Gesundheit:Die Angst vor dem Vergessen

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Es gibt viele Wege, auf das Thema Demenz hinzuweisen - der Bezirk Schwaben entschied sich dafür, neben einem Fachvortrag auch eine Künstlergruppe einzubringen. Das Kemptener "Theater Ferdinande" wird am 19. September zeigen, wie die Krankheit ein altes Ehepaar vor harte Proben stellt. (Foto: Theater Ferdinande/ oh)

240 000 Menschen im Freistaat sind an Demenz erkrankt, Tendenz steigend. Die erste bayerische Demenzwoche beschäftigt sich mit der Krankheit und mit Hilfestellungen für Betroffene und Angehörige. Ministerin Huml will Pflegende besser unterstützen

Von Dietrich Mittler, München

Das Telefon klingelt, Willi geht dran. Seine Frau Margot schüttet gerade das viele Wasser aus dem Blumentopf. Willi hat die Pflanzen an diesem Morgen bereits mehrmals gegossen - wieder und wieder. "Willi, kannst du mal ans Telefon gehen?", ruft sie. Da hält ihr Willi auch schon den Hörer hin: "Agathe", sagt er, "wer ist Agathe?" Margot, genervt: "Deine Schwester!" Willi: "Ich habe eine Schwester?" Bei dieser Szene erwartet das Ensemble des Kemptener "Theater Ferdinande" die ersten Lacher. Doch einige im Publikum lachen jetzt vielleicht etwas verhaltener, weil sie solche Szenen nur zu gut kennen: die Angehörigen von Demenzkranken. Am 19. September ist es wieder so weit, das Maskentheaterstück "Die Gartenbank" ist einer der Programmpunkte, mit denen sich der Bezirk Schwaben in die bayerische Demenzwoche einbringt.

Das Programm der Demenzwoche bis zum 22. September steht, beginnend an diesem Freitag um elf Uhr: München, Marienplatz, Eröffnung der Informationswoche durch Gesundheits- und Pflegeministerin Melanie Huml (CSU). Eine Premiere, die in den kommenden Jahren ihre Fortsetzung finden soll. Sprich: Dies soll nicht die erste und letzte bayerische Demenzwoche gewesen sein. "Es ist wichtig, dass die Gesellschaft verstärkt lernt, mit der Krankheit Demenz umzugehen", sagt die Ministerin. Der Bedarf scheint da zu sein. "Jeder Zweite in Bayern fürchtet sich vor Demenz", ergab eine Forsa-Umfrage, die die DAK-Gesundheit in Auftrag gegeben hat. Mittlerweile leben im Freistaat mehr als 240 000 Menschen, die an Demenz erkrankt sind, weit mehr als die Hälfte davon sind Frauen. Im Jahr 2036 rechnen die Experten mit gar 340 000 Demenzfällen.

Was aber geschieht, wenn diese Krankheit auftritt, wie wirkt sie sich aus, wie viele trifft sie wirklich? Die meisten Laien denken an Alzheimer, wenn sie die Angst vor Demenz umtreibt. Und damit liegen sie nicht falsch. "Die Alzheimer-Krankheit ist tatsächlich die häufigste Ursache", sagt Matthias Riepe, Chefarzt für Gerontopsychiatrie am Bezirkskrankenhaus Günzburg. Weltweit macht sie mindestens zwei Drittel der Demenzfälle aus. "Es gibt aber eben auch 150 andere verschiedene Ursachen, teilweise sogar ursächlich behandelbar", betont Riepe. Das wird kommenden Donnerstag Thema seines Vortrags sein.

Nein, betont er, es gehe ihm nicht darum, "falsche Hoffnungen zu wecken", sagt Riepe. Aber darum, bei Betroffenen und Angehörigen den Blick dafür zu weiten, was dringend geboten ist, wenn sich Symptome wie Gedächtnis- oder auch Wortfindungsstörungen bemerkbar machen. Nur zu oft bemühten sich dann die Partner, Kinder oder Freunde, die auftauchenden Defizite zu kompensieren. "Falsch", sagt Riepe. Womöglich sogar verhängnisvoll. Ausbügeln allein reiche nicht. "Man muss vielmehr tatsächlich hinschauen, ob eine Demenz-Erkrankung vorliegt", stellt Riepe klar - durch seine Forschungsarbeit ist er eine anerkannte Größe. Einmal sollte er die Dienstfähigkeit einer Lehrerin beurteilen. "Sie war Anfang 60 Jahre alt, noch im Beruf. Dann fand sie aber die Klassenräume nicht mehr, also haben sie die Angehörigen dorthin gebracht. Und weil sie nicht mehr zurückfand, auch wieder abgeholt", erzählt er. Solche Solidarität innerhalb der Familie sei rührend, aber eben nicht genug, betont er. "Man hätte bei dieser Frau bei frühzeitiger Medikamentierung den Krankheitsverlauf milder gestalten, strecken können."

Wie mit der Demenz umgehen, wo Hilfe suchen? Darum geht es in der Demenzwoche. Bayernweit stehen mehr als 600 Veranstaltungen auf dem Programm (mehr Infos unter www.stmgp.bayern.de/pflege/demenzwoche). Nur wenig wissen Betroffene und Angehörige oftmals über die Hilfsangebote, wie es sie zum Beispiel in Nürnberg bei der Fachstelle für pflegende Angehörige gibt - und das ist ein Problem. In acht von zehn Fällen findet die Pflege von Demenzkranken in Privathaushalten statt. Dabei ist das Wort "Pflege" ein Wort, welches nicht annähernd das beschreibt, was auf die oft selbst hochbetagten pflegenden Angehörigen im Endstadium der Krankheit zukommen kann. Der Mensch, den sie einst kannten, und mit dem sie die meisten Jahre ihres Lebens verbracht haben, ist dann oft nicht mehr derselbe, schreit vielleicht Tag und Nacht den Namen der Frau oder des Mannes, ohne sie oder ihn noch zu erkennen.

"Wir müssen alles tun, um die Lebensqualität für Betroffene und Angehörige zu verbessern", sagt Ministerin Huml. Dazu gehört - wie in der 2013 beschlossenen "Demenzstrategie" festgehalten - neben der Auflistung von Beratungsangeboten, der Gewinnung von ehrenamtlichen Helfern und der Stärkung von präventiven Verhaltensweisen auch die Forschungsarbeit. In diesem Sinne findet am 16. September in Augsburg der Fachtag Demenz statt.

© SZ vom 13.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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