Süddeutsche Zeitung

Geschichte:Würzburg streitet mit Griechenland um antiken Kentaurenkopf

Die Griechen wollen das Bruchstück des Parthenon zurück. In Würzburg schließt man eine Rückgabe aus.

Von Claudia Henzler, Würzburg

Als der britische Diplomat Lord Elgin mehrere Schiffsladungen voller Marmor-Reliefs und Skulpturen aus Athen nach London brachte, war der bayerische Kronprinz und spätere König Ludwig I. durchaus neidisch. Wie er seinen Kunstagenten Martin von Wagner wissen ließ, hätte er die beeindruckenden Werke auch gerne für seine eigene Antikensammlung gehabt.

Dabei war die Aktion des Lords schon damals umstritten: Elgin hatte zwischen 1801 und 1805 etwa die Hälfte des Marmorfrieses, einige großformatige Relief-Tafeln (Metopen) und mehr als ein Dutzend Skulpturen aus der Fassade des Parthenon-Tempels brechen lassen und sukzessive nach Großbritannien verschifft. Elgin verwies auf eine Erlaubnis der osmanischen Regierung, die damals über Athen herrschte. Als er die Marmorteile 1816 an das British Museum in London verkaufte, wurde das aber auch im eigenen Land nicht nur positiv gesehen. Mit der Unabhängigkeit Griechenlands 1830 begann dann die Zeit, in der Athen die Kunstwerke immer wieder vergebens zurückgeforderte - bis heute.

Obwohl Ludwig damals leer ausging, muss sich auch die bayerische Regierung mit Restitutionsforderungen auseinandersetzen. Denn später waren doch noch einige kleine Teile nach Bayern gelangt. Sie befinden sich in der Glyptothek in München und im Martin-von-Wagner-Museum der Universität Würzburg, worauf das Akropolismuseum in Athen ausdrücklich hinweist. Während die Universität Heidelberg 2006 ein Fragment zurückgab, schließt man in Bayern eine Rückgabe aus und ist auch nicht erfreut über eine öffentliche Diskussion des Themas.

Es sei politisch extrem aufgeladen - "Sprengstoff", sagt Jochen Griesbach, Professor am Lehrstuhl für klassische Archäologie der Universität Würzburg und Direktor der Antikensammlung. In München spricht Christian Gliwitzky, stellvertretender Direktor der Glyptothek, von einem "verminten Terrain". Und das Kultusministerium verweist wortkarg darauf, dass einerseits die "Vielzahl rechtlicher und moralischer Fragen (...) in erster Linie von Griechenland und England selbst diskutiert werden" sollte, andererseits "rechtliche Gründe" einer Rückgabe entgegenstünden.

Das Würzburger Fragment ist eindrucksvoller als die Münchner Stücke, zu denen ein etwa zehn Zentimeter langes Pferdebein vom Fries zählt, eine "Palmette" (ein Ornament, das als Dachschmuck diente) und "vier kleine Reste", wie Gliwitzky sagt, "tröpfchenartige Ornamente", bei denen die Zuweisung zum Parthenon nicht hundertprozentig sicher sei. Würzburg hat einen bärtigen Männerkopf. Er gehört zu einem Pferdekörper, ist also ein Kentaurenkopf, und war Teil einer der Metopen. Besucher können ihn bei freiem Eintritt in einer Vitrine im Skulpturensaal der Antikensammlung bewundern, im dritten Stock eines Seitenflügels der Residenz.

Martin von Wagner, des Kronprinzen hochgeschätzter Kunstagent in Rom, hatte den Kopf gekauft und kurz vor seinem Tod der Universität Würzburg vermacht. In der Schenkungsurkunde von 1857 steht, dass die Sammlung nicht geteilt oder veräußert werden darf. "Wir können den Kopf nicht hergeben", betont Griesbach deshalb. Warum Wagner das Kunstwerk nicht an Ludwig I. weitergab, erklärt Griesbach so: "Er wusste nicht, dass es in den Parthenon gehört." Erst 1897 habe ein britischer Archäologe das Fragment einer Metope zugeordnet. Der fünften Metope von links auf der Südseite des Tempels, um genau zu sein. Einer der Metopen, die sich seit 200 Jahren in London befinden.

Der Kentaurenkopf sei jedoch kein Produkt der britischen Abbruchaktion, sagt Griesbach. Obwohl man wenig darüber weiß, wie er zu Martin von Wagner kam, gilt eines als sicher: Der Kopf war schon 1674 nicht mehr am Parthenon angebracht. Denn in jenem Jahr hatte der französische Zeichner Jacques Carrey den Tempel-Bildschmuck dokumentiert. In einer Zeit, in der die Begeisterung für die Antike groß und die Fotografie noch nicht erfunden war, konnte er sich interessierter Abnehmer in vielen europäischen Ländern sicher sein. "Er wusste, dass die Adeligen da reges Interesse haben würden", sagt Griesbach. Eine dieser Zeichnungen belegt, dass das Fragment damals schon fehlte.

Wann und wie der Kentaur seinen Kopf verlor, ist dabei genauso offen, wie die Frage, wo er sich zu Carreys Zeiten befand. Er könnte irgendwo im Schutt der Akropolis gelegen haben, mutmaßen Historiker. Spätestens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts müsse der Kopf dann in die Hände eines Antike-begeisterten Reisenden gefallen sein. Wohl aus dessen Sammlung wurde er dann an Martin von Wagner verkauft, sagt Griesbach. "Wir haben keine Schriftstücke, die das dokumentieren würden."

Martin von Wagner wurde 1777 als Sohn des Hofbildhauers Johann Peter Wagner in Würzburg geboren. Seine umfangreiche Kunstsammlung ging aber nicht nur deshalb an den Main. Man gehe davon aus, dass die Schenkung auch von einem Wunsch nach Wiedergutmachung herrührte, sagt Griesbach. Denn Martin von Wagner war 1804 in Würzburg zum Professor für die "Höhere Zeichenkunst" berufen worden - ein Posten, den er jedoch nie ausübte. Die Berufung war nämlich zunächst mit der Verpflichtung verbunden, die eigene Ausbildung zwei Jahre lang in Rom zu vervollkommnen. Danach wurde er immer wieder freigestellt, konnte den Professorentitel aber behalten.

In der Residenz ist der Kentaurenkopf das einzige Stück aus der Hochklassik - einer Zeit, die als Inbegriff der Kunst und Wiege der Demokratie gesehen wurde. Die Sammelwut der Nordeuropäer sei von dem Wunsch motiviert gewesen, diese Ideale weiterzutragen, sagt Griesbach. Durch die hohe ästhetische Qualität und die edlen Formen sollten die Menschen inspiriert werden, eine bessere Gesellschaft anzustreben. Hinzu kam oft der Wunsch, die antiken Stücke vor dem Verfall zu retten und zu erhalten. Das Entwurzeln solcher Kunst sei Teil der europäischen Geschichte, argumentiert Griesbach, die Werke seien heute ein gesamteuropäisches Kulturgut. Auch wenn er den Wunsch vieler Griechen verstehen könne: Nationalstolz sei keine wissenschaftliche Kategorie und "das Stück ist ja ein toller Botschafter".

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SZ vom 29.12.2017/imei
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