Bürgermeister-Kandidatin in Zwiesel:"Die absolute Krönung der Versöhnung"

Bürgermeister-Kandidatin in Zwiesel: Gloria Gray ist Buch-Autorin, Schauspielerin, Unternehmerin und das Pin-up-Girl im Varieté. Und sie will an die Spitze in Zwiesel.

Gloria Gray ist Buch-Autorin, Schauspielerin, Unternehmerin und das Pin-up-Girl im Varieté. Und sie will an die Spitze in Zwiesel.

(Foto: Spöttel Picture/Imago)

Zweimal hat sie es versucht, nun könnte sie kurz vor dem Ziel sein: Gloria Gray möchte im Bayerischen Wald Bürgermeisterin werden und wäre damit wohl die erste Frau mit Transgender-Geschichte in diesem Amt. Über einen Aufstieg und eine große Versöhnung.

Von Lisa Schnell, Zwiesel

Gloria Gray hat nicht geschlafen, geduscht ja, ein Kaffee ging auch noch, mehr nicht. Einfach keine Zeit. Sie ist "aufgedreht, aufgekratzt" und immer noch "wirklich überrascht". Schon in der Nacht ging es los mit den Nachrichten, allein auf Whatsapp hatte sie 70, dann Hunderte auf Instagram und Facebook. Alles Glückwünsche, Medienanfragen. Und kein Shitstorm.

Allein das ist schon ein Grund zum Feiern, sagt sie. Eine Frau mit Transgender-Geschichte erzielt das beste Ergebnis bei einer Bürgermeisterwahl und niemand regt sich auf. Überraschung Nummer eins quasi. Überraschung Nummer zwei ist der Ort, in dem Gloria Gray so erfolgreich war: Zwiesel. Eine kleine Stadt im Bayerischen Wald, eine Gegend, von der es hieß, die Menschen dort seien konservativ, engstirnig, hinterwälderisch. "Bamm! Haben wir gestern widerlegt", sagt Gray.

Knapp 32 Prozent haben für Gray gestimmt, die Buch-Autorin, Schauspielerin, Unternehmerin, das Pin-up-Girl im Varieté. Dann kam der SPD-Kandidat mit knapp 27 Prozent. Schlägt sie ihn in einer Stichwahl, wäre sie wohl die erste Frau mit Transgender-Geschichte, die es zur Bürgermeisterin geschafft hat. Zwiesel könnte also Geschichte schreiben. Was sich da verändert, zeigt ein Bild, auf dem der CSU-Kandidat (19 Prozent) ihr gratuliert: Ein Mann im grauen Anzug schüttelt die Hand einer Frau im knallig blauen Kostüm, um ihren Hals trägt sie ein großes, glitzerndes G.

"Ein bisschen Magie über Zwiesel streuen", das war ihr Plan, 2011, 2016 und ist es jetzt. Zweimal hat sie es schon probiert. Beim ersten Mal bekam sie nicht mal die für eine Kandidatur notwendigen Unterschriften zusammen. 2016 holte sie aus dem Stand 20 Prozent, 2020 wurde sie Kreisrätin in Regen und jetzt die Stimmenkönigin von Zwiesel. Ihre Geschichte ist die eines Aufstiegs, aber auch einer großen Versöhnung.

Jetzt ist Zwiesel für die 56-Jährige ihr "Herzensprojekt", ihre "Heimat". Damals aber, als Gloria Gray noch ein Mädchen war, das im Körper eines Jungen steckte, war Zwiesel für sie wie "ein Gefängnis". Und die Zwieseler, na ja, wer keine Schimpfwörter zitieren möchte, muss sagen: nicht ganz so nett zu ihr wie heute. Sie floh nach München, mit 26 war sie auch körperlich eine Frau und zwar eine sehr erfolgreiche. Sie tourte durch die Welt, war in Hollywood, am Broadway. Zwiesel? Stand eher nicht auf ihrer Liste. Um ihre Eltern zu pflegen, kam sie zurück. Und mit ihr ein wenig Glamour. In einem Schaufenster zeigte sie ihre schrillsten Kostüme, High Heels, Spitzenkleider. In einem umgebauten Pferdestall eröffnete sie das Café Gloria, wo sie Kinderfasching feierte und "Puff-Partys". Selbst einer ihrer politischen Gegner muss zugeben: "Das waren geile Partys." Vom gehänselten Kind zur Politikerin Nummer eins, man könnte es "die absolute Krönung der Versöhnung" nennen, sagt Gray. Wobei, das mit der Politikerin möchte sie korrigieren. Das sei sie nämlich nicht.

Sie wolle "das Gesicht der Stadt" sein, sagt Gray

Und was will sie dann sein als Bürgermeisterin? "Das Gesicht der Stadt, eine, die netzwerkt, die Seele von Zwiesel." Berufspolitiker hätten ein schlechtes Image, oft ginge es ihnen nur um die Macht. Sie habe einiges anders gemacht. Kein einziges Wahlversprechen habe sie gegeben und kein Plakat aufgehängt. An dem Überbietungswettbewerb - "schneller, größer, mehr ist mehr" habe sie sich nicht beteiligt, weil es nicht nachhaltig sei. Und ganz ehrlich: Für eine wie Gray auch komplett überflüssig. Wer in Zwiesel Gloria Gray nicht kennt, befindet sich seit mindestens zehn Jahren im Dauerschlaf.

Gray, die Macherin, die Leben nach Zwiesel bringt, so kann man ihren Erfolg erklären. Oder mit ihrer Bekanntheit, manch einer sagt auch mit ihrer Darstellung als Anti-Politikerin. Das Establishment haben die Zwieseler abgestraft, der Kandidat der Grünen, der die letzten zwei Jahre mit die Rathausgeschäfte führte, bekam das zweitschlechteste Ergebnis. Und auch der letzte Bürgermeister, Franz-Xaver Steininger, war, wie Gray, parteilos. Von ihm wird wohl am ehesten in Erinnerung bleiben, dass er sein Amt aufgeben musste aufgrund einer Anklage wegen Vorteilsannahme. Wobei man dabei wäre, was Gray mit Zwiesel vorhat. Denn natürlich will auch sie verändern, man könnte sagen: Macht.

Als allererstes will sie klarstellen: "Das Amt kommt an erster Stelle." Ihr Buch, das verfilmt werden soll, ihre Shows? Sollen dann zum Hobby werden. Damit Zeit bleibt für das Programm Gloria: "Viel Kultur für jung und alt", sagt Gray, denn "Veranstaltungen, das kann ich". Klar, es sei kein Geld da, die Kassen leer, aber "ich bin Spezialistin darin, aus wenig viel rauszuholen". Es brauche Ideen, um Zwiesel für Touristen attraktiver zu machen. Eine Idee: "Ein gläsernes Rathaus." Gray will die Fassade verglasen lassen als "Attraktion für die Glasstadt Zwiesel". Der Stadtpark soll ein Erlebnispark werden. Wenn es denn klappt bei der Stichwahl am 11. Dezember. Und wenn nicht? Dann war's das. Oder wie das Show-Girl Gray sagt: "Dann bin ich raus aus der Nummer."

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