Süddeutsche Zeitung

Gesundheit:Am Tegernsee entsteht ein Zentrum für umstrittene Frischzellenkuren

  • Am Tegernsee will ein später Nachfolger des "Frischzellenkur"-Erfinders Siegfried Block eine Klinik bauen.
  • Ein entsprechendes Areal hat dort das "Deutsche Zentrum für Frischzellentherapie" gekauft.
  • Die Kur mit aus ungeborenen Lämmern gewonnenen Frischzellen ist jedoch unter Medizinern heftig umstritten.

Von Matthias Köpf und Dietrich Mittler, Tegernsee

Damals, als die "Frischzellenkur" in den deutschen Wortschatz einging, gaben sich die prominenten Patienten in den spezialisierten Sanatorien die Klinke in die Hand. Im oberbayerischen Lenggries etwa erinnern sich noch viele an den Sänger Hermann Prey und den Fußballer Fritz Walter, an Willy Millowitsch oder Brigitte Mira.

Die besten Jahre der Frischzellenkur sind also schon länger her, was Spötter gern auch von den Patienten behaupteten. Der Therapeut selbst, Siegfried Block, ist statt der 120 Jahre, die er sich erhofft hatte, nur 78 Jahre alt geworden. Doch die umstrittene Therapie gibt es immer noch. Am Tegernsee will ein später Nachfolger Blocks nun sogar eine ganze Klinik bauen.

Einst urlaubten auf dem 1,5 Hektar großen, parkähnlichen Gelände im Süden der Stadt Tegernsee die Mitarbeiter der Hypobank im firmeneigenen Erholungsheim. Pläne für ein größeres Hotel zerschlugen sich 2016. Inzwischen hat das "Deutsche Zentrum für Frischzellentherapie" das Areal gekauft. Inhaber Klaus Dieter Burkhart plant dort eine Klinik mit drei Trakten und mehr als 120 Zimmern, von denen allerdings nur ein kleiner Teil Frischzellen-Patienten vorbehalten sein soll.

Burkharts Unternehmen ist aus dem Sanatorium Blocks hervorgegangen, nachdem dessen Tochter 2009 Insolvenz angemeldet hatte. Burghart hat den Firmensitz 2012 nach Bad Tölz verlegt. Auf die angekündigten Appartements und damit auf die zahlungskräftige Frischzellen-Klientel wartete man dort aber vergeblich. Stattdessen hat Burghart seine Gäste schon bisher am Tegernsee untergebracht, in einem noblen Hotel in Rottach-Egern. Auch dort gab es schon mal ein Frischzellen-Zentrum, Bob Marley zählte zu den Kunden. In Lenggries versucht unterdessen ein Block-Enkel einen Neustart mit Opas Methode.

Dabei sollen die aus Schafzellen gewonnenen Extrakte nach Angaben der Protagonisten gegen allerlei Leiden helfen - gegen "Immunschwäche, vorzeitige Alterung mit Vitalitätsverlust, Abnutzungserscheinungen, allergische oder chronische Erkrankungen". Doch in der Fachwelt sitzen die Bedenken tief. Nach Erkenntnis des Paul-Ehrlich-Institus besteht "ein hohes Risiko für die Übertragung von Infektionserregern", die unter anderem das sogenannte Q-Fieber auslösen könnten.

Auf solche Vorwürfe ist das Deutsche Zentrum für Frischzellentherapie aber vorbereitet. Hier kämen "ausschließlich Zellextrakte zur Anwendung", die in einem staatlich akkreditierten Labor auf Sterilität und Viren sowie Zerfallsprodukte von Bakterien geprüft seien. Botschaft: völlig unbedenklich.

Das bayerische Gesundheitsministerium indes lässt keinen Zweifel daran, dass es Frischzellenkuren "skeptisch" sieht. Schon immer habe Bayern hier "aus Gründen der Patientensicherheit" strenge Vorschriften gefordert, heißt es auf Anfrage. Vergangenes Jahr erst habe der Freistaat eine entsprechende Bundesratsinitiative unterstützt - bislang ohne große Wirkung.

Bereits 1997 verbot der damalige Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer die Frischzellenherstellung. Nur eine Woche später hob das Bundesverfassungsgericht das Verbot per einstweiliger Anordnung auf. Dabei blieben die Richter dann auch in ihrem Urteil - wenn auch aus rein formalen Gründen: Nicht der Bund, sondern nur die Länder könnten die Herstellung und Verabreichung von Frischzellen aus ungeborenen Lämmern verbieten. Die Ankündigung von Bayerns damaliger Sozialministerin Barbara Stamm (CSU), ein Verbot auf Landesebene zu prüfen, führte zu nichts. Inzwischen ist nach einer Gesetzesänderung tatsächlich der Bund zuständig.

Nicht gewandelt haben sich allerdings die Vorbehalte namhafter Institutionen. Das Paul-Ehrlich-Institut kritisiert in einem Gutachten von 2015, dass es nach wie vor keinen wissenschaftlich akzeptablen Nachweis dafür gebe, dass die Frischzellentherapie tatsächlich wirke. Vielmehr bestehe "der begründete Verdacht schädlicher Effekte". Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte kommt zu dem Schluss, das Nutzen-Risiko-Verhältnis bei Frischzellentherapien müsse "als ungünstig eingestuft werden".

Der Gastroenterologe Johannes Georg Wechsler, der an der TU München lehrt, gehört zu den erklärten Gegnern von Frischzellenkuren, die er "experimentell und gefährlich" nennt. Allerdings gebe es eben auch "einige Prominente und Politiker, die auf diese verrückte Außenseiter-Therapie schwören" und daher schützend ihre Hand über die Frischzellentherapie legten. Dabei berge diese erhebliche Risiken. "Das geht von Autoimmunerkrankungen bis hin zu allergischen Reaktionen, ja sogar bis zum Tod", sagt Wechsler.

Im Tegernseer Rathaus sieht man sich für medizinische Fragen nicht zuständig. Für ihn dürfe allein das Baurecht zählen, sagt Bürgermeister Johannes Hagn (CSU). Burkhart wolle sogar kleiner bauen, als er dürfte, was dem Vorhaben aber nicht den Zorn einiger Anwohner und Landschaftsschützer erspart. Alles andere als eine Kliniknutzung sei jedenfalls ausgeschlossen, sagt Hagn, der das Vorhaben dem "Medizintourismus" zuordnet. Klaus Dieter Burkhart will sich zu all dem nicht äußern.

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SZ vom 28.11.2017/libo
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