Sprachsensible Pessimisten vertreten die Ansicht, die deutsche Sprache werde malträtiert wie einst die Ackergäule von den Staunzen. Es stimmt, die Internationalisierung setzt ihr unverkennbar zu, nicht jeder Fortschritt gereicht ihr zum Vorteil. Die einen setzen voll auf das Englische und sehen das positiv, die anderen fürchten, der Niedergang des Deutschen sei nicht mehr zu stoppen. Vor gut 90 Jahren wurde in Amerika das Brettspiel Scrabble erfunden, das sich auch in der deutschen Version großer Beliebtheit erfreut. Immerhin steht es im Ruf, die Ausdrucksfähigkeit bei jung und alt aufs Beste zu fördern. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch Dialektversionen von Scrabble den Spiele- und Unterhaltungsmarkt bereicherten.
Neuerdings kann man das Spiel in einer berlinerischen, kölschen und in einer bairischen Dialektversion spielen. Zu den 650 000 deutschen Wörtern, die beim Scrabble gebildet werden können, kommen nun in der bairischen Version hundert spezielle Begriffe hinzu. Es ist erstaunlich, dass dies in Zeiten schwindender Dialektkompetenz überhaupt noch möglich ist. Freilich ist dieser Trend auch im Musik- und Filmgeschäft lebendig, ungeachtet dessen, dass dabei oft Unsinn verzapft wird. Sehr ausgeprägt war dies in dem ZDF-Mehrteiler "Tannbach" zu erleben, in dem Zeitgeschichte am Beispiel des fränkisch-thüringischen Dorfes Mödlareuth dargestellt wurde. Allerdings wurde dabei "eine Art oberbayerischer Seppl-Dialekt gesprochen", wie der Fränkische Bund diesen Fehltritt harsch kritisierte.
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Am Maßstab der Authentizität muss sich auch die neue Scrabble-Version messen lassen, die nach Angaben des Herstellers Mattel auf Basis des Langenscheidt Dialekte Wörterbuchs sowie durch Vorschläge einheimischer Bayern und Sprachexperten getroffen wurde. Zuversichtlich stimmt bei einem ersten Test, dass das längste Wort des Glossars zwölf Zeichen und einen angenehmen Klang hat: Suiwababbial sagt man in Südbayern zur Alufolie, daran gibt es nichts zu bekritteln.
Dem Experten Sebastian Herzog aus Hannover, einem der besten deutschen Scrabblespieler, gefällt überdies, dass es im Bairischen viele Kurzwörter mit drei Buchstaben gibt, Wörter wie nos (nass), Bua (Bub) und fei (unübersetzbar). Diese, sagt er, eigneten sich besonders gut für Scrabble, da man mit ihrer Hilfe bereits gelegte Wörter ganz einfach einbinden könne.
"Ihr habt einfach einen zu kleinen Wortschatz"
Das alles kann aber nicht darüber hin wegtäuschen, dass ein Teil des Glossars halbscharig wirkt schräg intoniert ist. Warum das Kosewort Spatzl ein Spatz sein soll, der ja im Bairischen ein Schbooz ist, und ein Gspusi ein Liebhaber, obwohl das Gspusi in der Regel ein Mädchen ist und das Pendant Tschamsterer heißt, erschließt sich nicht. Ebenso merkwürdig ist, dass in Glossen und Sprachbüchern die Ansicht überhand nimmt, man müsse schriftdeutsche Wörter nur dialektal färben, und schon habe man ein Dialektwort parat. Auch im Bairisch-Scrabble ist man dieser Versuchung erlegen. Warum Auto, wenn man es Auddo schreibt, ein Dialektwort sein soll, bleibt ein Rätsel. Ähnlich verhält es sich in dieser Version mit Bia (Bier), Debb (Depp) und Globabbia (Klopapier).
Das führt nicht nur sprachlich in die Irre, sondern beschwört zudem die Gefahr herauf, die Sache könne so tragisch-komisch enden wie im alten Sketch "Loriot und die Scrabble-Runde", der auf Youtube verewigt ist. Drei ältere Damen und Loriot spielen dort Scrabble, wobei Tante Mechthild versucht, sich einen Vorteil zu verschaffen, indem sie etwa das Wort Hundnase bildet. Allerdings stößt sie auf Widerstand, es gebe dieses Wort nicht. Daraufhin legt sie Schwanzhund, auch das akzeptiert die Runde nicht. Tante Mechthild schlägt zurück mit dem Vorwurf: "Ihr habt einfach einen zu kleinen Wortschatz."
Wenn eine Sprache realsatirische Züge bekommt
Mit fragwürdigen Kunstwörtern tue man den Dialekten keinen Gefallen, klagt der Bund Bairische Sprache über die neue Scrabble-Version. Diese Kultursünde sei auch vor dem Münchner Oktoberfest zu beobachten, wenn regelmäßig bairische Sprachglossare und Wörterbücher erscheinen, "allerdings auf Witzpostkartenniveau". Dadurch bekomme eine Sprache realsatirische Züge. Die Reduktion auf das Laute und Kracherte und die Fantasiewortsucht gefällt nicht jedem. "Diese Art von Dialekt ist etwas, das sie Welt nicht braucht", schimpft Vereinschef Sepp Obermeier.
Und es werde einer Sprache nicht gerecht, die antike Wurzeln hat und frappierende grammatikalische Parallelen mit den romanischen Sprachen aufweist, etwa die Steigerungsformen ohne Superlativ. Anders ausgedrückt: Hier wird quasi ein Kulturgut aufgehaxt. Das ist wiederum der Scrabble-Version zugute zu halten, dass sie die Haxn richtigerweise als Beine bezeichnet, mag es auch krachert klingen.
Was die Rechtschreibung betrifft, die ja im Dialekt im Gegensatz zur Schriftsprache nicht verbindlich ist, plädiert Sebastian Herzog für Flexibilität. Im Spiel wird etwa der Breznsalzer angeboten, es sollte aber auch der typologisch ebenso passende Breznsoizer verwendet werden dürfen. Herzog sieht das nicht so streng, im Gegensatz zu Loriot, dessen Runde Tante Mechthilds Wortbildungen ja äußerst streng und beleidigt zurückweist. "Man sollte Spaß haben bei diesem Spiel, das einen spielerischen Zugang zur deutschen Sprache ermöglicht", sagt Herzog. In Sachen Dialekt ist allerdings noch Luft nach oben.