sie selbst, Eleonore Marguerre, ist eine Schau, spitz und schnell, irre und schlau. Manchmal wirkt sie wie die Parodie einer Parodie, pfeift gegebenenfalls auch vollkommen uneitel auf Schönklang.

Überhaupt gehen hier alle, angefeuert von Kriegenburgs choreografischer und von unendlich vielen Einfällen durchsetzter Inszenierung mit größter Energie ans Werk. Ein bisschen lang werden die drei Stunden dennoch, trotz der Rasanz, trotz der geschliffenen Dialoge. Es geht ja im Kern um Nichts - das aber mit dem großen Ernst großer Komödien. Die Besetzung macht wirklich Freude: Martin Platz (Fritz) ist ein kaum zu bremsender Komödiant, Chloë Morgan entwickelt als Wanda emanzipatorischen Furor. Überhaupt ist hier wenig zopfig, eher ulkig: Hans Gröning als famoser Bumm, der Schauspieler Pius Maria Cüppers als Hüter des Archivs, dazu kommt der aufgedrehte Chor. So kann man Operette heute machen.

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