Geschichten und Geschichte:"Niederbayern ist Bayern ohne Make-up"

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Als Reporter lebte Teja Fiedler viele Jahre in Italien, Indien und Amerika. Heute ist er ein gefragter Bayernexperte. (Foto: privat)

Der Journalist Teja Fiedler stammt aus Plattling, war Korrespondent in Rom, Washington, New York und Mumbai. Heute lebt er in Hamburg und hat dort bemerkenswerte Bücher über Bayern verfasst

Von Hans Kratzer, München

Teja Fiedler ist ein eingefleischter Niederbayer, und dennoch lebt er schon lange in Hamburg. Das wirft die Frage auf, wie ein Mensch, der an der Isar aufgewachsen ist, eine Stadt erträgt, deren Mentalität jener der Niederbayern diametral entgegengesetzt ist? "Och, mir geht's ganz gut", wiegelt der 1943 geborene Fiedler ab, und er hat auch allen Grund zur Gelassenheit. Schließlich ist er schon lange mit einer Hamburger Journalistin verheiratet, mag diese auch nicht immer alles verstanden haben, was er von sich gab. Dieser Sprachbarriere stellte sich auch eine Plattlinger Metzgereiverkäuferin, die bei einem Besuch der Fiedlers in Niederbayern besorgt nachfragte: "Versteht mi eahna Frau scho?"

Aber mitsamt seinem südlichen Zungenschlag sei er im Norden gut aufgenommen worden, beteuert Fiedler: "Die Hamburger betrachten uns Bayern durchaus mit Respekt und Sympathie." Und so sagt er ganz entspannt: "Ich fühle mich als Bayer, aber ich lebe gerne in Hamburg."

Zurzeit ist Teja Fiedler wieder in seiner alten Heimat, der Grund ist eine Lesereise. Fiedler ist gewiss nicht der einzige Bayer, der sich in Hamburg wohlfühlt, aber er zählt zu den wenigen, die an Alster und Elbe bemerkenswerte Bücher über Bayern verfasst haben. Erst vor wenigen Monaten ist Fiedlers "andere" Geschichte Bayerns erschienen, eine summarische, mit leichter Feder geschriebene Historie der Bajuwaren bis herauf zur Ära Seehofer.

Fiedler wurde in Böhmen geboren, sein ungewöhnlicher Vorname geht auf den letzten Ostgotenkönig zurück. Aufgewachsen aber ist er in der Kleinstadt Plattling, die immerhin im Nibelungenlied vorkommt, weil Kriemhild auf ihrem Zug ins Hunnenland wohl hier vom Passauer Bischof Pilgrim empfangen wurde. Für einen Burschen mit einem Abenteurer-Gen bot das alte Plattling angemessene Herausforderungen. Die Stadt hat Fiedler für die spätere Reporterkarriere beispielhaft vorbereitet. Dies kann der Leser der 2008 erschienenen "Gebrauchsanweisung für Niederbayern" entnehmen. Darin schildert Fiedler farbig und anschaulich sein frühes Leben an den Auwäldern längs der Isar, wo der Lagerbau und der Kampf gegen die gefürchtete Kilgerbande aus der Nachbarstraße die Tage füllten und noch nicht der Computer.

Niederbayern: Wiege der bayerischen Zivilisation statt Provinz

"Niederbayern ist Bayern ohne Make-up", sagt Fiedler. Hier bläst der Wind rauer, ist die Sprache gröber und schmeckt das Schweinerne herzhafter als anderswo. Aber das reicht dann auch an Klischees. Es ärgert ihn, dass dieser Landstrich, in dem die Wiege der bayerischen Zivilisation stand, immer noch für tiefste Provinz steht, für Brett vorm Kopf und Gehirn in Walnussgröße. "Depperte Vorurteile", sagt Fiedler. "Im wahren Leben ist Niederbayern so widersprüchlich und unterschiedlich wie alle Gegenden dieser Welt, wenn man genauer hinschaut."

Und Fiedler hat genau hingeschaut. Nach einem Lehramtsstudium durchlief er die Deutsche Journalistenschule. Nach einigen Jahren bei der SZ und beim Süddeutschen Rundfunk (SDR) verschlug es ihn nach Hamburg zum Magazin Stern, für das er viele Jahre lang aus Rom, Washington, New York und aus dem indischen Mumbai berichtete. Er interviewte den Dalai Lama, Schriftsteller wie Umberto Eco und Norman Mailer, Regisseure wie Federico Fellini und Ang Lee, Stars wie Yoko Ono und Gina Lollobrigida sowie Sportler wie John McEnroe und Pelé.

Aber auch aus der Ferne richtete Fiedler seinen Blick oft nach Bayern: "Ich hatte das Privileg, sowohl über die Yanomami-Indianer am Orinoco oder über das Liebesleben auf der Pazifik-Insel Yap schreiben zu können wie auch über einen Steineklopfer aus dem Bayerischen Wald, der im Alter Voltaire und Racine am holzgeheizten Kanonenofen im Original las."

Zwei Jahre dauerte es, den Mythos Bayern zu enträtseln

Je besser er die Welt kannte, desto drängender beschäftigte ihn die Frage nach den eigenen Wurzeln. In seinem biografischen Roman "Die Zeit ist aus den Fugen" thematisierte Fiedler das Leben seines aus dem Sudetenland vertriebenen Vaters, der in Plattling vor einem schwierigen Neuanfang stand. Das neueste Buch des Sohnes geht wieder weg vom Mikrokosmos, es behandelt die Geschichte Bayerns, einen vom Umfang her gewaltigen Stoff, der bisher vor allem von Großhistorikern wie Riezler, Spindler, Bosl und Hubensteiner bewältigt wurde. Fiedlers Buch hebt sich schon durch seinen frechen Titel "Mia san mia" deutlich von diesen Kalibern ab.

Zwei Jahre lang hat er daran gearbeitet, den Mythos Bayern zu enträtseln. Am Ende ist es ihm überzeugend gut gelungen, hochkomplexe Zusammenhänge verständlich und sogar ironisch aufzubreiten. Beispielsweise wie Bayern tausend Jahre lang auf geradezu tragikomische Weise versuchte, zur Großmacht aufzusteigen.

Fiedler zählt zu den rar werdenden Autoren, die das Aufkeimen der Globalisierung in vielen Ländern begleitet und die Neuordnung der Werte intensiv verfolgt haben. Und was ist die Essenz aus seinen Erfahrungen als Reporter: " 1. Es gibt auf der Welt kein Schwarz und Weiß, nur Grautöne verschiedener Helligkeit. 2. Jede Gesellschaft braucht ein von allen grundsätzlich akzeptiertes Wertesystem, sonst zerfällt sie."

Teja Fiedler liest am Samstag in Straubing (20 Uhr, Pauls-Theater) und am Montag in Dießen (20 Uhr, Kulturforum) aus seinem Buch "Mia san mia. Die andere Geschichte Bayerns".

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