Süddeutsche Zeitung

Grandhotel Cosmopolis:Wenn Gäste und Flüchtlinge sich die Dusche teilen

Das Augsburger "Grandhotel Cosmopolis" beherbergt Asylbewerber und Reisende unter einem Dach. Die Möbel kommen aus Wohnungsauflösungen, Gäste zahlen für die von Künstlern gestalteten Zimmer den Preis, den sie für richtig halten. Noch ist die Eröffnung nicht gefeiert, da kämpfen die Betreiber schon an neuen Fronten.

Von Stefan Mayr

Die einen nennen das, was in diesem ehemaligen Altenheim vor sich geht, eine soziale Skulptur. Andere sprechen von einer Großbaustelle mit unklarer Fertigstellung, Manche von einer wahrgewordenen Utopie. "Betreten der Baustelle geboten!", steht auf einem Schild an der Eingangstür, und wer das Augsburger "Grandhotel Cosmopolis" betritt, merkt sehr schnell: Hier ist alles ganz anders.

Hinter dem Tresen hängen fünf uralte Uhren: Keine ist schön, keine passt zur anderen. Und genau das macht die Wand so wunderbar. Unter den Uhren stehen Stadtnamen: Gaza, Manila, Port-au-Prince, Dhadhaab und Lampedusa.

Wie es sich für eine utopische Hotelbaustellenskulptur gehört, gibt es hier praktisch täglich von neuen Erfolgserlebnissen und Durchbrüchen, aber auch von Problemen und Rückschlägen zu berichten. Vor allem in dieser Woche: Seit Donnerstag hat das vermutlich außergewöhnlichste Hotel Deutschlands für zahlende Gäste geöffnet, das wird am kommenden Donnerstag mit einem Tag der offenen Zimmer und einem Treppenhauskonzert gefeiert. Andererseits kämpfen die ehrenamtlichen Hoteliers um die Zukunft von vier tschetschenischen Flüchtlings-Familien, die schon seit Juli hier wohnen und nach Polen abgeschoben werden sollen.

"Ich verstehe nicht, was in Europa los ist", sagt Georg Heber, "diese Flüchtlingsgesetze sind unmenschlich." Heber ist einer von vielen gleichberechtigten Mitgliedern des Vereins "Grandhotel Cosmopolis e.V.", die nun schon seit zwei Jahren erfolgreich ihr Projekt vorantreiben: Eine Herberge für Asylbewerber und für zahlende Gäste, unter einem Dach und auf Augenhöhe, dazu Ateliers für Künstler sowie ein Café und Restaurant. Ein Ort zum einander Treffen und Kennenlernen, Helfen und Austauschen. Organisiert ausschließlich von Ehrenamtlichen.

Während Georg Heber im Treppenhaus steht und auf die Abschiebebescheide schimpft, rennen zwei dunkelhaarige Mädchen im Kindergartenalter laut lachend um ihn herum. Er nimmt sie hoch - eine links, eine rechts - und sagt: "Schauen Sie, sollen diese Mädels in Polen 23 Stunden am Tag eingesperrt werden bei einer Stunde Hofgang?" Dagegen wollen er und seine Mitstreiter kämpfen. Die Gesetze sagen zwar eindeutig, dass Asylbewerber in EU-Staaten zurück müssen, wenn sie über diese nach Deutschland einreisen. Doch das wollen die Hoteliers nicht akzeptieren.

WC und Dusche auf dem Flur

Heber denkt über Petitionen und Briefe an den Oberbürgermeister nach. "Augsburg nennt sich Friedensstadt", sagt er. "Vielleicht sollten sich die Bürger und ihre Vertreter mal fragen, ob es reicht, dieses vermarktete Label vor sich herzutragen, oder ob man diesen Namen auch leben muss." Es ist der Versuch, die nächste Grenze des Machbaren zu durchbrechen. Wie in der Kunst, wie im Projekt Grandhotel bislang auch.

Als die Macher, die inzwischen allenthalben nur "die Gruppe" genannt werden, vor zwei Jahren ihr Projekt anpackten, traute ihnen kaum einer zu, überhaupt nur eine Genehmigung zu bekommen. "Ich war am Anfang skeptisch", sagt Pfarrer Fritz Graßmann von der Diakonie Augsburg, die das Haus vermietet. "Aber das Konzept geht auf, ich bin hochzufrieden." Die Gruppe räumte alle Hindernisse aus dem Weg. Deshalb wäre es auch keine Überraschung, wenn sie die Abschiebung tatsächlich verhindern könnte.

Heber spielt mit den zwei Mädchen, deren Namen er nicht verrät, ein bisschen Karussell, dann führt er - vorbei an Wandmalereien, Skulpturen und Lichtinstallationen - durch die Zimmer für zahlende Gäste. Jeder Raum wurde von einem anderen Künstler gestaltet. Die Möbel kommen aus Wohnungsauflösungen, jedes Zimmer hat nur ein kleines Waschbecken. WC und Dusche sind auf dem Flur - dafür aber ebenfalls künstlerisch gestaltet. Die Gäste leben also genauso einfach wie die Asylbewerber.

Andererseits haben sie die schönsten Hotelzimmer der Stadt: eines ist fast ausschließlich in Weiß gehalten - inklusive Hunderter Papiertüten, die von der Decke hängen. In einem anderen läuft ein Mann durch die Wand, und die Aussicht ist in allen Räumen unbezahlbar. Der Preis ist frei, der Gast darf zahlen, was er für angemessen hält. Das gilt auch für die Getränke im Café.

Zur Eröffnungsfeier am 8. Oktober gibt - unter anderen - Florian Sonnleitner, Erster Konzertmeister des BR-Symphonieorchesters, ein Treppenhaus-Konzert. "Wenn ich das Grandhotel auf der Geige unterstreichen kann", sagt er, "ist mir keine Treppe zu hoch." Die Macher hoffen, dass bis Donnerstag keine Abschiebung dazwischen kommt. Überhaupt die Hoffnung: Reinhard Gammel, einer der Grandhotel-Künstler, nennt Augsburg "das Kaff der guten Hoffnung". Und Flüchtling Sayed Adi Bahrami sagt: "Ich hoffe, die ganze Welt wird irgendwann ein Grandhotel."

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SZ vom 05.10.2013/tba
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