Gesundheit:Schlaganfall-Therapie per Ferndiagnose

Gesundheit: Die Ärztin sitzt in München, der Patient liegt viele Kilometer entfernt: Christina Bergner ist im Klinikum Harlaching im Einsatz.

Die Ärztin sitzt in München, der Patient liegt viele Kilometer entfernt: Christina Bergner ist im Klinikum Harlaching im Einsatz.

(Foto: Robert Haas)
  • In vielen ländlichen Gegenden fehlen Schlaganfall-Spezialisten - Ärzte aus München und Regensburg diagnostizieren per Video.
  • Bereits seit fast 15 Jahren gibt es solche Videokonferenzen - damals wurde "Tempis" gegründet, das "Telemedizinische Projekt zur Integrierten Schlaganfallversorgung in der Region Südostbayern".
  • Inzwischen sind 21 Kliniken dabei, damit ist es das größte Netzwerk zwischen Krankenhäusern in Europa.

Von Christina Hertel

Andreas Scholz wird plötzlich übel, dann schwarz vor Augen, dann fällt er um. Als er wieder zu sich kommt, kribbelt sein rechter Arm, sein Mund fühlt sich pelzig an, der Kopf tut weh. Wie nach einem Kater, wird er später sagen. Verdacht: Schlaganfall. Er wird ins nächste Krankenhaus gebracht - nach Burglengenfeld in der Oberpfalz. Die Stadt hat ungefähr 13 000 Einwohner, eine Burg und ein Volkskundemuseum, aber keinen Schlaganfall-Spezialisten.

Ärztin Christina Bergner, Anfang 30, ist so eine Expertin für Schlaganfälle. Sie hat sich mehrere Jahre auf das Gebiet spezialisiert. Aber sie arbeitet nicht in der Oberpfalz, sondern 160 Kilometer weit weg in München im Klinikum Harlaching. Dass die Expertin und der Patient trotzdem zusammenkommen, liegt an der Technik.

Patient Andreas Scholz, der in Wirklichkeit anders heißt, liegt in einem Krankenhausbett in Burglengenfeld, ist blass, hat die Augen geschlossen. Vor ihm steht ein Monitor. Christina Bergners Gesicht erscheint. "Hallo? Können Sie mich hören?" Er nickt, macht die Augen einen Spalt auf. Bergner sitzt in München vor einem Computerbildschirm, wird von einer Kamera gefilmt - so ähnlich wie beim Skypen.

Bereits seit fast 15 Jahren gibt es solche Videokonferenzen. Die Krankenhäuser in München und Regensburg gründeten damals ein Netzwerk - "Tempis" heißt es. Der Name steht für "Telemedizinisches Projekt zur Integrierten Schlaganfallversorgung in der Region Südostbayern". Inzwischen sind 21 Kliniken dabei und damit ist es das größte Netzwerk zwischen Krankenhäusern in Europa. Zuletzt kamen diesen Sommer Grafenau, ein Luftkurort im Bayerischen Wald, und Wasserburg im Landkreis Rosenheim, dazu.

Patient Scholz soll erzählen, was ihm passiert ist. Dann soll er mit seinen Augen rollen, die Zunge herausstrecken, den Finger mit geschlossenen Augen zur Nase führen, aufstehen, gehen, sich wieder hinlegen. Klappt alles. Im Schnitt macht Ärztin Bergner so eine Video-Diagnose 18 Mal am Tag. Entweder in Regensburg oder in München wartet rund um die Uhr ein Experte wie sie auf den nächsten Anruf - von einem Krankenhaus kilometerweit weg.

Etwa die Hälfte der Schlaganfallpatienten wären ohne die Anbindung an Tempis entweder gestorben oder müssten mit einer schweren Behinderung leben, sagt Arzt Gordian Hubert vom Klinikum Harlaching, der das Netzwerk leitet. Jetzt habe sich dieses Risiko um fast 40 Prozent reduziert.

Es gibt nicht genug Experten - schon gar nicht auf dem Land

Dass Tempis überhaupt notwendig ist, liege daran, dass es generell nicht genug Schlaganfallexperten gebe - und auf dem Land erst recht nicht. "Es reicht ja nicht, wenn sich bloß ein Facharzt auskennt", sagt Hubert. "Man braucht mindestens sechs, sieben Leute." So eine Abteilung aufzubauen, lohne sich für manche Krankenhäuser mit wenigen Patienten einfach nicht. Hinzu komme: Viele Ärzte wollen nicht aufs Land ziehen.

Die Videokonferenz mit Andreas Scholz ist beendet. Seine Situation, sagt Bergner, sei nicht kritisch. Sein Blutdruck soll gesenkt, von seinem Kopf eine Computertomographie gemacht werden, dann soll er in die Schlaganfallstation eingeliefert und dort weiter überwacht werden, zur Vorsorge. Bergner tippt diese Anweisungen in ihren Computer und schickt sie nach Burglengenfeld. Sie ist diejenige, die entscheidet. Die Ärzte dort sind dann diejenigen, die handeln.

Gesundheit: Der Neurologe Gordian Hubert vom städtischen Klinikum Harlaching koordiniert das Schlaganfall-Netzwerk.

Der Neurologe Gordian Hubert vom städtischen Klinikum Harlaching koordiniert das Schlaganfall-Netzwerk.

(Foto: Robert Haas)

Die Schlaganfallstation in Burglengenfeld und in den anderen Kliniken des Netzwerks hat das Team von Gordian Hubert aufgebaut. Der Arzt besucht alle Krankenhäuser und schult Ärzte. Auch für Pflegekräfte, Physio-, Ergo- und Sprachtherapeuten werden Schulungen veranstaltet.

In Bayern gibt es insgesamt fünf Netzwerke, die so ähnlich wie Tempis funktionieren. Damit sei der Freistaat gut abdeckt, meint Hubert. In Norddeutschland sehe die Lage anders aus. Auch in Osteuropa gibt es so etwas nicht. Hubert findet, dass die Menschen überall das gleiche Recht auf eine gute medizinische Versorgung haben. Deshalb hält er Vorträge über sein Projekt - zum Beispiel in Bratislava. Und er überlegt, wie die Versorgung in Bayern besser werden könnte.

Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, erzählt Hubert, können große Blutgerinnsel im Gehirn besser mit einem Katheter entfernt werden als nur mit blutverdünnenden Medikamenten. Diesen Katheter setzen Ärzte in der Leiste ein, führen ihn bis zum Gehirn und ziehen dann das Gerinnsel heraus. Aber das klappt nicht per Video. "Wir planen, von München aus mit einem Helikopter zu den Krankenhäusern zu fliegen, um diese Therapie anzubieten."

Bis es soweit ist, könne es noch bis Ende des Jahres dauern. Aber wenn alles gut geht, fliegt dann von Harlaching ein Hubschrauber los - nach Eggenfelden in Niederbayern zum Beispiel oder nach Burglengenfeld in der Oberpfalz.

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