Gewerbesteuereinnahmen:Ingolstadt ist reich, dank Audi - bislang

Headquarters of German car manufacturer Audi are pictured in Ingolstadt

43 000 Menschen arbeiten bei Audi. Der Automobilkonzern baut sein Gelände immer weiter aus.

(Foto: Michaela Rehle/Reuters)
  • Ingolstadt wird in diesem Jahr voraussichtlich sehr viel weniger Gewerbesteuern einnehmen, als in den vergangenen Jahren. Grund ist der Abgasskandal bei VW.
  • Dessen Tochter Audi hat in der Stadt großen Einfluss - nach Meinung von Kritikern zu viel Macht.

Von Andreas Glas

Manchmal redet Christian Lange über Audi wie über eine Krankheit, die sich ins Mark der Stadt frisst. "Hier kann man sehen, wie sich das Werk breit- macht", sagt Lange, dunkle Stimme, dunkler Teint, dunkles Sakko.

Er fährt über die Gaimersheimer Straße, deutet hinaus in eine Industriehallenlandschaft: das Güterverkehrszentrum, viele Audi-Zulieferer sitzen hier, auf einer Fläche von 170 Fußballfeldern. Dazwischen Kräne, die dran arbeiten, das Gelände noch größer zu machen. Die Stadt hat in das Logistikzentrum 350 Millionen Euro gesteckt. Ein Ärgernis, findet Lange. Was irgendwie schräg ist, weil er selbst einen dicken Audi fährt, in Weiß, mit schwarzen Ledersitzen.

"Der unbeliebteste Audi in der Stadt", sagt Lange und grinst. Er spricht von seinem Auto, aber er meint sich selbst. Er gefällt sich in der Rolle des Audi-Kritikers, die er kommod mit dem eigenen Luxuswagen kombiniert. Er fährt seit 20 Jahren Audi, erst A 4, dann A 6, jetzt Q 7. "Weil die schon tolle Autos bauen. Kann man nicht meckern."

Tut er aber trotzdem. Traut sich in Ingolstadt ja sonst keiner, findet Lange, außer ihm selbst natürlich und seiner Vier-Mann-Fraktion im Stadtrat, der Bürgergemeinschaft Ingolstadt, ein Aufkleber mit BGI-Logo pappt auf der Kofferraumklappe seines Wagens.

Spätestens jetzt, findet Lange, ist es an der Zeit, die Audi-Dominanz in Ingolstadt infrage zu stellen. Spätestens jetzt, da Finanzbürgermeister Albert Wittmann offenbart hat, dass es um das Budget der Stadt nicht schlimm steht, sondern viel schlimmer. Wegen des Abgas-Skandals bei Volkswagen hatte die Stadt im Herbst eine Haushaltssperre verhängt.

Viel weniger Gewerbesteuer

Schon damals fürchtete man, der Abgas-Skandal könnte dem Audi-Mutterkonzern so hohe Verluste bescheren, dass kaum mehr Gewerbesteuern nach Ingolstadt fließen. Nun hat Wittmann (CSU) die Prognosen noch weiter nach unten korrigiert, sprach von "düsteren Zahlen", als er seinen Finanzlagebericht vorlegte. Er rechnet mit nicht einmal mehr 70 Millionen Euro Gewerbesteuer, im Jahr 2014 waren es fast 200 Millionen, im Jahr davor knapp 250.

Es gibt einen Spruch, den kennt jeder in Ingolstadt: Wenn Audi hustet, kriegt Ingolstadt eine Lungenentzündung. Und Audi hustet heftig. Der Finanzbürgermeister prophezeit "harte Zeiten", will den Straßenunterhalt um 40 Prozent kürzen, den Bauunterhalt um die Hälfte. Doch BGI-Stadtrat Lange fordert mehr: "Es müssen auch Wünsche von Audi infrage gestellt werden", etwa der beschlossene 200 Millionen Euro teure Ausbau der Ostumgehung beim Audi-Werk. "Wir machen ja keinen Haushalt für Audi, sondern für die Bürger."

Ingolstadt erlebt gerade, wie der VW-Abgas-Skandal das Selbstverständnis einer ganzen Stadt erschüttert. Es ist eine Beziehungskrise, die sich da anbahnt, zwischen der Stadt, ihren Bürgern und dem Autoriesen Audi. Es kriselt in einer Liaison, die als Vorzeigebeziehung galt.

Die Stadt steht ja immer ganz vorne, wenn Rankings über Wirtschaftskraft und Wachstumsdynamik veröffentlicht werden, kaum irgendwo anders sind die Durchschnittslöhne höher. Und nicht zuletzt wegen des Audi-Sponsorings gibt es im kleinen Ingolstadt einen Bundesligaverein, während größere Städte wie Düsseldorf, Dresden oder Essen davon nur träumen. Es lief bestens in Ingolstadt. Und jetzt? Brodelt es.

"Schreiben Sie bitte nicht mehr, dass Ingolstadt eine reiche Stadt ist"

Zu blubbern begann es ja schon im Februar, als der Stadtrat die Gebühren für städtische Kindertagesstätten anhob, zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit - mit der Begründung, "dass das gesamte finanzielle Umfeld der Stadt Ingolstadt schwierig ist". Die Mütter und Väter protestierten auf der Straße, aber der Stadtrat blieb hart.

"Unsozialer geht es nicht", sagt Christian Lange, "wir bauen für viele Millionen Straßen und Brücken, damit Audi Zubringerstraßen hat, und ziehen den Familien das Geld aus der Tasche."

Es ist verrückt: Erst im Februar hat Audi einen Absatzrekord bekannt gegeben, investiert weiterhin Millionen, um das Werk in Ingolstadt auszubauen. Doch weil die Stadt ihre Gewerbesteuer von der Audi-Mutter Volkswagen kriegt, hat Ingolstadt nichts vom Audi-Boom. Im Gegenteil, die Stadt hat ein Problem.

So groß, dass der Finanzbürgermeister das Ersparte angreifen muss. Von 300 Millionen Euro ist die Rede. Und falls VW über 2017 hinaus keine Gewerbesteuer zahlt, muss die schuldenfreie Stadt Kredite aufnehmen. "Schreiben Sie bitte nicht mehr, dass Ingolstadt eine reiche Stadt ist", sagte Wittmann kürzlich zu den Journalisten, "das ist Vergangenheit."

Wie viel politische Macht Audi hat

Doch statt teure Bauprojekte zu stoppen, die vor allem Audi dienten, werde die Haushaltskrise auf die Bürger abgewälzt, schimpft Stadtrat Lange. Nicht nur die Kita-Preise wurden erhöht, auch die Parkgebühren, die Wassergebühren, die Preise fürs Busfahren. Und der Eintritt ins Stadttheater wird teurer. Dazu hat die Stadt den Neubau des Apian-Gymnasiums bis ins Jahr 2020 verschoben.

Auch Kulturgroßprojekte wie die 100 Millionen Euro teure Sanierung des Stadttheaters oder das neue Museum für Konkrete Kunst und Design könnten zurückgestellt werden. "Der Abgas-Skandal ist im Portemonnaie der Bürger angekommen", sagt Lange.

Müssen die Ingolstädter büßen, weil die Stadt über Jahre hinweg zu einseitig auf Audi gesetzt hat? Ja, findet Lange, "das ist blauäugig. Wir müssen schauen, dass wir die Wirtschaftskraft auf mehrere Säulen stellen und Audi mehr soziale Verantwortung in der Stadt übernimmt".

Das hatte vor einem Jahr auch der CSU-Fraktionschef im Rathaus gefordert. Er nannte es "lächerlich", dass sich Audi finanziell nicht stärker am öffentlichen Nahverkehr beteilige. Die Antwort kam mit Wucht. Wenn das die Haltung der Ingolstädter sei, sagte der Audi-Personalvorstand, "müssten wir uns überlegen, ob es noch Sinn macht, im geplanten Umfang an diesem Standort weiter zusätzlich Arbeitsplätze aufzubauen".

Audi ist Ingolstadts größter Gewerbesteuerzahler

Langes Theorie geht so: Weil die Stadt Audi nicht vergraulen möchte, regiert im Stadtrat ein "vorauseilender Gehorsam" gegenüber ihrem größten Gewerbesteuerzahler. Was Audi fordert, werde abgenickt - und die Bürger müssten bluten. Ist da was dran?

Nein, sagt der Finanzbürgermeister, er sagt aber auch, "dass ein Großunternehmen, von dem wir über die Jahre viel Gewerbesteuer bekommen haben, einen Anspruch darauf hat, dass die Infrastruktur weiterentwickelt wird. Sind wir froh, dass wir so abhängig sind von einem Konzern wie VW. Das hat uns viele fette Jahre beschert." Aber hätte man nicht noch mehr Geld auf die Seite legen müssen, um für magere Zeiten gewappnet zu sein?

Hätte er ja gern, sagt Wittmann, aber als Finanzbürgermeister sei es "schwer, in fetten Jahren auf die Bremse zu treten. Jeder sagt: Der hat über 300 Millionen Rücklagen und redet davon, dass wir sparen müssen". Sparen? Braucht's nicht, fand der Stadtrat - und hat weiter geklotzt. "Das ist das Schicksal eines Finanzverantwortlichen", sagt Wittmann, "es konnte aber auch keiner damit rechnen, dass eine solche Krise kommt, auch ich nicht."

Nun ist sie da, die Krise, aber man müsse "nicht den Teufel an die Wand malen", findet Wittmann. Er wolle einen "vernünftigen Mittelweg" gehen: Finanziell "auf die Bremse treten", aber nicht alle Infrastrukturprojekte in Frage stellen, nur weil sie auch einen Nutzen für Audi haben. Der vierspurige Ausbau der Ostumgehung am Audi-Werk dürfe nicht gestoppt werden. Bei 43 000 Audi-Mitarbeitern "brauchen wir diese Infrastruktur, damit der Verkehr nicht zu bestimmten Zeiten zusammenbricht".

Was Audi dazu sagt

Und Audi? Will nichts von Beziehungskrise wissen. "Nach unserer Einschätzung ist das Verhältnis zur Stadtverwaltung hervorragend", schreibt das Unternehmen in einer Mitteilung und listet alle Projekte auf, die Audi fördert: den FC Ingolstadt, den Eishockey-Klub ERC, vier weitere Sportvereine, sieben Sportevents, die Sommerkonzerte, das Theater, die Jazztage und einiges mehr. Dazu kommen Großprojekte wie das Technologiezentrum IN-Campus oder ein Hilfsprogramm für Flüchtlinge.

In der Mitteilung steht aber auch: "Wir entscheiden stets aktuell und projektabhängig über unser soziales und regionales Engagement." Und weil es aktuell beim Mutterkonzern VW nicht läuft, stampft Audi manche Förderung ein. Zum Beispiel den 60 000-Euro-Zuschuss zur Eisfläche auf dem Paradeplatz, wo Kinder im Winter Schlittschuh laufen. Oder die Beteiligung an der Initiative Irma, die den Kultur- und Freizeitwert der Region steigern wollte.

Albert Wittmann glaubt trotzdem an die Zukunft der Liaison zwischen Audi und Ingolstadt. "Es werden keine einfachen Jahre, aber wir werden die Krise meistern", bis zum Jahr 2020 könne er das garantieren, dann sollte die Krise überwunden sein. "Bis dahin", sagt Wittmann, "werden in Ingolstadt die Jalousien nicht runter- und die Bordsteine nicht hochgeklappt."

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