Stefan Salomon ist Juniorprofessor für Europarecht an der Universität von Amsterdam. Europa liegt ihm am Herzen und es bereitet ihm Sorge, wenn Staaten systematisch EU-Recht verletzten. Einen solchen Rechtsverstoß empfindet er, wenn er an innereuropäischen Grenzen seinen Pass vorzeigen muss. Passiert ist das dem Österreicher, der in Amsterdam arbeitet und häufiger zur Familie nach Österreich reist, schon öfter, wie er am Montag bei einem Prozess vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erklärt. Das Gericht interessiert sich aber vor allem für eine ICE-Fahrt im Juni 2022, bei der Salomon in Passau von deutschen Grenzbeamten kontrolliert – und damit in seinen Grundrechten verletzt wurde, so sieht er das.
Deutschland hat in den vergangenen Jahren immer neue Grenzkontrollen beschlossen. An den Übergängen zu Österreich gehen deutsche Beamte schon seit 2015 durch die Züge oder winken an der Grenze Autos raus. Um irreguläre Zuwanderung zu stoppen, hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Kontrollen sukzessive auf alle anderen Landesgrenzen ausgeweitet. Dem möglichen nächsten Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) war auch das nicht genug. Er versprach im Wahlkampf noch schärfere Kontrollen. Künftig sollen auch Asylbewerber in die EU-Nachbarstaaten zurückgewiesen werden. Die Politik macht die Grenzen also immer dichter. Aber darf sie das? Darf sie diese Kernfreiheiten der EU, das Recht sich frei innerhalb der Union zu bewegen, immer weiter einschränken? Der Europarechtler Salomon will das nicht hinnehmen. Er hat gegen die Kontrolle im ICE geklagt.

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Das Verwaltungsgericht in München wies ihn in erster Instanz ab. Klagen gegen erledigte Verwaltungsakte, wie in diesem Fall die Grenzkontrollen, sind rechtlich nur zulässig, wenn sie einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff geltend machen oder aber wenn eine Wiederholungsgefahr besteht. Beides sah das Gericht als nicht gegeben an. In der Sache gab es dem Kläger aber recht. Die Kontrolle dürfte gegen den Schengener Grenzkodex verstoßen haben, heißt es in der Urteilsbegründung.
In der Revisionsverhandlung geht es darum am Montag zunächst nur um die Zulässigkeit der Klage. Es wird deutlich, dass die Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zwar ähnlich wie die erste Instanz keinen Grundrechtseingriff von besonderem Gewicht erkennen können. Sehr wohl aber sehen sie die Gefahr einer Wiederholung: Es bestehe kein Zweifel daran, dass der Kläger, der aufgrund seiner familiären Situation viel in Europa unterwegs ist, von einer erneuten Personenkontrolle an der Grenze betroffen sein könnte, sagt der Vorsitzende Richter. Offen blieb zunächst allerdings, ob eine solche neue Kontrolle auch rechtlich als Wiederholung zu werten wäre, da sich die Vorschriften des Schengener Grenzkodex zwischenzeitlich leicht geändert haben.
Sollte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Wiederholungsgefahr als gegeben und die Klage somit als zulässig ansehen, muss er im nächsten Schritt über die Zulässigkeit der Kontrollen selbst entscheiden, oder die Frage dem EuGH zur Entscheidung vorlegen. Letzteres hat ein österreichisches Gericht bereits im Fall von Kontrollen an der slowenisch-österreichischen Grenze getan. Die Antwort des obersten Gerichts der Europäischen Union war eindeutig. Grenzkontrollen seien nur zur Gefahrenabwehr und dann auch nur für sechs Monate zulässig, hieß es in dem Urteil. Längere Kontrollen könnten nur durch eine jeweils ganz neue Gefahr begründet werden.
In der Verhandlung am Montag wird deutlich, dass auch die Richter in München Zweifel haben, ob Deutschland die Verlängerung der Kontrollen ausreichend erklärt hat. Die neue und die alte Begründung sei in weiten Teilen wortgleich. Das aber reiche zur Begründung einer neuen Gefahrenlage nicht aus, erklärte der Vorsitzende Richter. Vielmehr müssten neue Ereignisse angeführt werden. Als ein solches hätte 2022 eventuell der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine gewertet werden können, diesen aber erwähnt die Bundesregierung in ihrer Begründung mit keinem Wort. Der Bayerische Verwaltungsgericht wird sein Urteil in den nächsten Wochen veröffentlichen. Gut möglich, dass er sich dabei an das Urteil aus Österreich hält, und die Grenzkontrolle als rechtswidrig verurteilt.
Es wäre das erste Urteil gegen die Grenzkontrollen in Deutschland. Bewirken wird es trotzdem wenig, wie der Anwalt des Klägers Christoph Tometten erklärt. Auch die Österreicher kontrollieren weiterhin ihre Grenzen. Sie können sich dabei darauf berufen, dass formal gesehen, die Gerichtsentscheidung nur den Fall eines einzelnen Grenzgängers betraf. Auch Deutschland könnte so argumentieren. Anwalt Tometten sieht hier ein Rechtsschutzdefizit, weil es in Deutschland für den einzelnen Bürger keine Möglichkeit gibt, die Kontrollen an sich anzugreifen. Eine solche grundsätzliche Klage gegen Regelverstöße eines Landes können nur andere EU-Länder, die EU-Kommission oder das Europäische Parlament anstrengen. Bislang wird dieses Mittel aber sehr zurückhaltend eingesetzt. Denkbar aber wäre es, dass EU-Grenzländer wie Polen diesen Weg gehen, sollte Deutschland sich noch weiter abschotten.