Geschützte Art:Für Naturschützer ist diese Jagd ein Skandal

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Der Graureiher ist mit einem Meter Körperlänge, fast zwei Metern Spannweite und dem mächtigen gelben Schnabel ein imposantes Tier. (Foto: Arno Burgi/dpa)

Jedes Jahr werden in Bayern Tausende Graureiher abgeschossen, dabei gehen die Bestände seit Langem dramatisch zurück.

Von Christian Sebald, München

An diesem Samstag ist es so weit. Dann dürfen die Jäger in Bayern wieder sechs Wochen lang Graureiher abschießen. Die Graureiher-Jagd ist höchst umstritten. Experten wie der Vorsitzende der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern, Manfred Siering, nennen sie sogar einen Skandal. Der Grund: Der Graureiher zählt zu den besonders geschützten und ganzjährig geschonten Vogelarten, sie dürfen nur in Ausnahmefällen gejagt werden. In Bayern stehen die Tiere außerdem auf der Vorwarnliste der Roten Liste. Das heißt, dass sie zwar nicht akut gefährdet sind, aber ihre Bestände dramatisch zurückgehen. Dennoch werden in Bayern jedes Jahr Tausende Graureiher abgeschossen. 2017 waren es 6292 Tiere, im Jahr davor 6317, 2015 wurden 6082 erlegt. Andere Bundesländer halten den Graureiher-Schutz sehr viel höher. In Nordrhein-Westfalen etwa wurden in der Vergangenheit keine zehn Tiere im Jahr abgeschossen.

Mit einem Meter Körperlänge, fast zwei Metern Spannweite und seinem mächtigen gelben Schnabel zählen die Graureiher zu den imposantesten heimischen Vögeln. Wenn sie mit mächtigem Flügelschlag und eingezogenem Hals ihre Bahnen in der Luft ziehen, sind sie ein eindrucksvoller Anblick. Am Boden fühlen sie sich auf feuchten Wiesen, an Flüssen und Baggerseen sowie in Teichgebieten wohl. Dort stehen sie still im Gras und lauern auf Mäuse, Frösche und andere kleine Beutetiere. Sie staksen auch gerne im Wasser herum und jagen Fische. Wenn sie einen erblicken, stoßen sie blitzschnell mit dem Schnabel auf ihn hinab.

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Die Vorliebe der Graureiher für Fische ist der Grund, warum Fischer und Teichwirte die Vögel seit jeher nicht leiden können. Denn Graureiher suchen immer wieder auch Karpfenteiche und andere Fischzuchtanlagen heim. Ihre Fraßschäden dort betragen nach Schätzung des Agrarministeriums zwischen 1,8 Millionen und 3,5 Millionen Euro im Jahr. Das hat Agrarministerin Michaela Kaniber auf eine Landtagsanfrage des Grünen-Politikers Christian Magerl geantwortet. Der Ornithologe Siering, aber auch Andreas von Lindeiner vom Landesbund für Vogelschutz (LBV) halten dagegen, dass Fischer und Teichwirte ihre Anlagen nur besser schützen müssten - etwa indem sie über kleinere Teiche Netze spannen und größere mit einem niedrigen Drahtzaun umgeben.

Wie auch immer, wegen der Klagen über die Fraßschäden hat das Agrarministerium schon 1983 die ganzjährige Schonzeit für Graureiher gelockert. Seither dürfen Jäger den Tieren jedes Jahr zwischen 15. September und 31. Oktober in einem Umkreis von 200 Metern um Fischteiche, Baggerseen und andere geschlossene Gewässer nachstellen. Zur Bedingung der Lockerung machte die Staatsregierung seinerzeit freilich, dass alle drei Jahre die Graureiher in ganz Bayern gezählt werden. So wollte man frühzeitig erkennen, ob die Lockerung all zu dramatische Auswirkungen auf die Population der streng geschützten Vögel hat. Das erste Graureiher-Monitoring fand denn auch 1986 statt.

Inzwischen hält sich die Staatsregierung schon lange nicht mehr an die selbstgesetzte Vorgabe. Die drei letzten Graureiher-Zählungen fanden in den Jahren 2008, 2001 und 1995 statt. Der Rückgang der Population allein in diesen 13 Jahren summiert sich auf 20 Prozent. 1995 ergab die Zählung bayernweit noch 2664 Brutpaare, 2001 waren es nur noch 2323 und 2008 wurde der bisherige Tiefststand von 2128 Brutpaaren erreicht. Die Streckenzahlen stiegen gleichwohl immer noch weiter an, bis die Jäger zuletzt eineinhalb Mal so viele Graureiher abschossen, wie laut Zählung von 2008 in Bayern leben. Die Differenz rührt daher, dass die Jäger auch viele Durchzügler aus Nordosteuropa auf deren Flug ins Winterquartier erlegen.

Nicht nur Ornithologen-Chef Siering nennt die Graureiher-Jagd einen Skandal. Der LBV-Mann Lindeiner verurteilt sie ebenfalls scharf. "Keiner weiß, wie viele Graureiher wir noch im Freistaat haben", schimpft Lindeiner. "Trotzdem dürfen die Jäger auch von diesem Samstag an wieder so viele abschießen, wie sie wollen." Zugleich betont Lindeiner, dass der LBV schon vor geraumer Zeit dem Agrarministerium angeboten habe, die Zählung mit seinen Fachleuten zu unterstützen. Den Grünen-Politiker Magerl empört derweil, dass der Freistaat bisher nicht einmal die Forderung der Naturschützer erfüllen will, die Graureiher-Jagd bis zum nächsten Monitoring auszusetzen.

Im Agrarministerium will man die Vorwürfe der Naturschützer nicht kommentieren. "Wir haben im Februar eine Projektstelle für die neue Zählung geschaffen", sagt ein Sprecher. "Derzeit erarbeiten wir das Konzept für das Monitoring. Sowie es fertig ist, hoffen wir, dass wir die Zählung zeitnah starten können."

© SZ vom 14.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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