Gewalt gegen Beamte:Die Polizei, dein Feind und Opfer

Gewalt gegen Polizisten

Ein Demonstrant schlägt einen Polizisten nieder. Laut bayerischem Innenministerium wurden 2012 knapp 2000 Beamte im Einsatz verletzt.

(Foto: dpa)

Jeder dritte Beamte wird im Dienst beleidigt, bespuckt, geschlagen oder getreten, sagt das bayerische Innenministerium. Bei Franz Freismuth schlich sich die Bedrohung sogar bis ins Privatleben.

Von Sarah Kanning, Burghausen/Pfaffenhofen

Als der Alarm eingeht, sind Franz Freismuth und seine Kollegin noch völlig ahnungslos. Der Anruf klingt wie so viele andere: Ruhestörung. Alltag. Sie gehen von der Polizeiinspektion in Burghausen zu Fuß die paar Schritte ins Einkaufszentrum hinüber. Kaum angekommen, springt ein betrunkener Fußballfan Freismuths Kollegin von hinten an den Hals. Als Freismuth den Mann packen will, tritt der ihm mit voller Wucht gegen das Brustbein. Noch Wochen später zeichnet sich dort der Fußabdruck des Angreifers ab. "Die Schmerzen waren höllisch", sagt Freismuth, ein Zwei-Meter-Mann, der nicht aussieht, als würde ihn so schnell etwas umhauen.

Gewalt gegen Polizisten - das ist ein Phänomen, das in der gesamten Bundesrepublik seit einigen Jahren gravierend zunimmt. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann gab kürzlich bekannt, dass 2012 jeder dritte bayerische Polizeibeamte im Dienst beleidigt, bespuckt, bedroht, geschlagen oder getreten worden ist. Fast 14.000 Polizisten waren von physischer und psychischer Gewalt betroffen. Knapp 2000 wurden im Einsatz verletzt.

Das Schmerzensgeld, welches das Landgericht Traunstein Freismuth zugesprochen hat, ist nichts gegen den seelischen Schaden: "Wenn du bei so was draufgehen kannst - was hast du dann davon?" Freismuth ist 50. Polizist zu sein ist immer noch sein Traumjob. Doch er hat seine Leichtigkeit verloren. Wie viele seiner Kollegen. "Man fährt nicht mehr so unbedarft zu einem Einsatz", sagt sein Kollege, Dienstgruppenleiter und Schichtführer Peter Spiegelsberger.

Dabei haben die bayerischen Polizisten selbst nicht gerade den Ruf, zimperlich zu sein: Im Februar bricht ein Beamter einer gefesselten Frau in München mit einem Faustschlag die Nase, in Rosenheim drischt ein Inspektionsleiter einen Jungen mit dem Kopf gegen die Wand und schlägt ihm die Schneidezähne ab. "Tragische Einzelfälle", nennt das die Polizei.

Dem steht die Zahl von 2000 Anzeigen gegen Polizisten jährlich gegenüber. Dennoch: Das Risiko für die Beamten, dass sie selbst verletzt werden, ist ungleich höher. Sie werden mit dem Tod bedroht, einige wünschen sich Teleskopstöcke. Um sich zu verteidigen. "Ich bin nicht Polizistin geworden, um mich schlagen zu lassen", sagt eine junge bayerische Polizeibeamtin. "Berufsrisiko hin oder her - aber schön ist das nicht."

Bedrohung bis ins Privatleben

Bei manchen schleicht sich die Bedrohung bis ins Privatleben. Wie bei Freismuth, der bis vergangenes Jahr szenekundiger Beamter für die Ultra-Fans des früheren Zweiligisten Wacker Burghausen war. Bis er es nicht mehr ertragen wollte. Die Schilder im Stadion, auf denen er wüst beschimpft wurde. Die Pöbeleien im Supermarkt. In einer Kleinstadt wie Burghausen, in der jeder jeden kennt. In der man sich im Freibad trifft.

Die Fans machten Freismuth verantwortlich für ein Stadionverbot einiger Ultras. Dabei sagt Freismuth: "Ich finde das doch gut, dass wir eine so engagierte Fankurve haben, wenn die Jungs Choreografien einstudieren und so." Nur bei Gewalt, da höre das Fan-Sein auf. Die Burghausener Polizisten berichten über junge, aggressive Männer, Alkohol spiele meist keine Rolle. Aber fehlender Respekt und ein extremes Ausloten der Grenzen. "Einen szenekundigen Beamten schlagen, das war früher ein No-go", erzählt Freismuth. Er sollte das Bindeglied sein zwischen Fußballverein, Fans und der Polizei. Doch heute sagt er: "Es gibt kein Miteinander, es gibt keinen Kontakt."

Der Fanbeauftragte für den SV Wacker, Robert Hack, weiß um die Schwierigkeiten: "Die Polizei ist in den Augen der sogenannten Fans der, ich will nicht sagen Feind, aber der unbeliebte Anteil am Fußball. Das ist wie auf dem Volksfest, wie in der Disko." Er sagt, dass er sich für die Fans am Spieltag und in der Vorbereitung zuständig fühlt.

Bei gewaltbereiten Ultras geht der Hass aber weit über das Stadion hinaus. Konflikte eskalieren längst zwischen den Spieltagen, abseits des Spielfelds.

Prellungen, Abschürfungen, Platzwunden

Die Polizei schildert einen Vorfall aus dem Juni 2013. Es ist Sommerpause im Fußball. Als zwei Beamte einen jungen Mann verfolgen, flüchtet der in eine bei Ultras beliebte Kneipe. Sofort bauen sich einige Männer Nase an Nase vor einer Polizistin und ihrem Kollegen auf. Sie wechseln ständig die Position und verhindern, dass die Polizisten den jungen Mann festnehmen können. Sie beschimpfen die Beamten, schubsen, überschütten sie mit Bier. Sie stoßen Todesdrohungen aus. Sie werfen Gegenstände und schubsen einen Polizisten zu Boden. Bis Verstärkung eintrifft, bleibt den Polizisten nur der Rückzug.

Die Polizeiinspektion Burghausen hat zwei Streifen. Reicht das nicht, muss sie Verstärkung anfordern - aus Altötting oder Laufen. Bis die Kollegen da sind, dauert es wenigstens zehn Minuten. "Wer das schon mal erlebt hat, der weiß, dass sich das wie eine halbe Ewigkeit anfühlt", sagt Dienstgruppenleiter Spiegelsberger. Mehr Polizisten gibt es in der Region nicht. Freismuth sagt: "Letztendlich tragen wir die Kosten."

Die Zeit, bis Verstärkung eintraf, kostete auch Uwe Wilczek, Polizeihauptmeister an der Inspektion Pfaffenhofen an der Ilm, kurz vor Weihnachten seine Gesundheit. Schon als der Anruf einging, befürchtete er, dass es schmutzig werden könnte. Ein Arzt rief um Hilfe: In einer Klinik in Pfaffenhofen wehrte sich ein junger Mann heftig gegen eine Einweisung in die Psychiatrie. Wilczek wusste, dass zwei Beamte für diesen Einsatz zu wenig sein könnten. Bauchgefühl hin oder her - der Hauptkommissar hatte keine Wahl. "Wenn wir gerufen werden, müssen wir ausrücken." Die zweite Streife war im Einsatz. Also ging er mit einem Kollegen allein.

Als die Verstärkung zwanzig Minuten später eintraf, bot sich ihr ein Bild der Verwüstung: Der junge Mann tobte immer noch. Wilczeks Körper war übersät mit Prellungen, Abschürfungen, einer Platzwunde. Die Schmerzen im Fuß - eine Mittelfußfraktur. Seinem Kollegen war ein Stück vom Knochen am rechten Knie abgesplittert. Was genau passiert war, weiß Wilczek nicht mehr so richtig. Nur dass sie Pfefferspray einsetzten und der junge Mann auch dann nicht von ihnen abließ. Dass er prügelte und trat. Dass er beide Polizisten so schwer verletzte, dass sie für Wochen dienstunfähig waren.

Nicht erst seit diesem Unfall setzt sich Wilczek als Vorsitzender der Kreisgruppe Holledau der Polizeigewerkschaft GdP für mehr Personal ein. Sinkender Respekt, Schnaps zum Vorglühen, eine niedrigere Hemmschwelle der Aggressoren mache das notwendig. Während in München die Personaldichte hoch ist, aber die Beamten oft jung sind, muss auf dem Land gestopselt werden, um den Schichtplan vollzukriegen. Erfahrung hin oder her: Manchmal zählt die Manpower.

"Das hinterlässt Spuren"

Seit einigen Wochen ist Wilczek, 39 und mit braunem Bürstenhaarschnitt, wieder im Dienst. An diesem Abend auf dem Volksfest in Pfaffenhofen. Sein Revier ist diese Nacht die Flaniermeile zwischen Festzelt und Eingangstor, vorbei am Autoscooter, an den Schießständen und Fressbuden. In rauen Mengen fließt im Festzelt das Bier. Die Bedienungen schleppen und kommen kaum nach, auf den Toiletten ist Stau. Um kurz nach zehn endet die erste Schlägerei so abrupt wie sie begonnen hat. Die Polizisten müssen keine Personalien aufnehmen. Nicht immer verläuft es so glimpflich. 80 bis 90 Prozent der Übergriffe auf Polizisten geschehen unter Alkoholeinfluss.

Von 23 Uhr an sind zwei Streifen auf dem Volksfest unterwegs, zur Prävention. "Je mehr Präsenz, desto weniger passiert, ist einfach so", sagt Wilczek. "Dann stehen wir uns halt die Beine in den Bauch." So lässig der Abend aussieht, die Polizisten sind angespannt. Früher sei es genug gewesen, einen Betrunkenen am Arm zu greifen - heute würde er sich vielleicht losreißen, die Beamten beschimpfen, im Zweifel zuschlagen. "Wir haben das Gefühl, dass die Gewalt gegen uns zunimmt", sagt Wilczeks junge Kollegin Christine Gallenmiller, die heute mit ihm auf Streife geht. Die 24-Jährige ist neu im Team. Pfaffenhofen hat nach 40 Jahren mehr Personal bekommen - ein Erfolg, den Wilczek sich und der Gewerkschaft anrechnet.

Die Polizisten in Burghausen lassen sich künftig nicht mehr alles gefallen. Sie dokumentieren von jetzt an jede Verletzung im Dienst und klagen auf Schmerzensgeld. "Wir müssen das nicht länger hinnehmen", sagt Sigfried Mittermaier, stellvertretender Inspektionsleiter. Auch ein verknackster Finger sei eine Verletzung. Und nur gesunde Beamte, die sich sicher fühlen, reagieren im Ernstfall besonnen, sagt Mittermaier: "Wenn ein Beamter zwei- oder dreimal im Dienst verletzt wird - das hinterlässt Spuren."

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