Gesundheitsversorgung:Ein Krankenhaus zieht um

Die Aichacher Klinik ist künftig in einem modernen Neubau untergebracht. Dafür müssen sich die Patienten in ihren Betten auf eine kurze Reise machen

Von Dietrich Mittler, Aichach

Ein Krankenhaus zieht um - und mittendrin Gerhart Gesson. In seinem Patientenbett. Gesson, 76 Jahre alt, gebürtiger Österreicher und wegen schwerer Diabetes unterschenkelamputiert, war in seinem Arbeitsleben Montage-Leiter. Von diesem Beruf war er so begeistert, dass er ihn noch lange Jahre in sein Rentnerdasein integrierte. Fünf bis sieben Monate auf Montage, Kleinigkeit. Und der Umzug im Krankenbett? "Nichts Weltbewegendes", sagt er, "als wir damals einen abgestürzten Starfighter auf dem Tieflader durch Augsburg fahren mussten, das war weltbewegend." Oder: "In Russland habe ich drei in Deutschland produzierte Munitions-Entsorgungsanlagen aufgestellt - Auftraggeber das Auswärtige Amt."

Gerhart Gesson ist ganz in seinem Element. Draußen vor der Tür des nach frischer Farbe riechenden Zimmers steht unterdessen der Mann, der dafür sorgte, dass beim Umzug vom Aichacher Krankenhausaltbau in den direkt danebenliegenden Neubau bislang möglichst alles reibungslos verlief: Krzysztof Kaźmierczak, der Geschäftsführer der kreiseigenen "Kliniken an der Paar", zu denen neben dem Aichacher auch das Friedberger Krankenhaus gehört. Kaźmierczak, natürlich nicht ganz so entspannt wie Gesson, blickt verstohlen auf die Uhr. Viel ist getan, aber viel ist auch noch zu tun. Zudem: Fernsehteams sind im Haus. Als letzte Patientin soll nun Münevver Yiyit zum Neubau gefahren werden. Da die 59-jährige Türkin nach der Abschlussuntersuchung nach Hause darf, sitzt sie bereits im Mantel auf dem Bett.

Umzug Krankenhaus Aichach

Ob Inventar oder Patientin: Auf dem Gang des Krankenhauses geht es turbulent zu.

(Foto: Oliver Strisch)

Yiyit ist für die Kameraleute die Attraktion. Einer geht gar in die Knie, um das davonrollende Bett aus einer ganz neuen Perspektive einzufangen. Ginge es um Attraktionen, so hätte Kaźmierczak freilich andere Dinge im Kopf: Das neue Klinikgebäude mit maximal 132 Betten hat es in sich. "Das ist ein Modell für die Häuser der Grund- und Regelversorgung", sagt der 52-Jährige, "und auch die Geräteausstattung, die wir jetzt zur Verfügung haben, ist überdurchschnittlich." Heißt, das Krankenhaus Aichach dürfte künftig oft Besuch bekommen - von den Geschäftsführern jener kleinen Landkrankenhäuser, die sich strukturell für die Zukunft rüsten wollen.

Ministerpräsident Markus Söder war bereits da. Am 7. Oktober, zur Einweihung. "Herr Söder hat damals, als Gesundheitsminister, den Förderantrag für dieses Haus unterschrieben", sagt Kaźmierczak. 2008 hatten die Aichacher das Projekt Neubau angepackt, sich über modernere Konzeptionen den Kopf zerbrochen und dann, vor vier Jahren, den Neubau in Angriff genommen. "So ein Projekt dauert mindestens neun Jahre", sagt der Geschäftsführer, der seine Karriere als junger Assistenzarzt im Krankenhaus begonnen hatte, bevor ihn sein damaliger Ärztlicher Direktor in Frankfurt an der Oder bat, ihn beim Klinik-Management zu unterstützen.

Umzug Krankenhaus Aichach

Die technische Ausrüstung, etwa in den OP-Sälen, ist hochmodern.

(Foto: Oliver Strisch)

Arzt und Manager zu sein, das ist für eine Krankenhaus-Neukonzeption zumindest nicht hinderlich, findet auch Krzysztof Kaźmierczak. Um ihn herum wieseln Reporter, Kameraleute stürzen sich auf modernes Gerät, soweit aufgestellt, etwa in der Notaufnahme, auf der Intensivstation und im Labor. "Vorsicht, hier ist alles noch ein bisschen wackelig", ruft Renate Kolanowitsch, die Laborleiterin. Zwei Geräte laufen schon. "Ist doch nicht schlecht", sagt sie. Am Morgen standen alle Apparaturen noch im Altbau, am Abend soll der Betrieb wieder voll funktionsfähig sein.

Eigentlich hatte sich das Aichacher Krankenhaus zwecks "finaler Phase" des Umzugs schon vergangene Woche aus dem Rettungsnetz abgemeldet, doch einige Aichacher hatten wohl nicht die Zeitung gelesen, oder sie zogen die heimische Notaufnahme eben doch der Friedberger vor. Sprich, sie kamen in ihr altes Krankenhaus, das Ende der Sechziger fertiggestellt worden war. Einige Patienten brachte sogar der Rettungsdienst vorbei. "Darunter eine kleine Kopfplatzwunde, musste man nicht röntgen. Wir haben den Patienten genäht und nach Hause entlassen", heißt es. Spätestens am Montag will Kaźmierczak das Haus wieder für die Notfallversorgung und die Patientenaufnahme öffnen.

Umzug Krankenhaus Aichach

Der Neubau der Klinik wurde vor vier Jahren begonnen.

(Foto: Oliver Strisch)

Und dann, Kaźmierczak hatte es bereits geahnt, der neue Pflegedienstdirektor Kai Brooksnieder wohl auch: Die Medienvertreter wollen jene Spezialzimmer sehen, in denen künftig kranke Insassen der Justizvollzugsanstalt Aichach wieder gesunden können. Als Laie, so sagt Brooksnieder, werde man da kaum Unterschiede zu einem üblichen Stationszimmer sehen. Kaźmierczak deutet aber auf eines der Fenster. "Wer da ausbrechen will, braucht eine Panzerfaust", sagt er. Fünf Schichten Panzerglas. Aber, Dilemma, auch das lässt sich nicht wirklich filmisch darstellen - so wie das meiste an Innovationen, die dieses neue Haus wirklich ausmachen: die durch die Architektur bedingte Patientensteuerung etwa, bei der sich akut zu behandelnde Patienten und jene, die schon lange einen Operationstermin vereinbart haben, gar nicht mehr in die Quere kommen. Und dann: die Telemetrie-Schleifen, die - von außen nicht sichtbar - in der Decke verbaut sind. Kaźmierczak ist begeistert von den Neuerungen, die durch die Fernmessung von Daten möglich werden: "Die Patienten können sich frei bewegen, ihre EKG-Daten und Ähnliches werden übertragen, die Ärzte können sie in ihrem Büro am Computer verfolgen." Und kollabiere ein Patient - etwa in der Toilette - so werde das umgehend bemerkt.

Auch die intelligente Anordnung von OP-Trakt, Schockraum, Computertomografie-Bereich, Aufwachraum, der Intensivstation, der Intermediate-Care-Abteilung für Patienten mit erhöhtem, aber nicht mehr kritischem Betreuungsbedarf, der Endoskopie- und Herzkatheter-Bereich sowie auch die Positionierung der Diagnose-Gerätschaften soll dazu beitragen, dass sich Ärzte und Pflegekräfte künftig schneller um ihre eigentlichen Aufgaben kümmern können. "Prinzip kurze Wege, schnelle Abläufe", wie Manuel Hitzler, der stellvertretende Leiter Hochbau im Landratsamt Aichach-Friedberg, sagt. Und auch das bündelt Arbeitsprozesse: die Pflegestationen ein Stockwerk höher für eine interdisziplinäre Patientenbetreuung.

Umzug Krankenhaus Aichach

Geschäftsführer Krzysztof Kaźmierczak.

(Foto: Oliver Strisch)

"Das neue Haus macht - im Rahmen seines Versorgungsauftrags als Haus der Grundversorgung - hochwertige medizinische Behandlungen möglich", glaubt auch Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml. Von den 47,5 Millionen Euro an Baukosten übernimmt der Freistaat rund 26,3 Millionen Euro. "Gut investiertes Geld", sagt Kaźmierczak. Und: "Diese Klinik ist anders geplant als ein normales Krankenhaus. Ich denke, dass wir nun gute Chancen haben, unser Defizit zu reduzieren." Zuletzt lag dieses nach Angaben des Landratsamts Aichach-Friedberg bei mehr als 2,6 Millionen Euro für beide Häuser, hauptsächlich verursacht durch das Haus in Aichach.

Geschäftsführer Kaźmierczak ist mit seinen Gedanken aber bereits wieder weiter. Vielleicht kann er das Haus ja auch schon an diesem Freitag öffnen. Doch einen Wermutstropfen gibt es bereits, und der tut wirklich weh. Der neue Kreißsaal wird nicht zum Einsatz kommen. Es gibt nicht genug Hebammen.

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