Gewerbegebiet in Tuntenhausen:"Ein echter Glücksfall"

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Glas, Holz, Sichtbeton: Die Gemeinde Tuntenhausen zeigt, dass ein Gewerbegebiet nicht zwangsläufig hässlich sein muss. Hier hat sich ein Hightech-Unternehmen angesiedelt, das sich harmonisch ins Hügelland einfügt.

Hans Kratzer

Ein Bauherr mit Gestaltungswillen, eine erfahrene Architektin und ein Gemeinderat, der eine Innovation wollte, haben das Tuntenhausener Gewerbegebiet möglich gemacht. (Foto: Landesverein für Heimatpflege)

Die auf einem Dachboden entdeckten und jetzt in einem Buch veröffentlichten Glasplattenbilder des Fotografen Ferdinand Pöschl (1877-1914) stellen eine Sensation dar, da Pöschl auf eindringliche Weise das dörfliche Leben vor dem Ersten Weltkrieg dokumentiert hat. Seine Fotografien zeigen eine Landschaft, wie wir sie heute nicht mehr kennen.

Von Flurbereinigung und Zersiedelung noch unberührt, war sie geprägt von Häusern im einheitlichen ländlichen Baustil, deren geduckte Proportionen zwar die Härte der Lebensumstände verraten, aber dem Betrachter trotzdem ein Gefühl von Harmonie und Ästhetik vermitteln.

Die Bau- und Gestaltungskunst unserer Vorfahren wird heute als stimmig empfunden, was man von der Konzeption moderner Wohn- und Gewerbegebiete nicht behaupten kann. Während die von Pöschl festgehaltene Baukultur getragen ist von Erfahrung, Tradition und einem bedächtigen Umgang mit Form und Material, liefern heutige Entwürfe den größtmöglichen Kontrast dazu. Ihre Anmutung lässt sich kurz und bündig beschreiben: schrill, schräg, schrecklich.

"Wir haben die Unkultur der Stadt aufs Land gekippt", beklagte der Journalist Dieter Wieland schon vor 40 Jahren in seiner Fernsehdokumentation "Unser Dorf soll hässlich werden". Angesichts der geschmacklosen Gestaltung vieler Wohn- und Gewerbegebiete hat der Kolumnist Harald Martenstein augenzwinkernd überlegt, wie man den Tatbestand Architekturverbrechen unter Strafe stellen könnte.

Ungeachtet dessen gibt es aber auch einige Beispiele mit Vorbildcharakter. Zu ihnen zählt das Gewerbegebiet der Gemeinde Tuntenhausen am Ortsrand des Dorfes Hohenthann (Kreis Rosenheim), das vor Kurzem Ziel einer Exkursion des Landesvereins für Heimatpflege war. Bei dieser Veranstaltung des Referats Baukultur werden allmonatlich vorbildliche Gebäude und Architekturmodelle vorgestellt.

Hightech-Betriebe in ländlicher Idylle

Die beherrschende Rolle in dem seit 30 Jahren bestehenden Hohenthanner Gewerbegebiet spielt die aus 130 Mitarbeitern bestehende Firma Gerg, ein Zulieferer für die Automobil- und Luftfahrtindustrie. In der ländlichen Hügellandschaft dieser Voralpenregion dominieren kirchenarchitektonische Preziosen wie Tuntenhausen und Beyharting, einen Hightech-Gewerbebetrieb erwartet man hier nicht unbedingt. Außerdem fallen die riesigen Fertigungshallen des Gewerbegebiets beim Vorbeifahren kaum auf. Das liegt zunächst einmal daran, dass sie mit ihrer Holzverkleidung eher an bäuerliche Stadelbauten erinnern, die sich traditionell unauffällig in die Buckellandschaft hineinschmiegen.

Das Gewerbegebiet in diesem sensiblen Gelände zu erweitern, erwies sich in den vergangenen Jahren als eine anspruchsvolle Herausforderung. "Wir mussten die Hallen möglichst harmonisch in die Landschaft integrieren", sagte die Architektin Regina Gaigl, die das Bauprojekt seit zwölf Jahren planend begleitet. "Wir haben hier einen echten Glücksfall vor uns", stellte der Architekt Thomas Lauer, der als Bauberater beim Landesverein für Heimatpflege tätig ist, bei der Begehung des Geländes fest.

"Glas, Holz, Sichtbeton, mehr gibt's nicht": Die wenigen Materialien führen zu einer freundlichen und klaren Optik. (Foto: Landesverein für Heimatpflege)

Der Glücksfall besteht für Lauer aus drei Komponenten: "Wir haben hier einen Bauherrn mit Gestaltungswillen, eine erfahrene Architektin sowie einen Gemeinderat, der sich nicht gegen die innovativen Pläne gesperrt hat. Das führte zu einem herausragenden Ergebnis", bilanzierte Lauer. Von den Proportionen über die Dachform bis zum Baumaterial beziehe sich alles harmonisch auf die Umgebung. Herausgekommen sei ein Gewerbegebiet, wie man es sonst nicht kenne, sagte Lauer. "So müssten alle sein, dann wäre unsere Lebensqualität wesentlich höher."

Wenig Materialien, freundliche Optik, funktional

Die Gebäude sind funktional gegliedert in Büro-, Produktions- und Werkstattbereiche, was auch in der Materialwahl deutlich wird: In den Büro- und Eingangsbereichen wurden unbehandeltes Lärchenholz und Glaselemente verwendet, während die Werkstatt- und Produktionsbereiche in Sichtbeton und Glas ausgeführt sind.

Die freundliche Optik profitiert von der Reduzierung auf wenige Materialien. "Glas, Holz, Sichtbeton, mehr gibt's nicht", sagte Gaigl. Auch die Außenanlagen sind durch Materialwechsel gekennzeichnet: Asphaltdecke für die Fahrbahn, Steinpflaster für Aufenthalts- und Parkflächen, dazu landschaftlich passende Baumgruppen. Weil es keine Parkplatzbeleuchtung und keinen Zaun gibt, verläuft der Übergang in die Hügel harmonisch und ohne Brüche.

"Natürlich ist bei einer solchen geografischen Lage mehr Planung nötig", sagte Gaigl. Dafür zeigen die Gebäude, dass ein Gewerbegebiet nicht zwangsweise hässlich sein muss. Die Anwohner sind ebenso wie die Menschen, die hier arbeiten, umgeben von guter Architektur.

Visueller Terror: Die üblichen Gewerbegebiete in Bayern sind meist schrill, schräg, hässlich. (Foto: Stephan Rumpf)

Bedrohung durch den "visuellen Terror"

Der landesübliche Standard aus Billigbauten und Containerarchitektur mitsamt Reklameschildern verströmt hingegen Trostlosigkeit. Der frühere Erdinger Kreisheimatpfleger Uwe Wilsdorff sprach diesbezüglich einmal von einem "visuellen Terror".

Einige Gemeinderäte, die an der Begehung in Hohenthann teilnahmen, warfen ein, dass man gute Gewerbegebiete mit dem Instrument Bebauungsplan nicht herbeizaubern könne. In Zeiten, in denen Gemeinden allein über Baugestaltung entscheiden, brauche man einfach gute Vorbilder und gute Architekten, entgegnete Lauer.

Lauer verwies auf skandinavische Länder wie Schweden und Dänemark, in denen Architekten grundsätzlich in die Konzeption von Gewerbegebieten eingebunden seien. Sogar im Schulunterricht hätten Architektur und Ästhetik dort einen wichtigen Stellenwert. Überdies könne man von alten Bauernhäusern jede Menge lernen, sagte Lauer. Dort sehe man idealtypisch, wie man wirtschaftlich, ästhetisch und rationell baut. "Das ist gebaute Erfahrung aus Jahrhunderten, die leider in der Zeit der Baumärkte von der Beliebigkeit abgelöst wurde. Heute ist gestalterisch alles möglich, und deshalb entstehen so viele Schlösser für Zwergenkönige."

© SZ vom 22.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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