Man hat sich fast daran gewöhnt, dass die Blaskapellenmusik so langsam verdrängt wird im politischen Bierzelt. Beim Gillamoos 2022 wurde Markus Söder nicht mit der „Amselpolka“ zum Rednerpult gespielt oder mit dem „Böhmischen Traum“. Nein, damals donnerte die Ballermannkanzone „Layla“ aus den christlich sozialen Lautsprechern, das Lied von der „Puffmama“, schöner, jünger, geiler. Aber jetzt? Lässt sich ein bayerischer Ministerpräsident schon mit norddeutschen Seemannsliedern auf die Bühne geleiten. Das Lied, das beim diesjährigen Gillamoos gespielt wurde, heißt: „Sie hieß Mary Ann“. Und der Interpret: Markus Söder.
Die AfD übrigens hat „Layla“ auch diesmal wieder aufgelegt in Abensberg. Aber gut, die AfD ist ein Spezialfall, da ist man schon froh, wenn der DJ nicht Gigi D’Agostinos „Lamour Toujours“ aussucht und wieder irgendwer auf ganz dumme Mitsinggedanken kommt.
Zurück zu Söder. Es war keine Live-Performance auf der Gillamoos-Bühne, immerhin das nicht. In der Fernsehsendung „Ina’s Nacht“ hat er das Seemannslied ja noch leibhaftig gesungen. Die Kulisse: eine Hamburger Hafenkneipe. Er hat das nicht mal schlecht gemacht, eigentlich sogar ganz gut. So gut zumindest, dass sich hartnäckig die Gerüchte halten, dass Söder zuvor wochenlangen Gesangsunterricht genommen hat. In der CSU wird das vehement bestritten. Wie auch immer, diesmal kam „Sie hieß Mary Ann“ jedenfalls vom Band.
In dem Lied steckt eine Botschaft: Ich kann nicht nur Bayern! So wie in seinen Top-Ten-Listen auf Instagram ja auch Botschaften stecken. In der Liste #söderreist taucht neben Nürnberg und dem Chiemsee ganz selbstverständlich auch Helgoland auf. Und in der Liste der liebsten #södersnacks fehlen Zwetschgendatschi und Bayerisch Creme, dafür findet man die Schwarzwälder Kirschtorte. Frei übersetzt: Ich kann Nordsee, ich kann Schwarzwald, ich kann Kanzler!
Während bei Söder wirklich alles nach Spurenelementen von Kanzlerambitionen abgeklopft wird, macht sich bei den anderen Parteien kaum jemand die Mühe, nach versteckten Botschaften zu fragen. Zum Beispiel bei den Grünen, da lief beim Gillamoos plötzlich das Titellied aus Pippi Langstrumpf: „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.“ Man könnte ja mal fragen: Ist das noch Selbstironie oder schon Fatalismus? Oder die SPD, in deren Zelt die Blaskapelle nach den Reden ein Lied namens „Moidal leg di nieder“ anspielte.
Das muss dann wohl dieser neue Sound sein, mit dem die SPD näher heranrücken möchte an die Lebensrealität der „kleinen Leute“ statt übers Gendern zu reden, wie der neue Landtagsfraktionschef Holger Grießhammer neulich gesagt hat. Kleine Textprobe: „Moidal leg di nieder aaf a Büscherl Hobernstrouh / hint und vorn schee nieder, in der Mitt' schee houch, schee houch“. Bisschen laylamäßig, aber Polka und immerhin bairisch. Zumindest auf die Sozis ist im Bierzelt noch Verlass.