Süddeutsche Zeitung

Würzburg:Das Rätsel vom Hauptfriedhof

Vor einem halben Jahr verschwand ein Grabstein vom Hauptfriedhof in Würzburg. Die Polizei ermittelte und legte eine dicke Akte an - nur ein Verdächtiger fehlt bislang.

Von Olaf Przybilla, Würzburg

Es gibt diese Momente, die man nicht mehr vergessen kann. Im Leben von Frank Renninger war das der Augenblick, in dem sein Telefon läutete und sein Stiefvater Gregor Olschewski ihm eine Frage stellte. Sie lautete: Warum er, Renninger, denn nichts davon gesagt habe, dass er das Grab seiner Mutter aufgelöst hat. Renninger musste im ersten Moment fast lachen angesichts dieser Frage, auch wenn er Olschewski nie als jemanden kennengelernt hatte, dem er geschmacklose Witze zutrauen würde. Es war dann aber auch kein Witz. Das Grab war keineswegs aufgelöst. Der Stein aber am Grab seiner Mutter war wirklich weg. Und er ist es bis heute. Einfach weg.

Polizisten sind geübt darin, professionelle Distanz zu den Dingen zu halten, das ist Teil ihres Jobs. Dass dies kein Fall ist, der Ermittler ungerührt lässt, das aber ist Polizeihauptkommissar Bernd Steiner anzumerken. Vor sechs Monaten wurde die Sache mit dem verschwundenen Grabstein am Würzburger Hauptfriedhof öffentlich und seither haben sie kaum etwas unversucht gelassen in der Polizeiinspektion. Haben alle vernommen, die auf diesem Friedhof tätig sind. Haben Entsorgungsstätten von Grabsteinen in Augenschein genommen - womöglich wurde der Stein ja aus Versehen mitgenommen. Am Ende haben sie der Staatsanwaltschaft eine dicke Akte übergeben. Allerdings ohne das wichtigste Detail: Es fehlt ein konkret Verdächtiger. "Natürlich ist das auch unbefriedigend für uns", sagt der Kommissar. Aber so sei es nun eben, man habe alles versucht.

Es ist nicht leicht, mit Frank Renninger ins Gespräch zu kommen über den verschwundenen Grabstein. Er bitte um Verständnis, sagt er, "aber ich muss doch irgendwann abschließen damit". Andererseits weiß Renninger auch: Die wohl letzte Chance, dass der Fall noch aufgeklärt wird, ist es, dass jemanden das schlechte Gewissen drückt. Oder einer bereit ist, das auszusagen, was er womöglich weiß. Vielleicht in dem Moment, in dem er erkennt, wie sehr Renninger und sein Stiefvater noch immer leiden unter der Ungewissheit.

Tausendmal hat Renninger in Gedanken schon durchgespielt, was da passiert sein könnte am Friedhof. Und immer ist er zum selben Ergebnis gekommen: "An Absicht glaube ich nicht." Weil: Wem sollte das etwas bringen? Dass da jemand - womöglich ein Steinmetz oder Friedhofsmitarbeiter - aus Versehen etwas verwechselt hat, und bis heute nicht die Größe hat, dazu auch zu stehen, das wirkt auf ihn deutlich plausibler. Es werden ja derzeit viele Gräber aufgelöst, in Zeiten von Seebestattungen und Friedwäldern. "Es ist so traurig", sagt Renninger, "dass sich niemand gemeldet hat." Nicht bei ihm. Und nicht bei der Polizei.

Wer sich mit Ermittlern unterhält, bekommt ein ähnliches Bild. Einmal, sagt einer, hätten sie kurz geglaubt, kurz vorm Durchbruch zu stehen. Aber dann traute sich derjenige womöglich doch nicht auszusagen. So jedenfalls wirkte es auf sie. Ein Diebstahl? Halten die Beamten für äußerst unwahrscheinlich, der materielle Wert ist für so einen Aufwand viel zu gering. Beschimpfender Unfug? Es gibt ein Tanzlokal gleich in der Nähe, dort sind auch sogenannte Gruftis unterwegs. Wer weiß: nachts, mit viel Alkohol? Nicht komplett auszuschließen - aber warum sollte dann einer ausgerechnet einen Grabstein mitnehmen, der mitten auf dem Friedhof stand? Und wie hätte man den unbemerkt abtransportiert können?

Renninger hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Ein Gärtner hat ihm geholfen, das Grab wieder schön herzurichten, das hilft ihm schon mal. Um den materiellen Wert ist es ihm ohnehin nie gegangen. Aber was ihm "emotional abhanden gekommen" sei, das wiege schon schwer. Er werde weiter nach der Wahrheit suchen. "Das bin ich meiner Mutter schuldig", sagt er.

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Quelle:
SZ vom 14.02.2019/kaal
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