Corona-Maßnahmen:Staus und Sorgen an der Grenze

Corona-Maßnahmen: Grenzkontrollen wie zu überwunden geglaubten Zeiten. Ohne Corona-Test geht nichts und ohne Ausnahmegenehmigung bald auch nicht mehr.

Grenzkontrollen wie zu überwunden geglaubten Zeiten. Ohne Corona-Test geht nichts und ohne Ausnahmegenehmigung bald auch nicht mehr.

(Foto: Christof Stache/AFP)

Die bayerische-tschechische Grenze ist weitgehend dicht, einreisen darf nur, wer wichtig ist. Aber ist ein Mitarbeiter der Müllabfuhr systemrelevant? Unternehmer wie Landratsämter stehen vor Problemen - und unter Zeitdruck.

Von Thomas Balbierer und Maximilian Gerl

Michael Herzog lacht etwas bitter, als man ihm am Montag den Werbespruch seiner niederbayerischen Gemeinde vorliest: "Bayerisch Eisenstein - Grenzenlos mehr erleben zwischen Arber und Spicák". Seit dem Wochenende ist der Slogan nicht mehr ganz richtig. Denn die Grenze zwischen bayerischem Arber und tschechischem Spitzberg ist seit Sonntag weitgehend dicht. "Ich fühle mich gerade zurückversetzt in die Zeit des Eisernen Vorhangs", sagt Herzog (CSU), Bürgermeister von Bayerisch Eisenstein. Einen Austausch mit den Nachbarn gebe es seit Monaten nicht. "Keinen Tourismus, kein kulturelles Leben", sagt Herzog. "Nur Stillstand." Nun droht auch noch die wirtschaftliche Zusammenarbeit zusammenzubrechen.

Seit Sonntag dürfen Tschechen nur noch nach Bayern einreisen, wenn sie im Freistaat nachweisbar in systemrelevanten Berufen arbeiten. Zum zweiten Mal nach dem Frühjahr 2020 ist der Grenzverkehr coronabedingt stark eingeschränkt; und das in einer Region, in der eine Rückkehr zu Schlagbäumen mal undenkbar zu sein schien. Längst bilden Ostbayern und Tschechien eine gemeinsame Wirtschaftszone. Entsprechend stauten sich am Montagmorgen an den Grenzübergängen teils lange Fahrzeugkolonnen.

"Wir müssen systemrelevante Betriebe und Einrichtungen in Bayern unbedingt am Laufen halten", betont Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Die Regierung habe alle Landkreise und kreisfreien Städte aufgefordert, betroffenen Berufspendlern "unverzüglich" die notwendigen Bescheinigungen auszustellen und eine Liste der Betriebe und Tätigkeiten zu übermitteln. Diese soll anschließend vom Bundesinnenministerium geprüft werden. Welche Berufe als systemrelevant gelten, hat die EU-Kommission im vergangenen Jahr formuliert: Dazu zählen unter anderem Beschäftigte im Gesundheits- und Transportwesen, IT-Spezialisten, Feuerwehrleute oder Kraftwerkstechniker. Die Grenzschließungen tun Lokalpolitikern wie Herzog weh. Er hält sie trotzdem für richtig - wegen der hohen Corona-Zahlen im Nachbarland. Ähnlich äußerten sich zuletzt auch viele Wirtschaftsvertreter. Als problematisch empfinden sie aber die Art der Umsetzung, genauer: die Kurzfristigkeit. Zwar gilt noch an diesem Dienstag eine Übergangsregelung, Pendlern genügt vorerst zum Grenzübertritt die Vorlage ihres Arbeitsvertrags - negativer Corona-Test vorausgesetzt. Doch in der Praxis werde diese Ausnahme nicht immer umgesetzt, heißt es von der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Regensburg. Viele Unternehmen hätten sich auf sie verlassen, entsprechend groß sei nun der Ärger. "Die fehlenden Mitarbeiter führen in vielen Betrieben zu teils erheblichen Produktionsausfällen und Engpässen, Terminverzug oder Konventionalstrafen." Die IHK fordert finanzielle oder steuerliche Hilfen für die Betriebe.

Die Landratsämter in den Grenzregionen Oberfrankens, der Oberpfalz und Niederbayern arbeiteten teils seit dem Wochenende daran, Unternehmer über die Grenzschließungen und die damit verbundenen Einschränkungen zu informieren. Systemrelevante Betriebe müssen die Sondergenehmigungen, mit denen ihre tschechischen Mitarbeiter weiterhin einreisen dürfen, bei ihrer Kreisverwaltungsbehörde beantragen. "Wir rechnen mit Hunderten Anträgen", sagt Heiko Langer, Pressesprecher des Landratsamtes Regen, am Montagvormittag. "Aber wir wissen nicht, was genau auf uns zukommt. Wir machen das ja auch zum ersten Mal." Kollegin Claudia Prößl, Sprecherin des Landkreises Neustadt an der Waldnaab, berichtet von "Grenzfällen", die man in Absprache mit Juristen klären müsste: Sind beispielsweise tschechische Mitarbeiter bei der örtlichen Müllabfuhr systemrelevant? Fragen wie diese sind die bürokratischen Folgen der kurzfristig entschiedenen Grenzschließung. Das sorgt zuweilen für Frust. "Manche Unternehmer tragen ihren Unmut über Regeln, die wir ja nicht getroffen haben, an uns heran", sagt Prößl. Langer sagt: "Wir hängen auch in der Luft." Zusätzliche Verwirrung herrscht am Montag bei der Frage, wann die Frist endet, bis zu der Betriebe für ihre Beschäftigten einen Antrag auf Systemrelevanz gestellt haben müssen: Die einen sprechen von 14 Uhr, die anderen von 15 Uhr, die anderen gar von Dienstagmorgen.

Etwa 22 000 Tschechen arbeiten in Bayern - theoretisch. Bei ihnen und in ihren Betrieben ist die Unsicherheit am größten. Ihr versuchen manche Firmen am Rosenmontag auf traditionelle Weise zu begegnen: Sie machen frei, wie es Brauch ist, fehlenden Faschingsfeiern zum Trotz. Wer arbeitet, versucht, das Beste daraus zu machen. So etwa Michael Seebauer, Chef eines Logistikunternehmens in Cham. Privat finde er die Grenzkontrollen richtig, sagt er am Telefon. Beruflich aber hätte er sich mehr Vorlauf gewünscht, um sich auf die Maßnahmen einstellen zu können. Bei Seebauer stellen Tschechen etwa zwei Drittel der Fahrer, nicht alle konnten am Montag ihre Schicht antreten. Auch bei Zwiesel Kristallglas, wo unter anderem Weingläser und Wohnaccessoires produziert werden, versucht man, personale Engpässe durch neue Schichtpläne auszugleichen. 25 der knapp 700 Mitarbeiter stammen der Unternehmensgruppe zufolge aus der Tschechischen Republik. "Wir können uns notfalls auch ohne tschechische Mitarbeiter über Wasser halten", sagt Sprecherin Anja Bsdurek. Trotzdem versuche man, sie und ihre Familien in deutschen Ferienwohnungen unterzubringen - allerdings seien die Mitarbeiter noch unschlüssig. Wer das Angebot nicht annimmt, so die Sprecherin, müsse in Kurzarbeit gehen.

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Nach der Grenzschließung liegen bei Unternehmern, deren Mitarbeiter größtenteils aus Tschechien kommen, die Nerven blank. Bayerns Ministerpräsident Söder hat zwar verkündet, dass sich für einige die Schlagbäume auch weiterhin öffnen werden - doch welcher Betrieb ist in Corona-Zeiten systemrelevant?

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