Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme":"Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn"

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Im einsamen Klosterzimmern lebt die Glaubensgemeinschaft der "Zwölf Stämme". (Foto: dpa)

Die Polizei ist erneut zu einem Einsatz bei der urchristlichen Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme" ausgerückt - diesmal hatten allerdings Sekten-Mitglieder um Schutz gebeten. Die Prügel für ihre Kinder rechtfertigen sie mit Bibelzitaten.

Von Stefan Mayr

Fünf Tage nach der Abholung von 40 mutmaßlich misshandelten Kindern aus der urchristlichen Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme" ist die Polizei in der Nacht zum Dienstag erneut zu einem Einsatz auf dem Anwesen in Klosterzimmern (Kreis Donau-Ries) ausgerückt. Diesmal mussten die Beamten allerdings die Sektenmitglieder vor ungebetenen Besuchern schützen.

Die Landtagsfraktion der Grünen warf der Staatsregierung und der CSU unterdessen vor, für das Leid der Kinder mitverantwortlich zu sein. Widersprüchliche Aussagen kommen dagegen von den "Zwölf Stämmen" selbst: Während manche Mitglieder die am Montag im Fernsehen gezeigten Prügelszenen als "gelogen" und "gefälscht" bezeichnen, bestätigen andere Sprecher, dass die Kinder regelmäßig mit Ruten geschlagen werden. Sie rechtfertigen dies mit Bibelzitaten.

Das RTL-Magazin "Extra" zeigte am Montag versteckt aufgenommene Filme, auf denen Frauen verschiedenen Kindern in einem Kellerraum mit Weidenruten mehrmals auf den nackten Po schlagen. Vertreter der "Zwölf Stämme" sehen diese Schläge nicht als Misshandlungen an, sondern als "Züchtigungen entsprechend unseren Erziehungsmethoden". Wie diese Methoden aussehen, stellt die weltweit verbreitete Sekte relativ offen auf ihrer Internetseite www.twelvetribes.com dar.

"Wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn bald"

Dort ist unter anderem ein Vortrag des Sektenführers Gene Spriggs aus dem Jahr 2000 dokumentiert. "Unsere Kinder wurden aufgezogen mit der Rute der Korrektur, wir streiten das nicht ab", sagt der grauhaarige, vollbärtige Mann, der seine schulterlangen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hat, auf Englisch. "Und wenn wir dafür ins Gefängnis gesteckt werden, dann gehen wir ins Gefängnis, weil wir wissen, dass wir recht tun und unsere Kinder in Liebe disziplinieren."

Er zitiert mehrere Bibelstellen, unter anderem: "Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn bald." (Sprüche 13,24). Oder: "Torheit steckt dem Knaben im Herzen; aber die Rute der Zucht wird sie fern von ihm treiben." (Sprüche 22,15).

Menschen, die gegen "Kinds-Disziplinierung" in seinem Sinne sind, bezeichnet der Sektenchef als "Gottlose". Daran glauben seine Jünger offenbar - und nehmen dabei in Kauf, sich der Kindsmisshandlung schuldig zu machen.

Da diese Zustände den Behörden schon seit Jahren bekannt sein müssten, übt Grünen-Fraktionschefin Margarete Bause scharfe Kritik an der Staatsregierung. "Wir hatten das Thema schon 2006 im Landtag auf die Tagesordnung gesetzt", berichtet Bause. "Hätte die CSU damals unserem Antrag auf Durchsetzung der Schulpflicht zugestimmt, wäre den Kindern viel Leid erspart geblieben."

Stattdessen seien die Grünen "diffamiert, verhöhnt und abgebügelt" worden, die CSU habe damals "steif und fest behauptet, das Kindeswohl sei nicht gefährdet". Bause: "Hier haben sich die CSU und ihre verantwortlichen Minister am Kindeswohl schuldig gemacht." Das Nichtstun der Behörden habe die Sektenmitglieder bestärkt: "Staatliche Eingriffe hatten sie nie zu befürchten."

Erst am vergangenen Donnerstag nahmen die Behörden 40 Kinder in Obhut. Auslöser der Aktion waren die versteckt aufgenommenen Bilder des RTL-Reporters Wolfram Kuhnigk. Als diese am Montagabend ausgestrahlt wurden, musste die Polizei erneut nach Klosterzimmern eilen. Sekten-Mitglieder hatten um Schutz gebeten, da mehr als 20 Personen in acht Autos vor das Landgut der Sekte gefahren waren. "Sie fuhren auf und ab und hupten", berichtet Polizeisprecher Ludwig Zausinger, "offenbar wollten sie ihre Empörung und ihr Entsetzen dokumentieren."

Die Polizei nahm die Personalien der ungebetenen Besucher auf und sprach ihnen Platzverweise aus. "Zu Straftaten kam es nicht", betont Zausinger. In Nördlingen wurde zudem ein Schaufenster eines Ladens der Sekte mit Ketchup verschmiert. Hinter der Glasscheibe hatten die "Zwölf Stämme" eine Stellungnahme ausgehängt, mit der sie Bürger dazu animieren, beim Jugendamt und Familiengericht "Kommentare" zur Inobhutnahme abzugeben.

Nach Angaben des Landratsamts Donau-Ries haben die 40 Kinder derzeit Briefkontakt zu ihren Eltern. "Die nächsten Schritte können Telefonkontakte oder auch begleiteter Umgang sein", sagt eine Sprecherin. Dies werde im Einzelfall entschieden. Jene Mütter, die Säuglinge stillen, sind in Mutter-Kind-Einrichtungen untergebracht. Die Sprecherin bestätigt, dass die Kinder nicht krankenversichert sind. Sie erhalten jedoch "auf jeden Fall eine komplette ärztliche Versorgung".

© SZ vom 12.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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