Gespräch mit CSU, FW und Grünen:In Sorge um die sieche Tante

Die Schwäche der Sozialdemokraten lässt auch die Konkurrenten nicht kalt. CSU, Grüne und Freie Wähler versammeln sich am Krankenbett. Die Diagnose: schwerer Sehfehler.

K. Auer und A. Ramelsberger

Die SPD trifft sich zum ersten Parteitag nach der historischen Niederlage bei der Bundestagswahl. Die Schwäche der SPD lässt die politischen Gegner nicht kalt. Der CSU-Grande Peter Gauweiler, die Grünen-Fraktionschefin im bayerischen Landtag, Margarete Bause, und Florian Streibl von den Freien Wählern trafen sich zum Diagnose-Gespräch.

Gespräch mit CSU, FW und Grünen: Margarete Bause, Grünen-Landtagsfraktionschefin in Bayern.

Margarete Bause, Grünen-Landtagsfraktionschefin in Bayern.

(Foto: Foto: Andreas Heddergott)

SZ: Die Bundes-SPD ist von fast 46 Prozent unter Willy Brandt auf 23 Prozent abgestürzt. In Bayern hat sie sogar nur 16,8 Prozent der Stimmen - eine Partei, die den ersten bayerischen Ministerpräsidenten stellte, die mit Brandt Weltgeschichte schrieb. Haben Sie Mitleid mit der SPD?

Bause: Mitleid kriegt man umsonst, Neid muss man sich verdienen.

SZ: Geht es Ihnen auch so, Herr Gauweiler?

Gauweiler: Die Leute von der SPD sollen sich nicht verrückt machen lassen.

Streibl: Mitleid ist keine politische Dimension. Ich habe eher Mitgefühl. Nach dem Tiefpunkt geht es wieder aufwärts.

SZ: Sie hören sich an wie die lieben Verwandten am Krankenbett der alten Tante. Dabei haben Sie die SPD doch auch dorthin gebracht: Die Grünen machen sich über die verschlafene SPD lustig, die CSU wittert ständig Sozialismus.

Gauweiler: Früher gab es noch die Neigung, dass man den Reinfall des politischen Gegners feiern muss. Aber das nutzt sich ab, das gibt der politischen Auseinandersetzung doch eher einen schäbigen Zug. Rechts und links, Union und SPD, das ist, recht verstanden, wie das Verhältnis von rechter und linker Hand.

SZ: Man braucht beide?

Gauweiler: Sie sind unterschiedlich, aber unverzichtbar. Die Union war immer die rechte, pragmatische Hand, die SPD die linke, theoretische. Beide haben Deutschland aufgebaut. Man braucht den Widerpart, sonst gerät das Gefüge aus der Balance.

"Die Jungen ran"

SZ: Herr Gauweiler hat keinen linken Sparringpartner mehr. Und den Grünen schwindet mit der schwachen SPD die Machtoption in Bayern. Am Ende müssen Sie noch der CSU schöne Augen machen, Frau Bause.

Gespräch mit CSU, FW und Grünen: Peter Gauweiler (CSU)

Peter Gauweiler (CSU)

(Foto: Foto: ddp)

Bause: Eher muss die CSU uns schöne Augen machen. Aber es ist nicht im demokratischen und auch nicht in unserem Interesse, dass die SPD dauerhaft schwächelt. Wir probieren jetzt in Hamburg ein schwarz-grünes Bündnis aus, wir gehen im Saarland mit FDP und CDU eine Jamaika-Koalition ein. Wir möchten uns ungern auf solche Konstellationen festlegen lassen. Aber die Machtoption ist es nicht alleine: Die SPD steht für soziale Gerechtigkeit, dieses wichtige Thema braucht starke Fürsprecher.

Streibl: Die SPD ist eine ehrwürdige demokratische Partei in Deutschland. Die Ideale, die sie vertritt, dürfen nicht verlorengehen. Aber die Volksparteien werden schwächer werden, die SPD hat es nur früher getroffen als die Union.

SZ: Sie und Ihre Freien Wähler profitieren doch davon, Herr Streibl.

Streibl: Wir beschweren uns ja auch nicht. In einer offenen Gesellschaft kann man die Politik nicht mehr starr auf rechts und links festlegen. Es braucht verschiedene Parteifarben, um das Leben abzubilden.

SZ: Es wird unübersichtlicher im Parlament.

Bause: Konkurrenz belebt das Geschäft. Kleine Parteien können flexibler, schneller reagieren - auch auf die Gesellschaft, die immer pluraler wird. Das haben gerade die Grünen gezeigt.

SZ: Sie wollen also lauter lebhafte Zwerge im Parlament?

Gauweiler: Kleine Parteien sind beweglicher, da ist was Wahres dran. Und vielleicht kann man sich in ihnen leichter gegen die ewige Apparatestruktur wehren. Der Abgeordnete und sein freies Mandat müssen mehr Bedeutung haben: Hier stehe ich, ich kann nicht anders.

SZ: Solche Abgeordneten sind auch in der CSU nicht beliebt, Herr Gauweiler.

Gauweiler: Na und. Mir gefällt beispielsweise ein unbefangener Mann wie der SPD-Linke Hermann Scheer, auch wenn er aus einem anderen Andromedanebel kommt. Ich betrachte auch mit Interesse, wie in den USA jeder Senator frei über die Gesundheitsreform entscheidet. Wir brauchen starke Parlamentarier. Und auch die Führungspersönlichkeiten müssen anders bestimmt werden.

SZ: Wie denn?

Gauweiler: Durch Vorwahlen wie in den USA. Die Präsidentschaftsbewerber Obama und McCain wurden von 60 Millionen Menschen nominiert. Steinmeier am Schwielowsee von sieben. Bei Merkel und Stoiber in Wolfratshausen waren es zwei.

Bause: Die SPD hat die Einbindung der Basis genauso verschlafen wie die CSU. Man hält sich bei beiden Parteien immer an den starken Mann an der Spitze. Man holt ihn als Retter in der Not und wechselt ihn aus, wenn er es nicht schafft. Und holt sich den nächsten. Das ist die Krux beider Parteien.

"Weniger Partei, mehr Demokratie"

Florian Streibl

Florian Streibl von den Freien Wählern.

(Foto: Foto: Hartmut Pöstges)

SZ: Herr Streibl, in Ihrer Freien-Wähler-Truppe geht doch alles recht wild durcheinander. Sie hätten ganz gern ein wenig Apparatestruktur, oder?

Streibl: Starre Strukturen würgen die Demokratie ab. Dann ist unten kein Leben mehr. In der Diktatur geht's schnell, aber lebendig ist das nicht. Willy Brandt hat einmal gesagt: mehr Demokratie wagen. Das braucht die SPD heute wieder, weniger Partei, mehr Demokratie.

SZ: Sie beschwören alle den unabhängigen Abgeordneten. Die SPD hatte doch so einen: Axel Berg aus München, der als einziger SPD-Mann in Bayern 2005 ein Direktmandat geholt hat. Die Genossen haben ihn so schlecht auf der Liste platziert, dass er aus dem Bundestag flog.

Bause: Axel Berg zeigt das ganze Problem. Die SPD kommt mir vor wie eine Autofahrerin, die ständig die Innenbeleuchtung anhat. Davon ist sie so geblendet, dass sie nicht sieht, was draußen vorgeht. Man stellt sich mit den eigenen Leuten gut, um die Karriere abzusichern. Was die Bürger bewegt, ist zweitrangig. Axel Berg ist kein solcher Kanalarbeiter. Er ist der Beweis dafür, wie die SPD die Sicht nach draußen verloren hat.

SZ: Braucht man die SPD eigentlich noch?

Gauweiler: Die Frage müsste heißen: Braucht man die weltanschaulichen Parteien noch? Und ich sage: ja, aber nicht als Kopfgefängnis. Zur SPD: Auf ihr lastet - zu Recht oder nicht - de facto die Beendigung der deutschen Arbeitslosenversicherung unter der diskreditierten Bezeichnung ,Hartz'. Dazu noch aus dem Jahre 1989 der Eindruck kleinlicher Einwände gegen die Wiedervereinigung. Auf ihr lasten die qualvolle Scharping-Zeit, der Bruch des Tabus militärischer Einsätze und die Bombardierung Belgrads. Und die Abgabe von immer mehr Macht an Brüssel.

Bause: Nein, Herr Gauweiler. Nicht die Außen- und die Verteidigungspolitik sind Ursache für die SPD-Probleme. Die SPD hat mit Hartz IV ihren Markenkern beschädigt, die soziale Gerechtigkeit.

Streibl: Bei Hartz IV hat die SPD ihre Glaubwürdigkeit verloren.

Bause: Und es ist peinlich für die SPD, dass nun ausgerechnet eine schwarz-gelbe Regierung das Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger aufstockt. Das hat die SPD in ihrer Regierungszeit vier Jahre lang nicht durchgesetzt.

SZ: Welchen Anteil am Niedergang der SPD haben denn die bayerischen Genossen?

Gauweiler: Sie hören lautes Seufzen am Tisch.

Bause: Bei der Bayern-SPD dreht sich die Spirale nach unten. Die Genossen wissen, auf Landesebene können sie nichts werden. Also flüchten sie in die Bundes- oder Kommunalpolitik. So fehlt das Engagement in der Landespolitik.

SZ: Jetzt sollen die Jungen ran: Florian Pronold, Natascha Kohnen, Markus Rinderspacher. Hilft das der SPD?

Gauweiler: "Die Jungen ran" klänge ja ganz gut.

SZ: Überzeugt klingt das nicht.

Streibl: Es reicht nicht, junge Leute zu holen. Die SPD muss sich im Denken vollkommen erneuern. Die SPD ist nie so richtig in Bayern angekommen, zumindest nicht auf dem Land.

Gauweiler: Die SPD hatte herausragende Leute in Bayern. Ich habe selbst noch als Jurastudent beim alten Wilhelm Hoegner bayerisches Verfassungsrecht gehört und ihn als alten blinden Mann im Löwenbräukeller mit einer grandiosen Rede erlebt. Dann die ruhmvolle Zeit unter Hans-Jochen Vogel, durch eine SPD-Unterbezirksrevolte abgebrochen (Vogel trat 1972 wegen eines Dauerkonflikts mit den SPD-Linken nicht mehr zur Münchner OB-Wahl an, d. Red.). Trotzdem hat die SPD bis heute eindrucksvolle Stadtoberhäupter. Die sollte sie mehr in die erste Reihe bringen.

SZ: Bürgermeister wie Christian Ude aus München lehnen es doch seit Jahren ab, auf Landesebene aktiv zu werden.

Gauweiler: Jeder lässt sich für eine große Sache in die Pflicht nehmen. Aber natürlich will sich niemand in Hinterzimmersitzungen auf Schülermitverwaltungsniveau verschleißen.

SZ: Versetzen Sie sich mal in die Rolle des bayerischen SPD-Chefs. Wie würden Sie die SPD wieder nach vorn bringen?

Bause: Ich hoffe, dass die Aufgabe für die drei Jungen keine ,Mission Impossible' wird. Die SPD muss doch noch einen Rest von Überlebensinstinkt haben. Die können die Neuen vorne nicht allein lassen. Es reicht nicht, sich nur an den eigenen glorreichen Zeiten zu berauschen.

Streibl: Die SPD fühlt sich immer noch als politischer Dinosaurier und ist eigentlich nur noch ein roter Grottenolm. Der kann dann aber auch nicht den Dinosaurier spielen.

Das Gespräch moderierten Katja Auer und Annette Ramelsberger.

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